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Streit ums DistanzlernenNRW-Schulleiter fordern klare Kriterien von Landesregierung

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Corona Schule

Ein Schüler einer vierten Klasse einer Grundschule zeichnet ein Corona-Virus an die Tafel.

Düsseldorf – Ihr erstes Schuljahr steuert bereits auf die Herbstferien zu, und bislang gilt für die neue NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) die goldene Eltern-Regel: „Solange keine Beschwerden kommen, ist alles in Ordnung.“ Doch die Frage, wie die Schulen mit der erwarteten Corona-Winterwelle umgehen sollen, drängt nun mit Macht auf die Tagesordnung. Spätestens heute, wenn in Düsseldorf erstmals seit der Wahl der Schulausschuss des Landtags zusammentritt, dürfte neuer Parteienstreit über die Bildungspolitik in NRW losbrechen.

Feller hatte Ende Juni das unattraktivste Amt übernommen, das Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zu vergeben hatte. Lehrermangel, Inklusion, Turbo-Abitur und Pandemie – im Schulministerium gab es in den vergangenen zehn Jahren nichts zu gewinnen.

Am ersten Schultag posierte Ministerin Dorothee Feller mit Erstklässlern in Ratingen.

2,5 Millionen Schüler, 5500 Schulen und 200000 Lehrkräfte bilden ein Interessengeflecht, in dem sich Fellers Amtsvorgängerinnen Sylvia Löhrmann (Grüne) und Yvonne Gebauer (FDP) heillos verhedderten.

Betonte Zurückhaltung

Die 56-jährige Verwaltungsjuristin Feller wählte zunächst eine Stabilisierungsstrategie für akute Krisenlagen. Rechtzeitig zum Schulstart verschickte sie einen „Corona-Leitfaden“, hielt sich ansonsten jedoch öffentlich zurück. Gemeinsam mit ihrem Staatssekretär Urban Mauer, einem Vertrauten des einflussreichen Staatskanzleichefs Nathanael Liminski (CDU), soll sie vor allem die aufgeheizten Debatten der jüngeren Vergangenheit versachlichen.

Immer noch Milliardenlücke bei Schulsanierungen

Der Investitionsbedarf an Schulen in Deutschland ist nach Berechnungen der staatlichen Förderbank KfW nach wie vor gewaltig. Bundesweit sei für 2021 eine Summe von 45,6 Milliarden Euro zusammengekommen, die in die Gebäude hätte gesteckt werden müssen. Eine steigende Zahl von inzwischen 17 Prozent der Kommunen bewerten demnach den Investitionsstau bei ihren Schulgebäuden als gravierend. „Zwar ist der Investitionsrückstand im vergangenen Jahr leicht gesunken, insgesamt hat sich der Rückstand in den vergangenen fünf Jahren hingegen trotz aller Bemühungen kaum verändert“, bilanzierte die KfW. Im vergangenen Jahr investierten Landkreise, Städte und Gemeinden bundesweit den Angaben zufolge 9,8 Milliarden Euro in Schulgebäude. Im laufenden Jahr sollen es 10,8 Milliarden Euro sein. Allerdings haben die Baupreise deutlich angezogen und die aktuelle Gaskrise verschärft die Lage noch. (dpa)

Allzu großen bildungspolitischen Ehrgeiz der Koalition muss die Ministerin ohnehin nicht ins Werk setzen. Die Lehrerbesoldung soll für alle mindestens auf A13 angehoben werden, was gut ankommen dürfte. Zudem hat Schwarz-Grün 10000 neue Lehrer bis 2027 versprochen, obwohl schon heute 4000 Stellen unbesetzt sind – aber Papier ist bei solchen Wahlkampf-Schlagern geduldig. Ansonsten gilt: möglichst keine Schulstrukturdebatten.

Doch dann ist da ja noch Corona. Feller hat die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts zum obersten Ziel erklärt, was inzwischen unstrittig ist. Die Schulen in NRW sollen weitgehend selbst je nach Infektions- und Personallage entscheiden, ob Teile der Schülerschaft in den Distanzunterricht gehen und wie man sich organisiert. „Wir geben den Schulen möglichst viel Beinfreiheit, es gibt jedoch zwei Grenzen: Die Schulen müssen offen bleiben und die Stundentafel darf nicht angefasst werden“, hatte Feller klargestellt. Nie wieder will man sich in einen Streit begeben wie 2020, als Schulministerin Gebauer der Stadt Solingen die Teilung von Klassen untersagte.

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Dennoch sorgt ihr Entwurf einer neuen „Distanzlernverordnung“ für Unruhe. Im Regelfall soll Unterricht im Klassenzimmer erteilt werden. Bei „einer erneut veränderten oder verschärften Infektionslage oder aufgrund einer Extremwetterlage“ könne die Schulleitung jedoch Distanzlernen anordnen – die Beschulung per Tablet zuhause. „Die Lehrkräfte erfüllen ihre Dienstpflicht in diesem Fall im Distanzunterricht“, so das Schulministerium lapidar. Noch bis Ende der Woche sollen in einer Verbändeanhörung kritische Rückmeldungen aus der Bildungslandschaft aufgenommen werden. Inkrafttreten wird die Verordnung dann wohl erst nach den Herbstferien.

„Wir brauchen Leitplanken“

Die Schulen begrüßen zwar die größere Eigenständigkeit, erwarten jedoch aus Düsseldorf verbindliche Maßstäbe. „Die Schulleitungen brauchen Leitplanken, nach welchen Kriterien sie Distanzlernen anordnen sollen. Zu sagen, die Schulen werden das schon machen, ist zu wenig“, erklärt ein Sprecher der Bildungsgewerkschaft GEW. Die Schulleitungsvereinigung NRW sieht das ähnlich. „Wenn Schulen entscheiden sollen, brauchen sie klare Kriterien“, fordert der Vorsitzende Harald Willert. Man brauche als Schulleiter ohnehin viel Erfahrung, um bei den widerstrebenden Interessen von Eltern und Lehrern Distanzunterricht durchzusetzen. Wenn dann aber die Nachbarschule weiter in Präsenz bleibe, werde es argumentativ schwierig.