Michael Alexander Willens gründete die Kölner Akademie, die vornehmlich für Alte Musik steht. Bernd Imgrund sprach mit ihm über die musikalischen Ursprünge, die USA und unbekannte Komponisten.
Gründer der Kölner Akademie„Musik war mir in die Wiege gelegt“

Das Klavier ist für Michael Alexander Willens sowohl beim Komponieren wie bei der Interpretation von Partituren unabdingbar.
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Warum haben Sie ausgerechnet Kontrabass gelernt?
Ich habe meine musikalische Laufbahn mit dem Klavier begonnen. Allerdings wurde mir schon früh klar, dass man 25 Stunden am Tag üben muss, um gut darin zu werden. Als jemand, der viele verschiedene Musikrichtungen liebt, habe ich mich dann für den Kontrabass entschieden − weil jede Jazz-, Klassik-, Pop- und Rockband einen Bass braucht.
Wie gefällt Ihnen „Der Kontrabass“, das Theaterstück von Patrick Süskind?
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Super! Das Dilemma des Kontrabassisten ist sehr genau getroffen. Das Üben ist genauso strapaziös wie der Transport des Instruments. In dem Sinne ist der Kontrabass wie das Leben selbst.
Was unterscheidet den Barock-Kontrabass von einem heutigen?
Zum einen benutzte man früher Darm-, heute Stahlsaiten. Zum anderen wird heute höher gestimmt. Und natürlich war auch die Bauweise, die Bogentechnik und so weiter, eine andere.
Was sind die charakterlichen Unterschiede zwischen Geiger und Kontrabassisten?
Traditionell waren Kontrabassisten eher Bier- und Geiger Weintrinker. Genauso kamen die Blechspieler eher vom Land, während die Streicher feiner, raffinierter waren. Aber diese Stereotypen sind heute überholt.
Sind Sie Dirigent geworden, um nicht mehr Kontrabass spielen zu müssen?
Nein. Ich habe den immer gern gespielt. Aber dirigieren wollte ich schon immer. Meine erste Kindheitserinnerung in dieser Hinsicht: Ich stehe im Haus meiner Eltern auf einer kleinen Plattform, eine LP mit klassischer Musik läuft, und ich dirigiere ein komplettes Orchester. Ich denke, da war ich höchstens fünf.
Sind Sie ein geborener Chef?
Kann man so sagen. Musik war mir in die Wiege gelegt, und als Dirigent habe ich viele Erfolge gefeiert. Das ist ein Geschenk.
Mit dem von Ihnen gegründeten Ensemble Kölner Akademie legen Sie einen Schwerpunkt auf Alte Musik. Wofür steht die Barockepoche?
Die Barockzeit ist nur ein Teil der Alten Musik, die wir spielen. Für die Barockzeit versuchen wir, die Klänge, die den Komponisten vertraut waren, mit den Instrumenten ihrer Zeit nachzubilden.
Mit Barockkunst verbinde ich den Dreißigjährigen Krieg, das Vanitasmotiv: Alles ist eitel, die Erde geht unter.
Natürlich wird all das auch in der Musik dargestellt. Es gibt viele Stücke, die sich mit der Kürze des Lebens, mit Trauer und Tod befassen. Aber genauso oft wird die Liebe und die Lebensfreude gefeiert, und es gibt auch viel Sonnenschein in der Musik. Meiner Meinung nach ist der Sonnenschein im Laufe der Jahrhunderte immer weniger geworden.
Sie sind geborener Amerikaner, die Vereinigten Staaten wurden erst 1789 gegründet. Sie hatten also gar keine Barockzeit.
Nun ja, ein bisschen. Barockmusiker aus England kamen zu uns und brachten uns die europäischen Traditionen und Trends nahe.
Wie sind Sie zur Alten Musik gekommen?
Ich studierte Kontrabass an der Juilliard School, und der Cembalo-Lehrer dort wollte ein Barockensemble mit historischen Instrumenten gründen. Ich fand die Idee toll und meldete mich an. Das öffnete mir eine ganz neue Tür.
Und was war dahinter?
Es entstand eine völlig neue Welt des Klangs und der musikalischen Interpretation, die ich fantastisch fand! Ich begann auch darüber nachzudenken, wie sich die europäische klassische Musik entwickelte, indem sie sich in Richtung Klassik und Romantik bewegte.
Wenn Bach heute lebte: Würde er eher Rockmusik, Elektronik oder Neue Musik machen?
Eine sehr schwierige Frage, auf die ich nicht gerne antworte. Auf jeden Fall wäre seine Musik sehr gut ausgearbeitet und auf höchstem Ausdrucksniveau.
Haben Sie wirklich bei Leonard Bernstein studiert?
Ich habe nicht nur bei ihm in Tanglewood studiert, sondern hatte auch das Glück, als Bassist mit ihm bei der Weltpremiere seiner „Messe“ zusammenzuarbeiten und bei mehreren von ihm dirigierten Konzerten mitzuwirken.
Was war er für ein Typ?
Ein Vollblutmusiker! Sein Verständnis von Musik war einfach unglaublich, unvergleichlich mit jedem anderen, den ich jemals getroffen habe oder noch treffen werde. Wenn er dir eine Brahms-Symphonie erklärte, bemerktest du immer etwas Neues, egal, wie oft du sie schon gehört hast. Sein Intellekt und seine Emotionen verschmolzen zu einem perfekten Ganzen! Der Mann war ein absolutes Wunder.
Wie würden Sie einem Europäer Ihre Geburtsstadt Chevy Chase erklären?
Ich würde es mit Marienburg vergleichen. Die wohlhabenden Bewohner haben große, schöne Häuser, das Leben ist sehr ruhig, und es gibt viel Grün und viele Parks.
Ihr Nachname klingt ein wenig deutsch.
Viele Leute hier sagen tatsächlich, dass es sich wie Niederländisch anhört, wie Willems. Aber ursprünglich kamen die Eltern meiner Eltern aus der Ukraine und Russland, und unser Name war Wilensky. Sie flohen vor den antijüdischen Pogromen in Russland, aber als sie in den USA ankamen, wurden sie vor der antisemitischen Stimmung dort gewarnt, sodass sie beschlossen, ihren Namen in „Willens“ zu ändern
Sie sind mit Ihrer Musik in der ganzen Welt herumgekommen. War alles immer prima?
Ich liebe es zu reisen, andere Lebensstile kennenzulernen und andere Kulturen zu entdecken. Aber es gab auch viele große und kleine Katastrophen: zerbrochene Instrumente, nicht transportierte Instrumente, man muss improvisieren können. Für ein Konzert in Spanien hatten wir mal eine Orgel bestellt und bekamen stattdessen ein kleines E-Piano hingestellt.
Warum haben Sie 1996 die Kölner Akademie gegründet?
Ein eigenes Orchester zu haben, war schon immer einer meiner Träume. Als Kontrabassist habe ich Alte und Neue Musik mit verschiedenen Ensembles gespielt, und ich kannte viele Musiker, die genauso vielseitig waren wie ich. Ich dachte, es wäre etwas Besonderes, mit diesen Musikern ein Orchester zu gründen. Das Wort „Akademie“ wurde übrigens im 18. Jahrhundert noch als Synonym für „Konzert“ verwendet.
Sie graben immer wieder vergessene Komponisten, vergessene Kompositionen aus.
Ich finde es faszinierend, Komponisten zu finden, die zu ihrer Zeit sehr bekannt waren, heute aber völlig vergessen sind. Im Moment beschäftige ich mich mit Friedrich Jeremias Witt (1770 bis 1836), dessen Musik wir demnächst aufnehmen werden. E.T.A. Hoffmann war ein großer Förderer von ihm. Sein Stil erinnert an Haydn, aber auch Schubert und Beethoven sind darin enthalten. Im Grunde bildet er eine Verbindung zwischen diesen großen Meistern und ist daher aus musikhistorischer Sicht sehr interessant.
2019 haben Sie alle Klavierkonzerte von Beethoven eingespielt. Was unterscheidet die Produktion von hundert anderen?
Zuerst war ich mir nicht sicher, ob ich diese Aufnahme überhaupt machen sollte, weil es tatsächlich bereits so viele andere gibt. Aber ich hatte die Gelegenheit, diese Aufnahme mit Ronald Brautigam zu machen, der ein fantastischer Pianist ist. Wir haben dann diese Konzerte mit historischen Instrumenten aus Beethovens Zeit aufgenommen, was einen völlig anderen Klang ergibt, transparenter und mit weniger Vibrato. Viele Leute bevorzugen etwa die Aufnahmen von Daniel Barenboim oder Rudolph Buchbinder als Solisten oder mit den Berliner oder Wiener Orchestern und mögen unsere überhaupt nicht. Aber mit diesem anderen Ansatz haben wir vielen Menschen ein völlig neues Hörerlebnis ermöglicht.
Köln ist die älteste Stadt Deutschlands. Ist sie gut für Alte Musik?
Sehr gut sogar! Viele tolle Musiker leben hier. Der Haushalt wird zwar an allen Ecken zusammengestrichen, aber das Ehrenfelder Zentrum für Alte Musik (Zamus), in dem wir hier sitzen, wird weiter unterstützt werden. Das freut uns genauso wie unser treues Hardcore-Publikum.
Wen wollen Sie als nächstes aus der Versenkung holen?
Es gibt vier lutherische Messen (Missa Brevis) von J. S. Bach, die selten aufgeführt werden, aber fantastische Stücke sind. Neben Witt nehmen wir auch Symphonien von Carl Friedrich Abel, Kantaten von C. P. E. Bach und Johann Schelle sowie eine Operette von Joseph Woelfl auf: „Das schöne Milchmädchen oder Der Guckkasten“.
Dirigieren Sie nur noch, oder spielen Sie bei solchen Aufnahmen selbst mit?
Ich dirigiere nur, denn ich spiele seit 20 Jahren nicht mehr. Ich habe alle meine Instrumente verkauft, ich brauche sie nicht mehr. Ich hatte eine wunderbare Karriere als Kontrabassist mit vielen besonderen Erinnerungen, für die ich wirklich dankbar bin, aber dieses Kapitel meines Lebens ist abgeschlossen. Kurz gesagt: Ich habe mich anderen Dingen zugewandt.