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Interview

Musa Deli ist ne „kölsche Jung“
„Heimat ist da, wo die Liebsten sind, und das ist für mich Köln“

Lesezeit 7 Minuten
Über Probleme muss man sprechen und sie lösen: Musa Deli ist in Mülheim groß geworden.

Über Probleme muss man sprechen und sie lösen: Musa Deli ist in Mülheim groß geworden.

Musa Deli ist ne „kölsche Jung“: Mit Bernd Imgrund sprach er über seine Arbeit im Gesundheitszentrum, Sorgen vor einer starken AfD und was er tun würde, wenn er einen Tag König von Köln wäre.

Sie sagten am Telefon, Sie seien ein „kölscher Jung“. Was bedeutet das für Sie?

Mein Vater kam 1965 nach Köln, um dann 40 Jahre bei Ford zu arbeiten. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich arbeite hier, und meine Kinder sind in Köln zur Welt gekommen. Heimat ist da, wo die Liebsten sind, und das ist für mich Köln.

Bedeutet das Etikett „Kölscher Jung“ für einen Menschen mit Migrationshintergrund etwas anderes als für einen „Bio-Kölschen“?

Ich identifiziere mich mit dieser Stadt und bin mit ihr gewachsen. In der Türkei, der Heimat meiner Eltern, bin ich genauso fremd wie Sie.

Was würden Sie vermissen, wenn Sie aus Köln fort müssten?

Kölner sind sehr offene Menschen, lockerer und wohlwollender als anderswo. Man wird hier auch schneller aufgenommen als etwa in Bayern. Ich bin in Mülheim aufgewachsen und wohne inzwischen mit Familie in Deutz. Das sind also meine beiden Heimat-Veedel.

Sie sind in einer fünfköpfigen Familie in zwei Zimmern aufgewachsen.

Ich bin mit der Lebenslüge meiner Eltern großgeworden: Man gehe irgendwann zurück in die Türkei. Das führt dazu, dass man mit einer angezogenen Handbremse durchs Leben geht. Entbehrungen wurden damit entschuldigt, das Geld müsse fürs schöne Leben in der Türkei gespart werden. Als klar war, wir bleiben hier, hatte sich meinen Eltern gegenüber eine Menge Wut angestaut.

Imgrund Interview mit Musa Deli

Musa Deli

Ihr Vater starb 2009. Konnten Sie ein paar Kindheitsprobleme bereden?

Das war nicht möglich, schon aufgrund des Respekts vor meinem Vater. Er ist als Analphabet aus Anatolien gekommen, wusste es nicht besser und hat es nicht böse gemeint mit mir. Meine Mutter lebt noch immer mit dieser Lebenslüge, vermutlich aus einer Art Psychohygiene heraus: Sie will sich schützen vor der Enttäuschung ihres Lebenstraums.

Sie haben zunächst nur einen Hauptschulabschluss gemacht.

Ich war nie im Kindergarten, aufgrund der sprachlichen Barrieren wussten meine Eltern gar nichts von so einer Institution. Deshalb wurde ich praktisch ohne Deutschkenntnisse eingeschult und auch schnell zurückversetzt. Auf der Realschule wurden nach wenigen Wochen meine Eltern einbestellt: Der Junge schafft niemals die Mittlere Reife. Und so landete ich dann auf der Hauptschule.

Ihre Eltern kannten vermutlich auch nicht das verzweigte deutsche Schulsystem.

Natürlich nicht. Nach der Schule sagte mein Vater, Junge , geh arbeiten. Und die indirekte Botschaft war: Zu mehr taugst du nicht. Entsprechend hatte ich immer das Gefühl, dumm zu sein und nichts im Leben erreichen zu können.

Nach der Hauptschule haben Sie eine Lehre als Industriemechaniker gemacht.

Ich habe bei der KVB gearbeitet.

Könnten Sie die kaputten Straßenbahnen reparieren?

Meine Frau hält nicht viel von meinen handwerklichen Fähigkeiten. (lacht) Aber ich denke, das könnte ich tatsächlich noch.

Wenn man in Deutschland Karriere machen will, studiert man BWL. Warum haben Sie sich für die Sozialwissenschaften entschieden?

Eigentlich wollte ich nach Abendschule und Abitur Regie studieren, war da aber wohl einigermaßen talentfrei. Weil Migration immer eines meiner Lebensthemen war, weil ich hinter die gesellschaftlichen Kulissen schauen wollte, bin ich dann zu den Sozialwissenschaften gewechselt.

Warum braucht Köln ein Gesundheitszentrum für Migranten und Migrantinnen?

Über vierzig Prozent aller Kölner haben einen Migrationshintergrund. Es gibt kulturelle, sprachliche und nicht zuletzt institutionelle Barrieren für diese Menschen. Es mangelt an muttersprachlichen Psychotherapeuten und Psychiatern. Solche Hilfen versuchen wir den Menschen zu vermitteln, und ebenso helfen wir bei der Wiedereingliederung nach einem Psychiatrieaufenthalt.

Was sind typische Erkrankungen?

Die erste Generation hat lebenslang hart gearbeitet. Wenn die Bilanz ziehen, sind sie weder reich geworden noch zurück in die Türkei gegangen. Viele von ihnen leiden an Depressionen. Die zweite Generation hat häufig Beziehungsschwierigkeiten. Viele von ihnen sind als Kofferkinder in der Türkei zurückgeblieben und bis zur Nachholung ohne Eltern aufgewachsen. Unter ihnen sind auch Suchtkrankheiten keine Seltenheit.

Ihr letztjährige Buch „Zusammenwachsen. Die Herausforderungen der Integration“ wurde stark beachtet. Sind Sie jetzt reich?

(lacht) Als Autor wird man nicht reich. Ich hätte mir gewünscht, dass meine Forderungen stärker beachtet würden.

Sie plädieren zum Beispiel für eine zweijährige Kindergartenpflicht.

Weil der außerschulische Bildungsauftrag in vielen Migrantenfamilien nicht stattfindet. Im Kindergarten lernt man Kleinigkeiten wie Schere halten, Schuhe zubinden, die Uhr lesen. Jedes Jahr werden massenhaft Kinder eingeschult, die kein Wort Deutsch sprechen, eine totale Überlastung für die Schulen.

Welche Reaktion bekommen Sie bei Lesungen immer wieder?

Ich höre oft: Sie fordern, fordern, fordern! Vielen Menschen ist nicht klar, dass ich Deutschland liebe und das Beste für dieses Land will. Wir bezahlen heute für die Fehler, die vor 30, 40 Jahren gemacht wurden. Wenn Deutschland sich interkulturell öffnet, wird es zugleich enorm viel Geld einsparen.

Gelten Sie den Erdogan-Anhängern als Nestbeschmutzer?

Man kann es nicht allen recht machen, das ist auch nicht mein Ziel. Über Probleme muss man sprechen und sie lösen. Gerade nach Fernsehauftritten bekomme ich natürlich auch viele böse Mails und Kommentare, aber von beiden Seiten, also auch von der deutschen Rechten.

Drei Schlagzeilen aus den letzten Tagen, erstens: Asylheime werden zunehmend von Islamisten unterwandert.

Uns fehlt es in Deutschland an allen Ecken an Strukturen. Wir können nicht alle Menschen aufnehmen. Andererseits sieht man es einem Migranten nicht an, ob er Islamist ist. Auch nach Anschlägen wie dem in Magdeburg darf man nicht alle Muslime in Sippenhaftung nehmen.

Zweitens: Die AfD wird bei der Wahl Ende Februar zweitstärkste Partei.

Wir leben in einem demokratischen Land. Aber als Mensch mit Migrationshintergrund mache ich mir natürlich Sorgen, nicht zuletzt, weil so viele junge Deutsche die AfD wählen. Selbst Erdogan-kritische Türken überlegen inzwischen, von Deutschland in die Türkei auszuwandern, weil die Stimmung hier kippt.

Das passt zu drittens: Warum zieht es kaum hoch qualifizierte Migranten nach Deutschland?

Kann ich nur bestätigen! Die Menschen im Ausland bekommen die deutschen Debatten durchaus mit. Dass zum Beispiel die doppelte Staatsbürgerschaft wieder auf der Kippe steht, macht Deutschland extrem unattraktiv. Ich besitze selbst beide Pässe, und beide betreffen meine Identität als Deutscher und Türke.

Mein Eindruck: Italiener und Dänen sind leichter zu integrieren als Türken und Marokkaner.

Da stimme ich zu. Erstere kommen aus einem ähnlichen, christlichen Kontext, dadurch wird manches leichter.

Vielleicht liegt die Krux bei der Religion.

Ich bin gläubiger Moslem. Aber wie der ganz überwiegende Teil der Moslems in Deutschland bin ich weder radikal noch sonst was. Integration hat viel mit Bildung zu tun.

In Interviews plädieren Sie anders als viele Linksliberale für staatliche Vorgaben.

Der Staat muss die Rahmenbedingungen für Integration schaffen – Kitaplätze, Sozialwohnungen, Bildungseinrichtungen. Jeder, der nach Deutschland kommt, muss die deutsche Sprache lernen. Er muss die hiesigen Normen und Werte akzeptieren und sich mit den deutschen Gepflogenheiten und Sitten auskennen. Außerdem sollte er sich gesellschaftlich beteiligen – ob ehrenamtlich oder beruflich.

Was würden Sie als Erstes angehen, wenn Sie für einen Tag König von Köln wären?

Wir leben seit 60 Jahren zusammen und wissen noch immer fast nichts voneinander. Finde ich schlimm. Immer wieder aufs Neue den Nachbarn über Ramadan aufzuklären, ist mühselig. Mein erstes Thema wäre deshalb, die interkulturelle Kompetenz auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu stärken.

Wie gut ist Ihr Türkisch?

Nicht so gut wie mein Deutsch, aber flüssig.

Sprechen Sie mit Dialekt?

Ja. Meine Familie stammt aus Kırşehir in Mittelanatolien, und das hört man mir noch an.

Un kannst´e och e bessje Kölsch schwaade?

(lacht) Ein bisschen schon, ja.

Efes Pilsen oder Reissdorf Kölsch?

Ich trinke keinen Alkohol.

Orhan Pamuk oder Heinrich Böll?

Heinrich Böll.

Döner oder Sauerbraten?

Döner. Ich mag Fleisch gern mit Salat und Brot, das passt.

Feiern Sie Karneval?

ich gehe mit meiner deutschen Frau und den beiden Kindern zum Rosenmontagszug, und wir feiern auch hier im Gesundheitszentrum. Weiberfastnacht um 11 wird in unseren Büros die Arbeit niedergelegt.