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Kurs-SucheWie die NRW-SPD ihr Wahldebakel in Zeitlupe aufarbeitet

Lesezeit 4 Minuten
Kutschaty Wahlplakate in Köln

Köln: Wahlplakate mit Portraits der nordrhein-westfälischen Spitzenkandidaten von CDU, Ministerpräsident Hendrik Wüst (l), und SPD, Thomas Kutschaty (r)

Düsseldorf – Vier Monate nach der verlorenen Landtagswahl ist weiter offen, welche Konsequenzen die NRW-SPD aus ihrem Scheitern zieht. Die Aufarbeitung des historisch schlechtesten Wahlergebnisses der Landespartei – 26,7 Prozent der Stimmen – zieht sich in die Länge wie ein Kaugummi.

Kritik aus Reihen der Jusos wird laut

Erst Anfang 2023 will die SPD erklären, warum sie verloren hat und wie sie wieder erfolgreich werden könnte. Erst ein Jahr nach der Wahl, im Mai 2023, wird es einen Parteitag mit Vorstandswahlen geben. Den Jungsozialisten (Jusos) dauert das viel zu lange. „Schämt euch“, rief die neue Juso-Landeschefin Nina Gaedike der NRW-SPD-Führung neulich zu.

Nicht schämen muss sich die SPD für ihre neue Parteizentrale in der Düsseldorfer Kavalleriestraße. Der Neubau ist mit viel Glas, Stahl und Sichtbeton ein architektonisches Schmuckstück geworden. Das „Johannes-Rau-Haus“ hat vieles, was ein politisches Machtzentrum ausmacht. Aber das Wichtigste fehlt: die Macht.

„Unser Ziel ist eine neue Kampagnenfähigkeit“, sagt Stefan Kämmerling. Der Ex-Landtagsabgeordnete aus Eschweiler ist jetzt Landesgeschäftsführer – man kann auch sagen „Manager“ – der NRW-SPD. Dass die Partei nun wieder auf einen Geschäftsführer setzt, ist jedoch die bisher einzige konkrete Lehre, die sie aus der vergeigten Landtagswahl gezogen hat.

Aufarbeitung der Niederlage soll „schonungslos“ sein

„Im Wahlkampf war die Arbeitsbelastung enorm und auf zu wenigen Schultern verteilt. Das müssen wir sinnvoller und effizienter gestalten“, erklärt SPD-Generalsekretärin Nadja Lüders. Tatsächlich hatten manche Wahlkämpfer den Eindruck, dass sich zwischen Landesparteispitze und Unterbezirken tiefe Gräben auftun. Kämmerling soll nun Brücken bauen. „Das, was Landesvorstand, Präsidium, Parteichef Thomas Kutschaty und Generalsekretärin Nadja Lüders entscheiden, werde ich bestmöglich zu unseren Mitgliedern vor Ort bringen und es dort erklären“, verspricht er.

Im Schatten des Siegers: SPD-Chef Thomas Kutschaty am Wahlabend nach seiner Niederlage gegen CDU-Amtsinhaber Hendrik Wüst.

Kämmerling gehört zu jenen couragierten Typen, die sich Parteien sehnlichst wünschen. Als Sprecher der SPD im Landtags-Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe geriet er wiederholt mit NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) aneinander. Der 46-Jährige schaffte im Mai nicht den Wiedereinzug in den Landtag, würde aber als Erster auf der Reserveliste seiner Partei ins Parlament nachrücken. Seine Vita passt gut zum Anspruch der SPD, sich um normale Leute zu kümmern: Kämmerlings Mutter war Verkäuferin, der Vater Schlosser, er selbst Bankkaufmann bei der Sparkasse Aachen.

„Schonungslos“ werde man die Niederlage aufarbeiten, versprechen Kämmerling und Lüders. Meinungsforscher werden jetzt konsultiert, SPD-Kommunalpolitiker sollen der Parteispitze mit ausgefüllten Fragebögen „die Meinung geigen“, es stehen sogar die großen Fragen nach der Identität im Raum: Wer sind wir? Für wen machen wir eigentlich Politik?

Mutmaßungen über das große Scheitern

Bisher gibt es nur Vermutungen, warum es am 15. Mai doch nicht zu dem erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Herausforderer Kutschaty kam. Ging die SPD-Kampagne an den Menschen vorbei? War es angemessen, weiter voll auf Themen wie Wohnungsbau und Bildungsgerechtigkeit zu gehen, während die Bürger Angst vor Krieg haben? „Wir müssen künftig dazu in der Lage sein, eine Kampagne flexibel anzupassen, wenn die Umstände es erfordern“, meint Lüders, die für die politische Aufarbeitung der Niederlage zuständig ist.

Hat sich die SPD außerdem an Nebensächlichkeiten wie einem bösen Brief von CDU-Landtagsfraktionschef Bodo Löttgen zur angeblichen Russlandnähe der SPD abgearbeitet? War Kutschaty im TV-Duell mit Wüst zu zahm? Warum wurden so viele SPD-Wähler zu Nichtwählern? War es klug, den Kanzler zu plakatieren? Viele Fragen liegen auf dem Tisch. Antworten gibt es frühestens in vier Monaten.

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Für Jungsozialisten wie die neue Landesvorsitzende Gaedike ist dieses gemütliche Tempo unerträglich. „Das ist unsere Zeit, um der NRW-SPD kräftig in den A… zu treten“ rief die 24-Jährige in Bonn bei ihrer Bewerbungsrede. Die SPD sei gut beraten, sich um die „Gelackmeierten“ zu kümmern – Auszubildende, Studierende, junge Familien, Migranten, Alleinerziehende –, anstatt sich CDU-Innenminister Herbert Reul und dessen Kampf gegen die Clan-Kriminalität „anzubiedern“.

Nina Gaedike spricht von einem „letzten Warnschuss“ für die Parteispitze. Sie müsse endlich kapieren, dass die SPD bei der Landtagswahl so schlecht abgeschnitten hat wie nie zuvor. Kutschaty genieße noch immer das Vertrauen der Jusos. Aber er müsse nun liefern.