Kölner Brot-Sommelier im Interview„Hefe ist schlimmer als ein Haustier“
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Jürgen Pistono ist Kölns einziger Brot-Sommelier.
Im Gespräch mit Bernd Imgrund schwärmt er von Krumen und Krusten und erklärt, warum Hefe schlimmer ist als Haustiere
Köln – Mit Jürgen Pistono treffe ich mich vor der Filiale an der Rodenkirchener Hauptstraße. Am Ende werde ich noch einen Amerikaner mit der Aufschrift „Viona“ bekommen – seine Tochter ist zum Zeitpunkt des Interviews zwei Tage alt.
Sie sind gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Wann bekommt Viona ihr erstes Stück Brot?
Wenn meine Frau nach sechs Monaten abstillt. Gern auch mit Kruste, da können die Kinder ihre Gaumen und ersten Zähne dran ausprobieren.
Jürgen Pistono wurde 1988 in Koblenz geboren. Die Familie zog 1993 nach Köln, wo Vater Thomas und Mutter Gudrun in Sürth eine Bäckerei eröffneten. 2004 begann Jürgen Pistono eine Bäckerlehre, an seinem 18. Geburtstag bestand er die Gesellenprüfung als Innungsbester.
Zusätzlich absolvierte er im Café Fromme in Köln eine Ausbildung zum Konditor, bevor er 2008 zum Bäcker-Meister wurde. Zwei Jahre später übernahm er den väterlichen Betrieb in Sürth, wo ihm seine Ehefrau Larissa als Bäckereifachverkäuferin zur Seite steht. Eine zweite Filiale steht an der Rodenkirchener Hauptstraße. Die Pistonos gehören zu den immer weniger werdenden Bäckern, die noch selber backen, anstatt sich von der Industrie beliefern zu lassen.
Seit seiner Zusatzausbildung 2021 beim Deutschen Brotinstitut in Weinheim darf sich Jürgen Pistono auch „Brot-Sommelier“ nennen.
Er wohnt mit seiner Frau und den beiden Kindern in Sürth.
War auf Ihren Schulbroten eher Nutella, Wurst oder Veganes?
Vegan war damals noch nicht so angesagt. Bei mir gab´s die Klassiker: Salami, Fleischwurst, Schinken. Käse mochte ich früher nicht.
Ihr Vater war schon Bäcker. Hätten Sie auch ohne Familienstress Metzger werden können?
Mein Vater hat nie gesagt, ich muss. Als kleiner Panz wollte ich mal Tierarzt werden. Aber ich war auch richtig jeck aufs Bäckerhandwerk. Damals wie heute fand ich es toll, dass man jeden Tag sieht, was man geschaffen hat. Am Computer ist das anders, das wäre nichts für mich.
Ihre Mutter gibt inzwischen Yogakurse, statt im Betrieb mitzuarbeiten. Haben Sie sie gefeuert?
(lacht) Meine Mutter macht seit Jahrzehnten Yoga, um runterzukommen. Und sie hat auch die Ausbildung zum Yogalehrer schon früh absolviert. Im Betrieb hat sie meine Frau noch zur Bäckereifachverkäuferin ausgebildet und sich dann verabschiedet. Inzwischen hilft Sie uns aber wieder im Büro.
Wäre Yoga auch was für Sie?
Ich kann mich nur ablenken, nicht wirklich abschalten. Wenn ich zur Ruhe komme, denke ich sofort wieder an neue Backvarianten.
Sie sind Kölns einziger Brot-Sommelier. Was ist das?
Die Ausbildung existiert seit 2015. Dabei geht es darum, Brot mit allen Sinnen wahrzunehmen: um die Farbe und den Duft der Krume, das Geräusch beim Brotschneiden, das Gefühl und den Geschmack im Mund. Wie beim Wein, woher das Wort Sommelier ja auch kommt.
Was fanden Sie schwierig zu lernen?
Die regionale Brotvielfalt in Deutschland ist fast unüberschaubar. Nehmen wir das baden-württembergische „Genetzte“: Dabei wird ein sehr weicher Teig mit einer nassen Schöpfkelle aus dem Kessel genommen und vor dem Backen nur noch leicht rundgewirkt. Die Oberflächenspannung bleibt dabei recht schwach, die Brotkruste wird ziemlich brüchig.
Übernehmen die deutschen Bäcker auch ausländische Traditionen?
Ja, schon seit langem, denken Sie an Baguettes und Focaccia. Vor einigen Jahren kam der Cronut aus New York, eine Mischung aus Croissant und Donut. Kam ziemlich hip daher, hat aber in Deutschland nicht richtig Fuß gefasst.
Ihr Nachname Pistono deutet auf eine italienische Abstammung hin. Ist die in Ihren Regalen noch präsent?
Jenseits der Klassiker nicht wirklich. Und ich selbst habe auch kein italienisches Temperament, sondern bin ein ruhiger Typ. Aber ja, mein Ur-Ur-Großvater kam mit 18 Jahren 1871 als Bergmann nach Deutschland.
Haben Sie sich mal an Pizzateig versucht?
Ja, und das Geheimnis für einen guten ist wie bei jedem Teig die Zeit. Pizzateig arbeitet sogar mit sehr wenig Hefe und entsprechend sehr viel Zeit. Unsere Brotteige lassen wir auch einen Tag reifen, bevor wir sie backen.
Der gelernte Sommelier kennt sich auch mit Bread-Pairing aus, habe ich gelesen. Worum geht es da?
Um die Kombination von Brot mit besonders geeigneten Belägen und Getränken. Als Beispiel: Bananenbrot können Sie wunderbar mit Schokolade bestreichen.
Und welches Brot passt am besten zu Kölner Leberwurst?
Ich würde ein kräftiges Roggen-Mischbrot empfehlen. Die Leberwurst ist gut gewürzt und erhält mit dem Sauerteig des Roggenbrots einen gleichwertigen Partner.
In der Bibel und im Gottesdienst ist vom „Brotbrechen“ die Rede. Was für ein Brot hat Jesus unter seinen Aposteln beim Letzten Abendmahl verteilt?
Sehr wahrscheinlich ein versäuertes Weizenbrot, wie es jüdische Tradition war. Die antiken Römer haben Weizen in Europa stark verbreitet. Bei gutem Wetter liefert Weizen gute Erträge – die die Römer für ihre Soldaten brauchten. In schlechten Jahren allerdings ist Roggen zu bevorzugen, der weniger anspruchsvoll ist. Deswegen isst man bis heute in Nordeuropa eher Roggen-, in Südeuropa Weizenbrote.
Was macht den Geschmack des vermutlich nicht nur in Köln beliebten Roggenbrotes aus?
Roggen ist wegen seiner Inhaltsstoffe weniger backfähig als Weizen. Für Laien gesagt: Er enthält weniger Getreidekleber, den der Teig braucht, um die Luft zu halten, die sich beim Gären entwickelt. Ohne Kleber blubbert der Teig, die Luft entweicht und man bekommt einen Fladen. Deswegen muss man Roggen zusätzlich versäuern, was ihm seinen besonderen Geschmack liefert.
Woher kommt diese seltsame Kölner Vorliebe für verbrannte Krusten?
Unsere Kunden in Sürth und Rodenkirchen mögen eher hellere Produkte. Ich glaube, das Dunkle ist nur ein Alleinstellungsmerkmal von Merzenich. Die Bäckerei Hinkel macht in Düsseldorf dasselbe. Aber klar ist: je dunkler die Kruste, desto mehr Aroma. 80 Prozent der Aromastoffe stecken bei Backwaren in der Kruste. Außerdem ist die wasserfreie Kruste der Schutzmantel des Brotes und hält die Feuchtigkeit im Teig.
Normalerweise um 5. Aber wenn Not am Mann ist, bin ich auch schon in der ersten Schicht nachts um 1 mit dabei. Die ist allerdings sehr begehrt bei unseren Mitarbeitern, weil es da Nachtzuschläge gibt.
Echte Bäcker sterben aus. Warum backen Sie noch selbst?
Ganz einfach: weil ich vom Handwerk überzeugt bin. Industriebrötchen bekommt der Kunde im Supermarkt billiger. Wir trumpfen eher mit unserem Fachwissen und unserer individuellen Art der Herstellung. Wenn ich selber backe, kann ich mich über Lob freuen und über Kritik nachdenken. Wenn ich aber nur gefrorene Klumpen aufbacke, kann ich nicht für meine Produkte einstehen. Das ist nicht meine Welt.
Wie würde sich Ihr Bankkonto verändern, wenn Sie sich vorgefertigte Industrieteige anliefern ließen?
Kurzfristig würde ich wohl mehr einnehmen, langfristig verlieren, weil der Kunde das merkt. Ein Buttercroissant aus der Fabrik kostet im Einkauf 35 Cent, das legt man nur noch aufs Blech und backt es. Wir setzen für unsere Croissants einen eigenen Weizensauerteig an, der muss drei Stunden stehen, wird touriert, aufgearbeitet und und und. Deswegen sind die Croissants bei uns teurer.
Ein großer Streit: Sind Hefepilze Tiere oder Pflanzen?
Das sind Mikroorganismen. (lacht)
Haben Sie selbst mal Hefekulturen angelegt?
Dafür braucht man viel Zeit, und die Kulturen sind sehr anfällig. Hefe findet sich überall – in der Luft wie an unseren Händen. Ich habe mal mit ungespritzten Äpfeln experimentiert. Geschält, in 27 Grad warmem Wasser vermehren sich die natürlichen Hefen des Apfels. Letztlich habe ich damit dann auch ein Brot gebacken, das sehr lecker war. Aber es wäre viel Arbeit, so etwas in Serie gehen zu lassen. Hefe ist schlimmer als ein Haustier.