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AnalyseWie sich Wüst bei der Regierungserklärung geschlagen hat

Lesezeit 3 Minuten
Hendrik Wüst

Hendrik Wüst (CDU) hat eine Regierungserklärung zu Vorhaben der schwarz-grünen Koalition abgegeben.

Düsseldorf – Seit knapp zwei Monaten ist die erste schwarz-grüne Landesregierung in NRW im Amt. Jetzt hat Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Landtag die obligatorische Regierungserklärung gehalten, die immer eine Mischung aus Werkschau, Zukunftsplan und Stimmungsbild sein soll. Worüber und wie der 47-Jährige sprach – eine Analyse.

Motto

„Nordrhein-Westfalen: Stark durch Zusammenhalt“, lautete die Überschrift über Wüsts Redemanuskript. Solche Gemeinschaftsappelle und Solidaritätsadressen müssen auf den Computern des Redenschreiber-Referats der Staatskanzlei unter der Taste „F1“ abgespeichert sein, denn sie werden seit Jahren parteiübergreifend – in überschaubarem Variantenreichtum – in Regierungserklärungen verbaut. Gegenüber Armin Laschets „Maß und Mitte“, Hannelore Krafts „Kein Kind zurücklassen“ oder Jürgen Rüttgers’ „Privat vor Staat“ wirkte es diesmal aber besonders blutleer.

Die Rahmenbedingungen

Regierungserklärungen sind vor allem verbalisierte Koalitionsverträge zu Beginn der neuen Legislaturperiode. Alle Ministerien liefern vorab Textbausteine zu und hoffen, dass möglichst viele ihrer Themen vom Ministerpräsidenten in 45 Minuten Redezeit angesprochen werden. Der Landtag in NRW nimmt die Regierungserklärung traditionell nur entgegen, die Aussprache folgt am Tag darauf. (tb)

Zentrale Botschaft

„Wir suchen gemeinsam nach den besten Lösungen für die Menschen in unserem Land. Das ist der nordrhein-westfälische Weg“, sagte Wüst. Das heißt: Augenmaß und Pragmatismus im Umgang mit aktuellen Großkrisen wie Corona, Kriegsfolgen und Energiewende. „Die Menschen erwarten von uns keine Hexerei, keine Wundermittel.“

Neuigkeitswert

Wüst beließ es dabei, längst bekannte Großvorhaben seiner schwarz-grünen Koalition wie die Einstellung von 10000 zusätzlichen Lehrkräften bis 2027, die Anhebung der Lehrerbesoldung auf mindestens A13 für alle, die Ausbildung von jährlich 3000 Polizisten, 1000 neue Windräder bis 2027 oder die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre zu zitieren.

Konkretes Versprechen

„Wir wollen, dass jedes Kind zum Ende der Grundschulzeit sicher schwimmen kann“, sagte Wüst und kündigte trotz Schwimmlehrer-Mangels, fehlender Becken und Gaskrise eine Landesoffensive für Nicht-Schwimmer an. Außerdem bekräftigte der Ministerpräsident, dass die Schulen trotz des erwarteten nächsten Corona-Winters offen bleiben sollen.

Bundespolitische Strahlkraft

Dass Schwarz-Grün in NRW Signalwirkung für den Bund haben könnte und Wüst in mittlerer Zukunft womöglich Kanzler-Format zuwachsen könnte, ging glatt unter. Der Ministerpräsident sendete kaum Signale in Richtung Berlin und betonte an keiner Stelle die historische Bedeutung seiner Koalition. Er erwartet lediglich Hilfe der Ampel-Bundesregierung beim geplanten Altschuldenfonds für klamme NRW-Kommunen und sagte dem Bund die Mitfinanzierung von Entlastungspaketen in der Energiekrise zu.

Sound

Der kontrollierte und auf Fehlerfreiheit gepolte Wüst ist kein feuriger Redner, sondern eher ein Mann des Geschäftsberichts. Er lässt sich beim Vorlesen des Manuskripts selten aus der Ruhe bringen. Rhetorische Marotte sind seine ungewöhnlichen Pausen vor dem jeweils letzten Wort eines Satzes: „Die Menschen in Nordrhein-Westfalen haben ein großes – Herz.“

Reaktionen

Wie häufig bei Regierungserklärungen sind die Vorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführer der Regierungsfraktionen in der undankbaren Rolle, Zwischenapplaus für den Chef organisieren zu müssen. Der neue CDU-Fraktionschef Torsten Schick und sein grünes Pendant Verena Schäffer klatschten deshalb tapfer gegen die Stille im Saal an. Wirklich lebhaft wurde es bei den Grünen aber nur, als Wüst die Absenkung des Wahlalters erwähnte, die sie gegen CDU-Widerstand in den Koalitionsvertrag verhandelt hatten.

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Rhetorik

Wüsts Redenschreiber hatten nichts Falsches, aber auch nichts Aufrüttelndes oder Neues aufgeschrieben, griffen dafür ungewöhnlich kräftig in die Phrasenkiste. Kostproben: 1. „Investitionen von heute sind gute Arbeitsplätze von morgen.“ 2. „Bei uns gilt die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren.“ 3. „Der Staat ist weder der bessere Innovator noch der bessere Unternehmer.“ 4. „Sport hält gesund, führt zusammen.“

Emotionalster Moment

Der westfälische temperierte Wüst gestattet sich selten Pathos, doch mit einer Passage über das Problem der Einsamkeit vieler Menschen als „Querschnittsaufgabe“ der Landesregierung ließ er aufhorchen. Sein Appell: „Lassen Sie uns aufeinander Acht geben.“