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Feiern mit angezogener HandbremseWarum der Wahlausgang Wüst in Bedrängnis bringt

Lesezeit 4 Minuten
Friedrich Merz (l), CDU-Bundesvorsitzender und Unions-Kanzlerkandidat, und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen

Friedrich Merz (l), CDU-Bundesvorsitzender und Unions-Kanzlerkandidat, und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen

Mit dem schwierigen Wahlausgang endet wohl auch Wüsts gemütliches Regieren mit Schwarz-Grün in NRW.

An den Prognosen kann es nicht gelegen haben, dass die nordrhein-westfälische CDU am Sonntag zu keiner großen Wahlparty eingeladen hatte.

Die Wetter-App sagte treffsicher für Düsseldorf-Mitte durchgehenden Sonnenschein bis 18 Uhr bei angenehmen 14 Grad voraus. Gewiss nicht ganz so spätsommerlich wie 2021 bei der vergangenen Bundestagswahl, als die Christdemokraten zu Ehren ihres damaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet ein großes Gartenfest hinter der Parteizentrale an der Wasserstraße veranstaltet hatten. Dafür durfte man sich diesmal an der Aussicht wärmen, dass der ebenfalls aus NRW stammende Friedrich Merz als uneinholbarer Favorit in diese viel beschworene „Richtungsentscheidung“ ging.

Klatschen für einen durchwachsenen Sieg

Doch ein Parteisprecher ließ frühzeitig ausrichten, dass NRW-Ministerpräsident und CDU-Landeschef Hendrik Wüst den Sonntag über in Berlin weilen werde und sich am liebsten erst am Montag vor den Düsseldorfer Gremiensitzungen mit einer ausführlichen Bewertung zu Wort melden wolle. Um 18.35 Uhr trat er dann im Berliner Adenauer-Haus bloß als Kulisse für Merz auf die Bühne und beklatschte still schmunzelnd einen arg durchwachsenen Sieg.

Später am Abend lieferte er noch seine Lesart zum „klaren Regierungsauftrag“ für Merz, verbunden mit einem Appell: „Die Menschen wollen einen Politikwechsel. Damit der gelingt, haben die Parteien der Mitte nun eine große Verantwortung, Gespräche zu führen, um Deutschland aus der Krise zu führen“, erklärte Wüst.

Die überraschend defensive Art, die mutmaßlich schnellste Rückeroberung des Kanzleramts in der Geschichte der Bundesrepublik zu begehen, mag tatsächlich logistische Gründe gehabt haben. Sie passt gleichwohl zum Balanceakt, den Wüst in den vergangenen Wochen vollbracht hat. Noch am Freitag gab er beim Wahlkampf-Abschluss in der Arena Oberhausen den Einpeitscher für Merz. Mit einem Headset am Ohr rief Wüst den Tausenden herbeigekarrten Parteigängern zu: „Das ist genau der Bundeskanzler für diese Zeit!“

Loyal an der Seite von Friedrich Merz

An seiner Loyalität zum Parteichef ließ er während des kurzen Winterwahlkampfes keinen Zweifel. Das ist nicht wenig, wenn man in Erinnerung ruft, wie umständlich sich Wüst im vergangenen September hinter Merz‘ Kanzlerkandidatur gestellt hatte. In einer schon fast legendären Rede pries sich der NRW-Ministerpräsident seinerzeit erst handgestoppte acht Minuten lang selbst als jungen, frischen, liberalen Kandidaten der Herzen, bevor er Merz seine Rückendeckung versicherte. Geschenkt.

Aufschlussreich waren die Düsseldorfer Signale der vergangenen Wochen dennoch. Der traditionelle Neujahrsempfang der NRW-CDU geriet zur Huldigung für Altkanzlerin und Merz-Intimfeindin Angela Merkel, die Wüst als Gastrednerin eingeladen hatte. Da der Ministerpräsident dafür bekannt ist, nie irgendwo unüberlegt aufzutreten, war allein dieser Termin mit 1300 begeisterten Besuchern im Düsseldorfer Flughafen ein Statement. Was die NRW-CDU nicht ahnen konnte: Kurz darauf fuhr Merkel ihrem alten Rivalen Merz mit öffentlicher Kritik am Tabubruch der gemeinsamen Bundestagsabstimmung mit der AfD in die Parade.

Absage an den Rechtsruck

Wüst warb derweil um eine „Allianz der Mitte“, was als subtile Absage an den Rechtsruck in der Union gelesen werden durfte. Zudem unterstützte er im Wahlkampf auffällig solche Kandidaten, die für eine gewisse thematische und typologische Breite in der CDU stehen. So war Wüst zuletzt nicht einmal der Weg zum Bodensee zu mühselig, um beim freundlichen Umweltpolitiker Andreas Jung in Radolfszell aufzutreten.

Obwohl Wüst wie Merz in der ländlich-konservativen CDU groß geworden ist, hat er längst verinnerlicht, dass die Mehrheitsfähigkeit in NRW nur über eine konsensorientierte, eher soziale Aufstellung führt. Es dürfte ihm deshalb in den kommenden zwei Jahren bis zur nächsten Landtagswahl darum gehen, eine gewisse Distanz zum Kanzler zu wahren. „NRW first“ dürfte es gegenüber Berlin häufiger heißen, zumal 2025 folgende das Geld überall knapp sein wird. Einen Kurs der Eigenständigkeit, den schon Wüsts Lehrmeister Jürgen Rüttgers einst vergeblich als „soziales Gewissen der CDU“ gegenüber Kanzlerin Merkel zu fahren versuchte, wird auch Merz zu spüren bekommen.

In Krisenzeiten mit schmerzhaften Entscheidungen ist das gleichwohl nicht einfach. Doch Wüst durfte in der Ministerpräsidentenkonferenz bei seinem SPD-Kollegen Peter Tschentscher erleben, dass eine Abkoppelung von Parteifreunden in Berlin durchaus funktionieren kann. Der Erste Bürgermeister von Hamburg dürfte nächste Woche wiedergewählt werden – trotz des desaströsen SPD-Bundestrends und der Unbeliebtheit des Hanseaten Olaf Scholz.

Als münsterländischer Radfahrer weiß Wüst, dass jeder Windschatten irgendwann endet und man raus muss in den Wind. Seine wachsende persönliche Beliebtheit und das „geräuschlose“ Regieren mit Schwarz-Grün in Düsseldorf hatten zu einem Gutteil damit zu tun, dass die chaotische Ampel-Regierung drei Jahre lang viel Zorn auf sich zog und man jedes NRW-Problem bequem an den Bund delegieren könnte. Das ist nun vorbei.

Mit einem CDU-Kanzler Merz womöglich in einer Wackel-Koalition wird es nun komplizierter. Zumal die so lange zur Schau gestellte schwarz-grüne Harmonie in Düsseldorf unter einschneidenden Reformen einer neuen Bundesregierung bei innerer und äußerer Sicherheit sowie beim Sozialstaat und der Energiewende rasch einem ernsthaften Stresstest ausgesetzt werden könnte.