NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) will einen umfassenden Sicherheitskatalog in die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD über die Bildung einer neuen Bundesregierung einbringen.
NRW-InnenministerReul benennt „eilige Hausaufgaben“ für die nächste Bundesregierung

Hendrik Wüst (l, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Innenminister Herbert Reul (CDU)
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„Nach den schrecklichen Taten von Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München erwarten die Menschen endlich Lösungen für die brennenden Fragen der Sicherheitspolitik und keine Sonntagsreden oder ideologische Winkelzüge mehr“, forderte Reul gegenüber unserer Redaktion. Vor allem im Datenaustausch müssten die Sicherheitsbehörden mehr Möglichkeiten bekommen. „Unsere Polizeien und Nachrichtendienste können effizienter werden bei der Jagd auf Straftäter und Terroristen“, so Reul weiter.
Der NRW-Innenminister kennt und schätzt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) noch aus der gemeinsamen Arbeit in der Innenministerkonferenz und sieht etliche Anknüpfungspunkte zu den Sozialdemokraten. „Eine neue Bundesregierung ist gefordert, endlich entschlossen und geschlossen zu handeln“, sagte Reul. Bereits nach dem Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition hatte der 72-jährige CDU-Politiker gehofft, ohne die aus seiner Sicht „ideologischen Störenfriede“ von der FDP Verschärfungen bei Sicherheitsgesetzen hinzubekommen. Dazu kam es jedoch nicht mehr.
Sechs Punkte für Sicherheit benannt
Konkret benennt der NRW-Innenminister nun sechs „eilige Hausaufgaben für die innere Sicherheit“, um das Erkennen von potenziellen Terroristen und den Datenaustausch sicherheitsrelevanter Behörden zu erleichtern. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) wurde zwar von Parteichef Friedrich Merz nichts in Sondierungsteam berufen, dennoch dürfte der inhaltliche Aufschlag aus Düsseldorf Relevanz für die weiteren Verhandlungen haben.
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Als zentrales Thema, bei dem Schwarz-Rot liefern muss, sieht Reul die Einführung einer Verkehrsdatenspeicherung. Damit würden Internet-Provider und Netzgesellschaften verpflichtet, IP-Adressen und Portnummern für eine bestimmte Zeit zu speichern, um die Verfolgung von schweren Straftaten wie Terrorismus, Kapitaldelikten oder Kinderpornografie zu ermöglichen.
Die Zuordnung von IP-Adressen zu konkreten Anschlussinhabern ist in Deutschland oft nicht möglich, weil Daten nicht gespeichert werden müssen. Da der Europäische Gerichtshof bereits 2022 entschieden hat, dass die Speicherung von Verkehrsdaten in bestimmten Fällen mit dem Europarecht in Einklang steht, hofft Reul auf ein Ende der jahrelangen Debatte.
Die Chancen stehen dafür bei Schwarz-Rot gut: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat mehrmals zugesagt, die Verkehrsdatenspeicherung umzusetzen. Pistorius hat sich dazu schon vor Jahren bekannt. Reul hat nach dem Anschlag von Solingen im vergangenen Sommer sogar den grünen Koalitionspartner in NRW davon überzeugen können.
Mit der SPD als Regierungspartner könnte NRW auch einen bundesweiten Ausbau des Pilotprojekts zur Risikobewertung von potenziellen Attentätern außerhalb des klassischen Extremismus („PeRiskoP“) angehen. Dabei versucht die Polizei in Zusammenarbeit mit Schulen und Gesundheitsbehörden, frühzeitig psychisch auffällige Personen zu identifizieren, die gewaltbereit oder waffenaffin sind. Anschläge wie in Magdeburg oder Aschaffenburg waren von Einzeltätern begangenen worden, die nicht als klassische Islamisten geführt werden konnten.
Neuer Anlauf für „BundesVeRA“
Einen neuen Anlauf will Reul auch für die Einführung der sogenannten verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform („BundesVeRA“) nehmen. Nordrhein-Westfalen hatte die umstrittene Analysesoftware des US-Herstellers Palantir selbstständig eingeführt. Damit können verschiedene Polizei-Datenbanken gleichzeitig durchsucht und Querverbindungen zu Personen hergestellt werden. Datenschützer sehen dieses Werkzeug kritisch, doch im NRW-Innenministerium hofft man, dass sich nach dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestag auch hier endlich eine Mehrheit für „BundesVeRA“ finden könnte.
Reul hofft zudem auf erleichterte polizeiliche Abfragen zwischen den Bundesländern. Bislang ist der Informationsaustausch aus Datenschutzgründen erst möglich, wenn jemand bereits erkennungsdienstlich behandelt wurde, es sich um schwerere Delikte handelt oder Wiederholungsgefahr besteht („Verbundschwelle“).
Einigungsmöglichkeiten zwischen Union und SPD gäbe es wohl auch bei der Modernisierung der Polizei-Kommunikation. „Breitbandtechnologie kann heute mehr wichtige Informationen an den Einsatzort und in die Leitstellen bringen als der etablierte Digital-Sprechfunk“, so Reul. Derzeit sei eine Übertragung von Bildern, Videos und oder Fahndungsdaten nicht möglich. Die neue Bundesregierung müsse investieren und geeignete Frequenzen bereitstellen.
Unklar ist, ob auch eine Reform des Verfassungsschutzes Eingang in einen schwarz-roten Koalitionsvertrag finden könnte. Reul würde sich eine Erleichterung von Online-Durchsuchungen für das Bundesamt für Verfassungsschutz wünschen. Im Einzelfall müsse es möglich sein, Zugriff auf Computersysteme von potenziell gefährlichen Personen erhalten oder die GPS-Daten von Autos auslesen zu dürfen. Die SPD dürfte hier eher zurückhaltend sein. Das Gleiche gilt für die im Reul-Katalog geforderte Streichung des Mindestalters von 14 Jahren für die Datenspeicherung. „Die Radikalisierung von jungen Menschen nimmt, auch aufgrund des steigenden Einflusses digitaler Medien, zu. Es zeigte sich bereits in der Vergangenheit, dass Anschlagsplanungen konkret auch von Menschen jüngeren Alters durchgeführt werden“, so der NRW-Innenminister. Es müsse unabhängig vom Alter möglich sein, auch diese Personen in den nachrichtendienstlichen Informationssystemen zu erfassen.