Der neue Koalitionsvertrag von Union und SPD steht – und er hat auch Auswirkungen auf die Länder. Wo liegen die Knackpunkte für NRW?
Debatte des TagesWas bedeutet der Koalitionsvertrag für NRW?

Düsseldorf: Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, verlässt das Podium in der Staatskanzlei nach seinem Statement
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144 Seiten Koalitionsvertrag haben Union und SPD vorgelegt. Das steckt nach erster Durchsicht für Nordrhein-Westfalen drin:
Bei welchen Spiegelstrichen darf NRW auf eine echte Politikwende hoffen?
Erstens: Der künftige Wegfall von Planfeststellungsverfahren bei Ersatzneubauten dürfte die Erneuerung des maroden Straßennetzes deutlich beschleunigen. Zweitens: Mit der Speicherpflicht für IP-Adressen bekommen die Sicherheitsbehörden endlich die Befugnisse, auf die NRW-Sicherheitsbehörden schon länger pochen. Drittens: Eine verdeckte, aber wichtige Änderung im Asylrecht geht leicht unter. Staaten, deren Anerkennungsquote seit mindestens fünf Jahren unter fünf Prozent liegt, werden bald automatisch als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Abschiebungen könnten so leichter werden. Viertens: Mehr Realismus in der Energiepolitik. Der Zeitplan, Kohlekraftwerke vom Netz oder in die Reserve zu nehmen, wird sich danach richten, wie schnell es gelingt, steuerbare Gaskraftwerke tatsächlich zuzubauen.
Was bedeutet der Koalitionsvertrag für die Kommunalfinanzen?
Auf dieses Signal haben viele nordrhein-westfälische Städte lange gewartet: Union und SPD stellen eine Altschuldenhilfe auch auf Bundesseite in Aussicht. Die Formulierung im Vertragswerk lässt allerdings Raum für Spekulationen: „Zur Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik wird sich der Bund in dieser Legislatur mit 250 Millionen Euro pro Jahr an Maßnahmen der Länder, die ihre Kommunen durch eine landesseitige Übernahme übermäßiger Kassenkredite entlasten, finanziell zur Hälfte beteiligen.“ Das heißt: Nur 250 Millionen Euro pro Jahr sind für alle Bundesländer mit finanziell angeschlagenen Kommunen reserviert. Das Problem: Allein NRW bräuchte eigentlich 250 Millionen Euro jährlich aus Berlin, um das landeseigene Hilfsprogramm über 30 Jahre kofinanzieren zu können.
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„Gut ist, dass die Koalition das kommunale Altschuldenthema aktiv anpacken und sich beteiligen will“, lobte zwar der Vorsitzende des Städtetages NRW, Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU). Allerdings blieben die geplanten Bundesmittel hinter den Erwartungen der NRW-Städte zurück und reichten zusammen mit dem Geld des Landes für eine nachhaltige Altschuldenlösung noch nicht aus. Union und SPD blieben darüber hinaus Informationen darüber schuldig, wie sie die allgemeine Unterfinanzierung der Städte beenden wollten.
Gut kommt bei den Städten an, dass künftig bei jedem Bundesgesetz geprüft werden soll, wie es sich finanziell auf die Kommunen auswirkt. Christoph Landscheidt (SPD), Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW, warnte jedoch vor Euphorie: „Die Kommunen haben leider schon oft erlebt, dass Koalitionsverträge mehr versprochen haben als sie halten konnten.“
Wie blicken die NRW-Städte generell auf die Einigung im Bund?
Mit Wohlwollen. „Der Koalitionsvertrag macht den Städten Hoffnung“, meint Essens OB Thomas Kufen für den Städtetag NRW. Die Koalitionäre wollten den Staat modernisieren und Bürokratie abbauen. „Das brauchen wir unbedingt, um die städtischen Verwaltungen zu entlasten: bei sozialen Leistungen wie dem Wohngeld, beim Aufenthaltsrecht in den Ausländerbehörden, aber auch beim Beantragen und Abrechnen von Fördermitteln“, erklärte Kufen.
Was sagt die NRW-Wirtschaft?
Arndt G. Kirchhoff, Präsident der Vereinigung „Unternehmer NRW“, ist zumindest zufrieden, dass „Deutschland jetzt schnell eine handlungsfähige Bundesregierung bekommt“. Der Koalitionsvertrag ermögliche niedrigere Energiepreise und Bürokratieabbau. „Ein wirklich großer Schritt ist die Abschaffung des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes“, lobte Kirchhoff. An manchen Stellen bleibe der Kompromiss zwischen Union und SPD aber hinter den Erwartungen der Wirtschaft zurück. Zum Beispiel sei die schwarz-rote Steuerpolitik zu unambitioniert, weil eine große Unternehmenssteuerreform ausbleibe. Bei der Körperschaftssteuer seien die geplanten Schritte zu klein und kämen zu spät. Auch die Chance, den „Soli“ abzuschaffen, werde sehr zum Ärger vieler Unternehmen nicht genutzt. Außerdem greife die Politik einmal mehr in die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission ein.
Wie beurteilen Gewerkschaften in NRW die Einigung?
Unterm Strich sind sie zufrieden. „Es ist gut, dass sich Union und SPD zügig auf diesen Koalitionsvertrag geeinigt haben. Die Menschen brauchen wieder Verlässlichkeit und Perspektiven“, sagte Anja Weber, Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Ein Aufbruch für mehr soziale Gerechtigkeit sei der Koalitionsvertrag wie erwartet nicht, dazu fehle unter anderem eine große Steuerreform. Aber er stelle wichtige Weichen, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern.
„Das Sondervermögen für Infrastruktur kann das Industrieland NRW ebenso voranbringen wie die Absenkung der Energiekosten und die Stärkung der Tarifbindung“, meinte Weber. Die DGB-Landeschefin hadert mit der Kurswende bei der Migration: „Hier setzt die neue Bundregierung auf Härte gegenüber Asylsuchenden und Geflüchteten, anstatt die eigentlichen Probleme beherzt anzugehen.“