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Interview

Im Imgrund-Gespräch
Eine Traumapädagogin über die Arbeit mit Ziegen

Lesezeit 6 Minuten

Interview mit Ziegen: Im Dauerregen sprach Bernd Imgrund mit Lena Funken.

Lena Funken arbeitet als Traumapädagogin in der Karl Immanuel Küpper-Stiftung mit Tieren, die psychisch kranken Menschen neues Selbstbewusstsein geben sollen.

Wussten Sie, dass Ziegenhörner durchblutet werden und warm sind? Im Zwergziegengehege der Karl Immanuel Küpper-Stiftung in Riehl, wo dieses Gespräch stattfand, kann man nicht nur dies lernen. Bernd Imgrund hat dort mit Lena Funken gesprochen, Traumapädagogin der Stiftung.

Ihre Zwergziegen heißen Lui, Snickers, Karlchen und Oreo. Wer nervt am meisten?

Lui kann manchmal sehr einfordernd sein und möchte alle Streicheleinheiten haben. Anscheinend wird er schnell eifersüchtig. (lacht)

Warum arbeiten Sie mit ausschließlich männlichen Tieren?

Ziegenweibchen werden circa alle drei Wochen brünstig und wollen gedeckt werden. Das würde viel Stress bedeuten. Sterilisierung kommt wiederum nicht in Frage, weil die Weibchen häufig die Narkose nicht überleben.

Was für eine Art Mensch wäre eine verwandelte Ziege?

Auch Ziegen haben jeweils ihren eigenen Charakter. Oreo etwa erinnert uns oft an einen alten, weisen Professor. Er beobachtet gern, hält sich zurück, geht aber auch mit großer Entschlossenheit und Klarheit dazwischen, wenn es nötig ist. Generell brauchen Ziegen in ihre Herde und klare Strukturen. Sie sind keine Einzelgänger, und unsere lieben es zu kuscheln.

Bei der hier praktizierten „Tiergestützten Intervention“ treffen Betreuer, jugendliche Klienten und Tiere aufeinander. Was ist die Rolle der letzteren?

Das hängt von unserer Zielsetzung ab. In erster Linie aber „da sein“: Sie übertragen Entspannung, spenden Trost und können Leichtigkeit und Freude in den Alltag bringen.

Worin unterscheiden sich Tiere in therapeutischer Hinsicht von Menschen?

Sie sind deutlich ehrlicher und authentischer. Während Menschen in der Lage sind, sich zu verstellen, ist die Körpersprache von Tieren ganz klar – man muss nur lernen, sie zu lesen. Die Jugendlichen hier haben so viel Mist erlebt, dass sie das Vertrauen in die Menschen zum Teil verloren haben. Ein Tier kann helfen, einen neuen Zugang zu finden.

Welche unserer klassischen Haustiere sind für therapeutische Zwecke geeignet?

Eigentlich alle, es kommt auf den jeweiligen Einbezug an. Hunde etwa wollen es dem Menschen recht machen und gehen dabei oft über ihre Grenzen. Ziegen hingegen sind eigenständig genug, um sich zu sagen: Da kommt ein Mensch, schön und gut, aber jetzt will ich erstmal futtern. Indem sie die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund rücken, geben sie ein gutes Vorbild für manche unserer Klientinnen und Klienten ab, die das nie gelernt haben.

Hätte sich die Küpper-Stiftung statt für Ziegen auch für die zur Zeit so beliebten Alpakas entscheiden können?

Ja, wenn wir mehr Platz hätten. Ich bin im Gegensatz zu meiner Kollegin Karen Piotrowski allerdings nicht so die Alpaka-Freundin. Mit den Ziegen sind wir hingegen alle sehr glücklich.

Was sind die typischen Probleme der Kinder und Jugendlichen, die Sie hier aufnehmen?

Ein Schwerpunkt der Immanuel-Küpper-Stiftung ist die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen. Einigen fällt es sehr schwer, mit den eigenen Bedürfnissen, Gefühlen, Sorgen und ihren Symptomen umzugehen.

Inwiefern können Tiere da Abhilfe schaffen?

Wir setzen uns zum Beispiel ins Gehege und beobachten. Die Ziegen kommen auf uns zu, und dann entscheidet man eigenständig, wieviel Nähe man zulässt. Schon die Tatsache, dass der Kontakt mitgestaltet und eigene Grenzen gesetzt werden dürfen − und dass die Ziegen deswegen nicht sauer werden −, hat einen Lerneffekt. Wer mit Tieren umgeht, übernimmt auch Verantwortung. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Viele hier sind in der Lage, andere zu versorgen, aber nicht immer sich selbst. Verantwortung für Tiere zu übernehmen, stärkt auch das eigene Selbstbewusstsein.

Hatten Sie in letzter Zeit ein erfreuliches Erlebnis?

Wir haben hier eine Jugendliche von 16 Jahren aus einem gewalttätigen Elternhaus. Sie wurde niedergemacht, wurde ängstlich und traute sich kaum noch zu reden. Aber sie liebte Pferde, und bei uns bekam sie die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Heute führt sie ein Pferd durch einen Hindernisparcours, ihr Selbstvertrauen ist sichtlich gestiegen. Solche Entwicklungen machen mich glücklich.

Und andersherum: Welcher Fall hat Sie niedergeschmettert?

Schwer auszuhalten sind die Momente, in denen es Klientinnen beziehungsweise Klienten sehr schlecht geht. Sie sind bereit, Hilfe anzunehmen, warten dann aber Monate bis Jahre auf einen Therapie- oder passenden Klinikplatz. Diese strukturellen Rahmenbedingungen erschweren die Arbeit.

Der Namenspatron der Stiftung, Landrat Karl Immanuel Küpper (1843−1880), war wahrscheinlich depressiv und hat sich mit erst 36 Jahren umgebracht.

Auch in unserer Stiftung haben wir es mit Menschen zu tun, die immer wieder Suizidgedanken haben und teilweise auch schon einen Suizidversuch hinter sich haben. Uns ist es wichtig, das Thema zu enttabuisieren und präventiv zu arbeiten.

Küpper war ein Kölner Protestant, die Stiftung versteht sich als „christlich“. In welchem Sinne?

Dass wir aufeinander aufpassen, also Nächstenliebe praktizieren. Ich würde uns als eine sehr modern protestantische Einrichtung einordnen. Bei uns sind alle Menschen willkommen und dürfen so sein, wie sie sind.

Sie arbeiten außerdem bei „Kri-Sta“ − Krisenbegleitung und Stabilisierung durch Fachkräfte.

Das ist eine Beratungsplattform für Menschen in Not. Traumapädagoginnen und -pädagogen geben dort kostenlos bis zu drei Beratungsstunden. Es geht dabei um die Stabilisierung, eine erste Hilfe.

Warum arbeiten Sie da umsonst?

Weil es mir wichtig ist. (lacht) Wir machen dort ein qualitativ gutes Angebot für Hilfesuchende. Außerdem ist es wertvoll, sich mit anderen Traumapädagoginnen und -pädagogen auszutauschen.

Ist es nicht furchtbar, jeden Tag mit zum Teil extremen psychischen Problemen konfrontiert zu werden?

Ich habe mir diesen Beruf bewusst ausgesucht. Für mich steht nicht die Krankheit im Vordergrund, sondern dass wir hier tolle, tapfere Menschen ein Stück auf ihrem Weg begleiten dürfen. Im Idealfall verlassen sie uns als Personen, die in Zukunft selbst für sich sorgen können.

Wie lenken Sie sich ab?

Ich gehe viel spazieren und höre Musik. Auf der Arbeit sorge ich dafür, dass ich nach anspruchsvollen Terminen eine Pause mache.

Haben Sie eigene Haustiere?

Früher hatte ich ein Pferd und Katzen, aber mit den Tieren hier habe ich mehr als genug zu tun. Sie arbeiten seit zehn Jahren hier in Riehl.

Haben Ängste, Depressionen und andere psychischen Erkrankungen bei jungen Menschen seitdem zugenommen?

Ich denke schon. Durch Kriege und Klimaprobleme werden die Ängste heutzutage auch realer als früher.

Was bringt Ihnen Ihr Beruf fürs Privatleben?

Ich lerne, weniger zu urteilen und mehr zu hinterfragen.

Das Ziegengehege existiert seit 2022. Wie beliebt ist es bei den Jugendlichen?

Die Ziegen hatten es nicht ganz leicht, weil sie erstmal nicht so süß wie etwa Hundewelpen rüberkommen. Aber Lui, Snickers, Karlchen und Oreo haben großartige Überzeugungsarbeit geleistet, das Projekt läuft inzwischen wunderbar. Sie sind wichtige Wegbegleiter für einige unserer Klientinnen und Klienten.

Könnten Sie aushelfen, wenn der FC einen Geißbock bräuchte?

Wir wollen unsere Böcke natürlich behalten. Aber am ehesten geeignet wäre wohl Snickers. Wir haben Bälle, die man mit Möhren füllen kann. Snickers bearbeitet die sehr geschickt – sowohl per Kopf als auch mit den Beinen. (lacht)