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Interview mit Chorleiterin„Ich fand beeindruckend, wie schräg die Brausen sind“

Lesezeit 7 Minuten
sabel Dürr

Isabel Dürr ist Chorleiterin der „Brausen“

  1. In grellen, rosafarbenen Kostümen tritt der Frauen-Shanty-Chor „Die Brausen“ auf. Und zwar mit Seemannsliedern, denen alles Vollbarthaftige genommen ist.
  2. Mit Chorleiterin Isabel Dürr sprach Bernd Imgrund.

Ihr Gesangsstudio liegt in einem alten Hochbunker in Zollstock. Eine ganz besondere Stimmung herrscht dort – verbunden mit einer speziellen Akustik.

Welche Musik hatten Ihre Eltern im Plattenschrank?

Viele Schlager und auch Klassik. Aber meine Mutter ist vor allem ein großer Elvis-Fan. Mir geht es genauso, Elvis hatte diese urige Stimme, diese unglaubliche Bühnenpräsenz. Er trug seine Seele auf der Zunge.

Aber irgendwann gewann die Klassik die Oberhand.

Mein Bruder hatte zu Weihnachten die „Entführung aus dem Serail“ bekommen, meine ältere Schwester den „Fidelio“, meine jüngere die „Carmen“ und ich den „Freischütz“. In die CD meines Bruders habe ich mich dann verliebt, Mozart habe ich rauf- und runtergehört. Irgendwann konnte ich den Text schließlich mitsingen.

Wie kam es nach dem Studium zum Wechsel aus dem Schwabenland nach Köln?

Meine Gesangslehrerin war leider gestorben. Über eine Kollegin kam ich in Kontakt mit einer tollen Lehrerin aus Dieringhausen im Oberbergischen. Das passte damals so gut, dass ich dann ganz schnell ins Rheinland zog.

Zur Person

Isabel Dürr wurde 1976 in Stuttgart geboren. Mit 18 begann sie eine Gesangsausbildung und studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart sowie an der dortigen Opernschule. Sie schloss das Studium mit einem Künstlerischen und einem Lehrenden Diplom ab.

Schon während des Studiums wirkte sie an Opernproduktionen mit, unter anderem an der Staatsoper Stuttgart. In den Folgejahren sang sie auch im Festspielhaus Baden-Baden, im Kölner Gürzenich, auf dem Klassik-Festival Monschau und dem Beethovenfest An der Kammeroper Köln sang sie von 2009 bis 2012 die Partie der Musette aus „La Bohème“. Im eigenen Studio in Zollstock unterrichtet sie Gesang. Regelmäßig gibt Isabel Dürr zudem Kirchenkonzerte.

2017

übernahm sie die Leitung des rein weiblichen Shanty-Chors „Die Brausen“ aus der Südstadt. Die 27-köpfige Gruppe tritt u.a. bei Feiern, Straßenfesten und im Karneval auf. Isabel Dürr wohnt in Bergisch Gladbach.

www.isabel-duerr.com

www.die-brausen.de

War das ein Schock?

(lacht) Gar nicht! In Stuttgart fehlte mir schon in meiner Jugend so ein gewisser Humor, die Lockerheit, sein zu dürfen, wie man eben ist. Hier in Köln habe ich mich vom ersten Moment an frei gefühlt. Die Stuttgarter ziehen aber nach. (lacht)

Auf Ihrer Website findet man sehr schöne Tonbeispiele: Etwa Mozarts „Agnus Dei“ aus der „Krönungsmesse“. Wo können Sie das heutzutage vortragen?

Hauptsächlich in Kirchen. In Bonn-Kessenich habe ich Kontakt zur St. Nikolauskirche. Kirchenmusik vermittelt eine große Ruhe, sie berührt mich und gibt mir Kraft. Wenn ich etwa das „Stabat Mater“ von Giovanni Battista Pergolesi singe, gelange ich tief in mich selbst. Und es macht mich glücklich, wenn sich das auf das Publikum überträgt.

Warum wurde letztlich keine Netrebko aus Ihnen?

Darüber muss ich nachdenken und mal Frau Netrebko fragen.

Sie geben auch Gesangsunterricht. Woran erkennt man ein Talent?

Zunächst mal gehört eine gewisse Musikalität dazu. Aber da geht es auch um Körperbewusstsein, um die Umsetzungsfähigkeit beim Arbeiten an der Stimme. Und natürlich um Fleiß!

Vermutlich trainieren Leute wie Gerd Köster und Wolfgang Niedecken eher nicht bei Ihnen im Bunker?

Nein, aber wenn sie an ihrer Stimme feilen möchten, können sie gern vorbeikommen. (lacht) Hier in Köln kennt man am ehesten die Kabarettistin Hildegard Scholten, die ich seit vielen Jahren trainiere.

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Ihre Hauptmethode ist die „Funktionale Stimmbildungslehre“. Worum geht es da?

Mir hat mal eine Lehrerin gesagt: „Du musst den Ton trinken!“ Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, und die „Funktionale Stimmbildungslehre“ setzt halt an den Funktionen der Kehle an − man beginnt an der Quelle des Tons. Eine klare Arbeitsweise und abrufbar.

Apropos trinken: Sie sind seit 2003 in Köln. Wie gut ist Ihr Kölsch?

(lacht, verfällt ins Rheinische) Also ich kann diesen Singsang recht gut imitieren, mir fehlt nur so manche Vokabel. Kölsch mit Knubbele – wenn ich in Stuttgart bin, hören die das raus.

Gibt es zwischen Kölsch und Schwäbisch markante Unterschiede?

Kölsch wird weiter vorn artikuliert, Schwäbisch eher hinten, gutturaler.

Über kaum eine andere Stadt gibt es so viele Lieder wie über Köln. Woran wird das wohl liegen?

Das liegt am Karneval und daran, dass der Karneval das ganze Jahr über durchgepflegt wird. Egal wo man ist, ab einem bestimmten Zeitpunkt werden kölsche Lieder geschmettert. Das prägt die Menschen hier.

Seit 2017 sind Sie Chorleiterin der Brausen, des rein weiblichen Shanty-Chors aus der Südstadt.

Ich fand von Anfang an beeindruckend, wie schräg und bunt die Brausen sind. Mir gefielen diese Texte, dieses Treiben auf der Bühne. Das sind einfach tolle Frauen, die alle ihre Stärken einbringen. Die eine näht Kostüme, die andere schreibt Texte, und die nächste entwirft und betreut die Homepage – ein Gesamtkunstwerk.

Weder Stuttgart noch Köln liegen am Meer. Waren Sie wenigstens mal auf der Aida?

(lacht) Nee, weder als Kunde noch als Künstler. Aber ich schwimme gern im Meer.

Freddy Quinn oder Hans Albers?

Freddys Stimme gefällt mir besser.

Hans Albers konnte ja auch gar nicht singen.

So wollte ich das jetzt nicht sagen.

Rum oder Aquavit?

Weder noch, und ich muss zugeben: Mir schmeckt auch kein Bier. Ich halte mich lieber an süße Wodka-Cocktails oder mal einen Caipirinha.

Singen Sie als Chorleiterin mit?

Bei einigen Songs schon.

Ruiniert man sich auf dem Straßenfest nicht die Opernstimme?

Man muss es halt richtig machen. Wenn ich allerdings im Karneval richtig Gas gebe und womöglich einen im Tee habe, ist meine Stimme am nächsten Morgen weg. Oder eine Oktave tiefer gesunken. (lacht)

Seemannslieder handeln normalerweise von Jan und Hein und Klaas und Pit – von Männern mit Bärten. Bei den Brausen hingegen singen nur Frauen.

Kein Problem, wir texten einfach alles so um, wie es zu uns passt. Und bei einigen Liedern ist das nicht einmal nötig. Meine Lieblingssongs in unserem Repertoire sind „Der kleine Hai“ und „An Land“ von Element of Crime – ein wundervolles Sehnsuchtsstück.

Haben Sie eigene Wunschlieder, die Sie einbringen?

Das kommt vor, aber solche Songs werden bei den Brausen gründlich geprüft. In nächster Zeit würde ich gern „Bora, Bora“ einstudieren, den alten Song von Tony Marshall, und „My Bonny is over the Ocean“. Beides mit einem schrägen Text und brausig arrangiert natürlich.

Ist es bei den Brausen ein ehernes Gesetz, keine Männer aufzunehmen?

Ich denke schon. Es gibt ja fast nur männliche Shanty-Chöre, da wollten wir einfach mal etwas gegensetzen.

Als Chorleiterin könnten Sie aber doch bestimmt auch ein paar satte Bässe brauchen, oder?

Nicht wirklich, weil wir zwei, drei richtig tiefe Frauenstimmen dabeihaben. Finde ich selber phänomenal, wie tief die runterkommen.

Sie haben im Chor die Kapitänsmütze an. Sind Sie eher streng?

Selten. Manchmal ist es sicher gut, dass ich meine Stimme erhebe. Aber ich habe das Gefühl, wir arbeiten an einem tollen, gemeinsamen Projekt. Deshalb setze ich eher auf Verständnis als auf Autorität. Bei den Proben fließt die Energie von 25 starken Frauen ein, wir ziehen alle an einem Strang.

Wenn man in der Klassik nach Seemannsthemen sucht, landet man schnell bei Richard Wagners „Fliegendem Holländer“.

Die Arie der Senta, der weiblichen Hauptfigur, habe ich im Studium gesungen. Und ich habe die Generalprobe in Bayreuth sehen dürfen, weil wir über Prof. Jürgen Rose an die raren Karten kamen. Die Inszenierung, das Opernhaus, die Akustik dort in Bayreuth waren einfach überwältigend für mich.

Der Fliegende Holländer umsegelt Kap Hoorn. Wohin möchten Sie noch mit Ihrer Kunst?

Ich möchte weiterhin in Kirchen singen, und darüber hinaus wäre es natürlich toll, auch wieder mal auf einer Opernbühne zu stehen. Die Tosca von Giacomo Puccini – ein Lebenstraum. Hoffentlich muss ich dafür nicht noch ums Kap der Guten Hoffnung rum. (lacht)