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Interview

Kölner Travestie-Künstlerin
„Ich bin eine Rampensau und stehe seit 40 Jahren auf der Bühne“

Lesezeit 7 Minuten
Anemarie Haupert

Annemarie Haupert bezeiochnet sich selbst als eine Rampensau.

Annemarie Haupert trat viele Jahre im Kölner Travestie-Club Timp auf. Bernd Imgrund sprach mit ihr über den Weg vom Beamtenkind in Kölns Nachtleben.

Sie sind Stadtführerin und Travestiekünstlerin. Gibt es da Überschneidungen?

Beides läuft auf eine Show hinaus – mit einem guten Opening, einem tragenden Mittelstück und einem tollen Finale.

Wie verhindert man bei Stadtführungen Monotonie?

Indem du dich preisgibst und bist, wer du bist. Ich bin eine Rampensau und stehe seit 40 Jahren auf der Bühne. Da bekommt man ein Gefühl für jede neue Gruppe und schafft es, die zu überzeugen.

Was passiert einem da so?

Bei einem Junggesellinnenabschied sollte die zukünftige Braut Passanten mit einem Herzballon ansprechen: „Kannste jet blose?“ Ein älterer Herr ließ sich trotz der hartnäckigen Warnungen seiner Gattin darauf ein. Und als er anfing, feste zu blasen, flog ihm das Gebiss heraus.

Wer nervt bei Führungen?

Klugscheißer und Lehrer. Kindergärtnerinnen machen alles, was sie den Kindern beibringen wollen, selber nicht. Zum Beispiel mal still sein und zuhören.

Trinken Sie bei den Brauhaustouren mit?

Als selbstloser Märtyrer opfere ich mich und trinke mit. (lacht)

Haben Sie ein Lieblingsveedel?

Ich bin in Deutz aufgewachsen und habe lange in Ehrenfeld gelebt. Aber die Südstadt ist mein Zuhause. Sie ist so familiär wie rotzig, hier sagt jeder frei heraus, was ihm nicht passt.

Geboren wurden Sie in Luxemburg. Warum sprechen Sie fließend Kölsch?

Als Beamtenkind musste ich zuhause Hochdeutsch reden. Nachdem ich mit 17 ausgezogen war, kam ich mit echten Kölschen in Berührung. Das Kölsch hat mich gefunden, sag ich gern. Auf Kölsch kannst du den gewöhnlichsten Sachverhalten einen wunderschönen Klang geben.

Was waren das für Menschen, die Ihnen den Dialekt nahebrachten?

Einer arbeitete als „Empfangsdame“ in einer F***-Sauna. Der Micha war eine echte kölsche Kraat. Und als ich dann in die Timp-Szene eintauchte, wurde das Kölsche noch verstärkt. (Timp: Legendäres Travestie-Lokal und Nachtclub am Heumarkt 1978 bis zur Schließung 2008)

Ihr Travestie-Künstlername ist Swanee Feels. Was fühlt Swanee zur Zeit?

Große Dankbarkeit. Vor zwei Jahren habe ich eine schlimme Diagnose bekommen, und zur Zeit geht es mir recht gut.

Wie kam es zu diesem Namen?

Meine erste Parodie in der Timp war Judy Garland, die den alten Song „Swanee“ gesungen hat. „Feels“, also „fühlt“ passt zum Dramatischen rund um die Timp. Ganz am Anfang hieß ich „Andrea Lux“, weil ich Lux Filter geraucht habe.

Wann entdeckten Sie die Travestie für sich?

Als ich 14 wurde, stellte ich fest: Meine Schwestern kriegen Titten und ich nicht. Da merkte ich, irgendwas stimmt nicht. Während meiner Kochlehre kam ich nach der Arbeit immer an der Timp vorbei, und schließlich bin ich da mal rein. Als ich mit 17 die erste Show meiner Freundin Claudia Cardell sah, wusste ich: Das will ich auch machen!

Nach der Lehre haben Sie dann auch schnell in der Timp angefangen. Kein leichter Schritt für ein Beamtenkind.

Die Timp galt als extrem verrucht. Damit habe ich mich zum ersten Mal gegen meine dominanten Eltern durchgesetzt. Mein Vater ist mit einer Waffe angekommen, um mich da rauszuholen. Na ja, letztlich bin ich dadurch zuhause rausgeflogen.

Können Sie sich an Ihre erste Nummer erinnern?

„Yesterday“ von den Beatles, aber in der Version von Mary & Gordy, die schon seit den 1970ern als Travestiekünstler auftraten. Damals gingen die Promis ein und aus in der Timp, aber gleichzeitig hatte auch jeder Anfänger die Chance, dort mal aufzutreten. Der Willi (Willi Gleno-Geloneck, geb. 1941, legendärer Gründer und Chef der Timp) hat die dann in den Keller geschickt, wo die irgendwelche Kleider überwarfen, und los ging's.

Wie weit ging Ihre körperliche Umwandlung?

Wir haben uns damals auf allen möglichen Wegen Hormone besorgt, wie Drogen, das war ja alles noch illegal. Die letzte Operation habe ich mir allerdings gespart, nachdem mir meine Freundin Michaela, Ethnologieprofessor, ihr frisch operiertes Ding da unten gezeigt hatte. Das war mir zu hart. Eine Frau bin ich auch ohne die OP.

Damals in den 1980ern galt noch die Wehrpflicht.

Bei der Musterung hatte ich schon Brüste. Die haben mich zu einem Psychologen geschickt, um Klarheit zu haben. Letztlich wurde ich ausgemustert.

Und so wurde aus André die Annemarie.

Als meine Schwestern Kinder bekamen, nannten die mich „OnTa“, also Onkel-Tante. Eines Tages ging ich mit einer Schwester auf die Sonnenbank, und die Frau da wollte unsere Vornamen wissen. „Annemarie“, taufte mich meine Schwester spontan – so hieß unsere Tante. Und seitdem bin ich die Annemie.

Woher kommt die Travestie-Tendenz zum Opulenten?

Travestie ist die Kunst der Verwandlung. Auf die Bühne kannst du nicht als stinknormale Hausfrau gehen. Ich bin eine kräftige, üppige, fette Person, und das betone ich mit meinen Outfits umso mehr. Privat würde weder so rumlaufen noch so sprechen. Aber meine Bühnenkleider lasse ich extra schneidern, das ist eine teure Angelegenheit.

Das Timp musste 2008 nach 30 Jahren schließen. Mit Ihren allnächtlichen Auftritten war es dann vorbei.

Genau. Sonntags bewarb ich mich als Stadtführer, montags kam die Zusage, und am Dienstag habe ich mich zur Ausbildung angemeldet. Mein erster Einsatz war eine Brauhaustour mit 20 Weibern, das lief sofort ganz wunderbar. Wenn du von der Bühne kommst, kannst du uss d'r Lamäng ärbedde, du kannst improvisieren.

Waren Sie nach der Schließung noch einmal drin?

Nein! Ich war da 28 Jahre lang die Königin, das tue ich mir nicht an. Das Kapitel ist für mich abgeschlossen, ganz ohne Wehmut. Ich lebe im Jetzt.

Bald startet der Sitzungskarneval. Sie waren von früh an Teil der Rosa-, Gloria-, heute Röschensitzung.

Ich bin nicht der totale Karnevalsjeck, am liebsten sehe ich ihn mir im Fernsehen an. Ich bin mit „Mainz bleibt Mainz“ großgeworden. Aber als 2006 die Anfrage der Röschensitzung kam, habe ich mich natürlich gefreut.

Ist die queere Szene auch spießiger geworden?

Ja. Wenn früher eine Farbige ins Timp kam, nannte der Willi die seine „kleine Lakritzstange“. Da gäb heute sicher einen Riesenärger. Und bei Stadtführungen singe ich den „C-A-F-F-E-E“-Kanon von Carl Gottlieb Hering (1766–1853), da ist vom „Türkentrank“ und vom „Muselmann“ die Rede. Viele singen das nicht mit, weil sie es politisch unkorrekt finden.

Wenn man sich die verstorbene Marie Luise Nikuta, Marita Köllner oder Sie ansieht, scheint es ein Gesetz zu geben, das kölschen Stimmungsfrauen rote Haare vorschreibt.

Das ist so. Als Blondine wirst du nicht ernstgenommen, als Schwarzhaarige wirkst du zu hart. Aber Rot ist die Sünde! Sie kennen doch sich den Spruch vom rostigen Dach und seinem Keller?!

Klar, aber vielleicht lassen wir den besser außen vor und fragen nach dem Nachwuchs: Hat die Travestie-Kunst eine Zukunft?

Die Travestie, wie ich sie kenne, scheint auszusterben. Playbackgesang, Look-Alike-Verkleidung und so weiter gibt es kaum noch. Was stattdessen boomt, sind die Drag-Queens, also Leute, die sich eine Figur erfinden. Das ist der Zeitgeist und kommt auch im Fernsehen an. Aber auch Leute wie Olivia Jones, wir kennen uns schon ewig, musste viele Klinken putzen, um Erfolg zu haben.

Zum Schluss drei Entweder-Oder-Fragen: Rex Gildo oder Guildo Horn?

Beide! Mit Guildo Horn habe ich auf der Rosa Sitzung im Gloria zusammengearbeitet, ein toller Mensch und toller Künstler. Der brennt für seine Sache. Rex Gildo war auch toll, schrecklich, wie er endete.

Der Dom oder St. Georg, in dessen Schatten Sie wohnen?

Obwohl ich in St. Georg immer um göttlichen Beistand bete: der Dom, denn der Dom ist Heimat.

Mittelalter Gouda oder Flönz?

Auch beides, und zwar mit Düsseldorfer Löwensenf. In dem Fall darf mir Düsseldorf gern die Tränen in die Augen treiben.