Schon als Kind hat Ute Flemming sich für Hüte interessiert und in der heimischen Manufaktur mitgearbeitet. Bernd Imgrund verrät sie, wann sie gut behütet ausgeht und welchen Stoff sie mag.
Hutmacherin Ute Flemming im Gespräch„Fast 2000 Hüte für „Fackeln im Sturm“ geliefert“
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Im Fastelovend unverzichtbar: Ute Flemming weiß, was einen schönen Hut ausmacht.
Copyright: Thomas Banneyer
Gibt es Kinderfotos von Ihnen mit Hut?
Viele. Als Vierjährige habe ich den Marie-Hut der Roten Funken aufgesetzt und meinem aus Berlin stammenden Vater erklärt, ich werde Funkemariechen. Ich habe dann zuhause so lange rumgenölt, bis ich in der Tanzgruppe war und den Hut tragen durfte - mit schönen bunten Federn dran. Von meinem 6. bis zum 20. Lebensjahr habe ich getanzt und dann auch Tanzgruppen trainiert.
Haben Sie zu Karneval lieber Cowboyhut oder Schornsteinfegerzylinder getragen?
Dann lieber den Cowboyhut, weil ich schon immer ein bisschen ein Revoluzzer war. Ich habe immer Röcke getragen, aber ich war auch die Erste, die über den Zaun geklettert ist.
War es schön als Kind in der Hutmanufaktur?
Na klar. Bunte Hüte, Federn, Glitzer. Strass, Blümchen, rote Kaninchenfelle: Hier steckt in jeder Schublade Geschichte.
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Was hatte es mit den Kreidestrichen Ihrer Kindheit auf sich?
Damit waren die Bereiche abgegrenzt, in denen es gefährlich wurde. Wir haben hier Werkzeug, Nähmaschinen, den Dampfofen. Alle Mitarbeiter haben darauf geachtet, dass ich nicht über die Kreidestriche gehe.
Was macht ein Hut mit einem Kopf?
Er verändert den Typ. Man wechselt quasi von jetzt auf gleich in ein anderes Outfit. Mit einem Hut können Sie sich schick machen, Sie können extravagant aussehen oder in den Karneval ziehen.
Was unterscheidet etwa die Schirmmütze von der Melone?
Eine Schirmmütze ist meistens vor allem praktisch. Sie hält warm und schützt gegen Regen. Eine Melone steht für einen bestimmten Stil. Denken Sie an die Peaky Blinders-Mode mit Stresemann und Hosenträgern.
Ist Köln eine Hutstadt?
In Mailand mag man sich ein bisschen schicker anziehen als hier, aber ich glaube, es gibt keine Stadt mehr für Hüte. Früher hat nur ein freier Mann Hut getragen. Das war ein Prestigeobjekt, aber das endete mit dem Aufkommen des Autos.
Bei welchen Gelegenheiten tragen Sie selbst Hut? Bei der Arbeit offenbar nicht.
Da würde er stören. Aber an einem Regentag wie heute setze ich einen Hut auf. Auch auf den Weihnachtsmarkt gehe ich nicht ohne Hut, damit der Kopf warm bleibt. Und wenn ich im Sommer nett rausgehe, trage ich auch einen. Ich habe so um die hundert Hüte zuhause.
Haben Sie ein Lieblingsmaterial?
Es gibt Wollfilz und Haarfilz. Der Haarfilz ist schöner, weicher. Aber wenn ich Rosenmontag acht Stunden im strömenden Regen laufen muss, schützt Wollfilz besser.
Es gibt alte Stoffe, die treiben einem ein Lächeln ins Gesicht, haben Sie mal gesagt.
Seidenvelour etwa ist ein Handschmeichler. Haben wir noch hier, aber in dieser Qualität bekommen Sie das heute nicht mehr. Der wird aus Hasenhaar hergestellt und fühlt sich an wie langhaarige Seide. So einen Stoff mag man die ganze Zeit nur streicheln. Wenn ich Ihnen den in die Hand gebe, lächeln Sie auch.
Bei der Recherche hat mich die Hutmacher-Fachsprache fasziniert. Was zum Beispiel ist ein Schwabbel?
Ein Gerät zur Bearbeitung der Oberfläche der Hüte.
Was macht ein Putzmacher?
Das ist ein dem Hutmacher artverwandter Beruf. Schleifchen dran, Bänder dran, Litzen dran, Federchen dran: Das ist Putzmacherarbeit.
Und woher stammt die Redewendung „Es geht mir über die Hutschnur“?
Wenn man mit dieser Schnur abrutscht, hat man ein Loch im Hut. Dann war die ganze Arbeit umsonst, und man fängt noch einmal von vorn an.
An welchen körperlichen Auffälligkeiten erkennt man einen Hutmacher?
Wir haben wegen der Arbeit mit Dampf ganz weiche Hände und nie eine Schwiele. Ein Hutmacher holt die Nudeln aus dem kochenden Wasser, ohne etwas zu spüren. Und beim Nähen kann er die Nadel durch die Haut ziehen, ohne dass es blutet.
Für welche berühmten Fernseh- und Filmproduktionen haben Sie gearbeitet?
Für „Fackeln im Sturm“ zum Beispiel. Da haben wir fast 2000 Hüte geliefert, für sämtliche Darsteller.
Und Sie haben mit Patrick Swayze über Farben und Formen diskutiert?
Nein, das lief alles über Agenturen. Genauso bei „Wild Wild West“ mit Will Smith und vielen anderen Produktionen. Da sieht man erst danach im Fernsehen, wo die Hüte hingingen.
Wie kommen amerikanische Agenten auf die Flemmings im hintersten Ehrenfeld?
In Deutschland sind wir die letzte Produktionsstätte dieser Art, wo alles in Handarbeit gefertigt wird. In Europa gibt es auch nicht mehr viele vergleichbare Manufakturen. Die Branche ist mittlerweile so klein, dass man sich kennt und gegenseitig hilft. Man braucht keine Konkurrenz, weil es mehr als genug Arbeit gibt.
Und die macht auch noch Spaß?
Ich bin die vierte Generation und habe die nächste schon hier sitzen. Hutmacher ist ein toller Beruf. Sie stellen etwas Schönes von Hand her, mit großartigen alten Maschinen. Das kommt so nie wieder zurück, weltweit fehlt es an Gerätschaften und Know-how.
Wird das Basecap irgendwann zum Tod des Hutmachers?
Nein, der Hut als individuelles Accessoire wird bleiben. Einzelne Basecaps machen wir nicht, das ist zu teuer. Wenn wir das in Deutschland herstellen, fangen wir bei 120 Euro an, in China kriegen Sie sowas für drei.
Woran erkennen Sie den Unterschied zwischen Handarbeit und maschineller Arbeit?
Den erkenne ich an der Oberfläche des Hutes. An der Naht des Hutes und an seiner Form. Billighüte verfügen nicht mal mehr über ein Futterband, das ist wie eine Hose ohne Hosenbund.
Nehmen wir mal einen Hut der Blauen Funken. Worin besteht die Schwierigkeit?
Der Hut der Blauen Funken ist der größte im Kölner Karneval. Da stecken zunächst mal 300 Gramm Wolle drin. Und dann ist da eine Büffelhaarperücke eingenäht. Die Haare stammen von weißen Yak-Büffeln aus Tibet. Alles wird von Hand auf Maß genäht, ebenso wie danach die Litze und später der äußere weiße Marabubesatz. An so einem Hut arbeiten Sie rund acht Stunden.
Und was kostet ein Einzelstück am Ende?
Da sind Sie bei 500 Euro für den Hut und nochmal 230 für den Federbusch.
Sie sind mit dem Karneval aufgewachsen. Gefällt er Ihnen noch?
Ja, klar. Karneval ist eine wunderschöne Tradition. Damit meine ich nicht das Arsch-Voll-Toll, sondern etwa eine Kindersitzung mit Tanzgruppen, die dreimal pro Woche trainieren für ihr unbezahltes Hobby. Die haben 100 Auftritte jedes Jahr, bügeln ihre Sachen selbst und geben auf der Bühne alles.
Feiern Sie durch von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch?
Ich bin seit dem 11.11. unterwegs. Mitglied bin ich nur bei den Chevaliers, das ist eine reine Charity-Sache. Aber ich gehe darüber hinaus auf viele Veranstaltungen.
Es gab eine Zeit, da wollten Sie Paläontologin werden.
Weil ich mit 18 auf gar keinen Fall bei Papa im Betrieb sein wollte! Aber ich war auch schon immer an Tieren interessiert und habe mit 13 im Freilichtmuseum in Kommern hospitiert. Es ist faszinierend, was man aus alten Steinen und versteinerten Holzrinden herauslesen kann.
Wie weit sind Sie gekommen?
Paläontologie wurde kurz vor Ende meines Studiums gestrichen. Ich habe stattdessen ein Diplom in Biologie und eines in Sport.
Welche Sportarten waren Ihre Favoriten?
Im Handball habe ich Landesliga gespielt, und in früher Jugend war ich mal Zweite der Deutschen Meisterschaft im Lagen-Schwimmen. Heute würde man sagen, ich war ein hyperaktives Kind. Meine Eltern haben mich in Sportvereine geschickt, damit ich überhaupt handhabbar war.
Heutzutage sind Sie sportlich vor allem mit dem Motorrad unterwegs - Helm statt Hut.
Ich habe schon mit 13 angefangen, Mofas zu frisieren und mit den Nachbarjungs rumzudüsen. Inzwischen fahre ich gern durchs Bergische, bin aber auch auf Rennstrecken unterwegs – auf dem Hockenheimring oder Nürburgring. Ich liebe es, so eine Maschine zu beherrschen.
Frisuren leiden unterm Helm. Unterm Hut auch?
Leider, na ja. Sie werden neu gestylt. Gehört dazu.
Zur Person
Ute Flemming wurde 1972 in eine Berlin-Kölnische Hutmacher-Dynastie hineingeboren. Schon als Kind half sie in der Manufaktur aus. Ab ihrem sechsten Lebensjahr war sie in verschiedenen Karnevalsvereinen als Tänzerin aktiv. Nach dem Einser-Abitur studierte sie zunächst Paläontologie, machte dann ein Diplom in Biologie und Sport.
Daran schloss sie eine Lehre in der Hutmanufaktur ihres Vaters in Ehrenfeld an. Nach dessen Tod 2013 übernahm sie den elterlichen Betrieb, den sie noch immer führt. Heutzutage ist die Hutfabrik Flemming in der Ehrenfelder Marienstraße die letzte ihrer Art. Jenseits der Arbeit frönt sie dem Karneval und dem Motorradfahren.
Ute Flemming wohnt in Ehrenfeld.