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Serie „Imgrund im Gespräch“„Ich liebe Köln für seine multikulturelle Gesellschaft“

Lesezeit 7 Minuten
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Kölner sind offene, ehrliche Menschen und taugen nicht zum Heuchler, findet die Schriftstellerin Pilar Baumeister.

  1. In der Rundschau-Interview-Reihe spricht Bernd Imgrund mit interessanten Persönlichkeiten aus Köln.
  2. In der heutigen Folge spricht er mit der blinden Schriftstellerin Pilar Baumeister, die einst aus Barcelona nach Köln zog.

Köln – Pilar Baumeister hat, wie sie es nennt, zwei Heimaten. Die blinde Schriftstellerin ist in Spanien geboren, lebt aber seit Jahrzehnten in Köln. Bernd Imgrund unterhielt sich mit ihr.

Die Autorin wohnt in einem Hochhaus in Humboldt-Gremberg. Die Klingelschilder lassen vermuten, dass hier mindestens 20 Nationen vertreten sind. Auch Pilar Baumeister emigrierte einst: Sie stammt aus Barcelona.

Was halten Sie von der Abspaltung Kataloniens von Spanien?

Spanien ist ein äußerst abwechslungsreiches Land, aber eben auch historisch zusammengewachsen. Die Abspaltungspläne tun mir sehr weh, das wäre ein enormer Rückschlag.

Sie sind 1975 nach Deutschland gekommen, im Jahr von Francos Tod, mit dem auch dessen Diktatur endete. Ein Zufall?

Ja, das war ein Zufall, denn ich hatte damals meinen deutschen Mann kennengelernt. Wir haben dann zunächst vier Jahre in Bonn gelebt, bevor wir nach Köln zogen.

Als 1948 Geborene haben Sie die Franco-Zeit bewusst miterlebt.

Die Diktatur war furchtbar! Die Zeit der Unterdrückung hat mich stark geprägt, so etwas wird man nicht mehr los.

Bonn war damals noch Bundeshauptstadt. Wie empfanden Sie dieses Deutschland der 1970er?

Deutschland war ein Paradies, vor allem in sozialer Hinsicht. In Spanien gab es kein Streikrecht, keine Meinungsfreiheit, nichts. Für mich war der Umzug nach Bonn ein Weg in die Freiheit.

Sie schrieben aber auch, die Deutschen seien Ihnen zu sachlich und emotionslos.

Auf der affektiven Ebene haben die Deutschen noch immer einiges zu lernen. Das Zulassen von Emotionen und menschlicher Nähe ist hier nicht sehr ausgeprägt. Dafür sind die Gesetze hier sehr gut, als blinde Frau habe ich davon stark profitiert.

Was lösen Worte wie Bockwurst, Königsberger Klopse oder Haxe mit Sauerkraut in Ihnen aus?

(lacht) Das Essen war für mich genauso nebensächlich wie das Wetter. Denn ich war vor allem in meinen Mann und die deutsche Sprache verliebt, die ich zuvor am Goethe-Institut gelernt hatte. Bei uns hat übrigens immer mein 2012 verstorbener Mann gekocht. Und mein Lieblingsgericht war Schweinebraten.

Sie haben dann hier Germanistik studiert. Mit welchem Schwerpunkt?

Neuere deutsche Literatur, und mein Favorit war immer Kafka.

Warum?

Wegen seiner kunstvoll, beinahe surrealistisch verdrehten Realität. Die realistische Literatur ist heute en vogue, aber mir gefällt sie nicht besonders. Für mich geht es beim Schreiben vor allem um das Innere, die Ängste und das Unbewusste des Menschen.

Franz Kafka scheint heutzutage ein bisschen wegzusterben aus dem öffentlichen Kanon.

Aber er wird wiederkommen! Die Welt wirkt intransparent, konfus, manipulierbar, mit einem anderen Wort: kafkaesk. In Kafkas Literatur ist das alles schon angelegt.

Ihre Dissertation haben Sie über „Die literarische Gestalt des Blinden im 19. und 20. Jahrhundert“ geschrieben. Was haben Sie dort herausgefunden?

Der Untertitel lautete: „Klischees, Vorurteile und realistische Darstellungen“. Die Dunkelheit steht allgemein für das Bedrohliche, Teuflische, und dementsprechend häufig ist der Blinde der Böse. Daneben gibt es abschätzig gemeinte Redewendungen, denken Sie an „blinde Liebe“ oder den Vorwurf „Du Blinder“.

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Welcher Autor hat Ihnen imponiert?

Eine der besten Darstellungen hat Walter Jens mit seiner Erzählung „Der Blinde“ verfasst. Da geht es um einen Mann, der durch einen Unfall erblindet. Die Beschreibung dieser Katastrophe gelingt Jens sowohl sachlich zutreffend als auch menschlich berührend.

Was fehlt Ihnen in der Literatur über Blinde?

Was sehende Autoren weniger können, ist, Geburtsblinde darzustellen, zu denen ja ich gehöre. Das geht offenbar über jede Imaginationsfähigkeit. Viel wichtiger jedoch, und wenig präsent, ist die Ausgestaltung menschlicher Beziehungen, die Integration in der Arbeitswelt, der soziale Austausch oder auch die Sexualität von Blinden.

In Köln werden zur Zeit die Fahrradfahrer gefördert. Tut die Stadt genug für Blinde?

Die akustischen Ampeln hier sind eine Katastrophe. Viele Ampeln in meiner Nähe haben immer den gleichen Klang, ob sie nun auf Rot oder Grün stehen. In Madrid, aber auch in Aschaffenburg oder Marburg ist das wunderbar organisiert. In Köln hingegen ist man dann oft auf Hilfe von Fremden angewiesen.

Zur Person

Pilar Baumeister wurde 1948 in Barcelona als Pilar Andreo Vila geboren. Sie ist von Geburt an blind. 1975 zog sie mit ihrem deutschen Mann nach Bonn, seit 1979 lebt sie in Köln. Sie studierte Germanistik und Anglistik und promovierte zum Thema „Die literarische Gestalt des Blinden im 19. und 20. Jahrhundert. Klischees, Vorurteile und realistische Darstellungen des Blindenschicksals“.

Jenseits ihres Jobs bei der Rheinenergie und von zahlreichen Übersetzungen schrieb sie Bücher, darunter „Zwei Länder, die sich lieben. Geschichten aus Spanien und Deutschland“ (2006), „Wir schreiben Freitod … Schriftstellersuizide in vier Jahrhunderten“ (2010) und „Leichte psychische Störungen“ (2016). Ihre Vorträge und Lesungen führten sie quer durch Deutschland und Spanien.

Seit 1999 ist sie Ausländerbeauftragte im Verband Deutscher Schriftsteller (VS) NRW, seit Dezember 2003 Beisitzerin in der Ortsgruppe Köln und seit Februar 2019 Beisitzerin im Bundesvorstand vom VS in der Gewerkschaft ver.di.

Pilar Baumeister lebt in Humboldt-Gremberg.

www.pbaumeister-andreo.de

Sie haben bis zur Pensionierung 2013 bei der Rheinenergie gearbeitet. Als was?

Als Blinde war mir zunächst die Stelle als Telefonistin vorbehalten. Als ich dann meinen Doktortitel hatte, wirkte ich wohl als Telefonistin ein bisschen fehlbesetzt. Dann haben sie mich in den Vertrieb versetzt, und später habe ich auch Übersetzungen gemacht.

Aber lieber hätten Sie sicher mehr Geld mit Ihren Büchern verdient.

Ja, klar. Aber wer kann schon von der Schriftstellerei leben. Immerhin war ich durch mein festes Einkommen als Autorin freier und musste keine Aufträge übernehmen.

Ihre Bücher handeln von Schriftsteller-Selbstmorden und heißen „Leichte psychische Störungen“ oder auch „Das Zittern der Witwen“. Harte Kost, Bestseller klingen anders.

Kommerziell war ich nie. Die Themen kamen zu mir, und ich musste darüber schreiben. „Das Zittern der Witwen“ ist ein gutes Beispiel, das Buch ist nach dem Tod meines Mannes entstanden.

Blindenschrift muss erfühlt werden. Haben Sie dadurch einen anderen Zugang zu Schrift und Sprache?

Kann ich leider nicht vergleichen, eben weil ich geburtsblind bin. Sie lesen mit den Augen, ich mit den Fingerkuppen. Das sind zwei verschiedene Mittel, aber man sollte da nicht zu viel differenzieren.

Andererseits organisieren Sie Lesungen im Dunkeln. Was ist dabei wohl der Reiz für die sehenden Besucher?

Vor allem werden sie von nichts Visuellem abgelenkt und können sich voll auf den Text konzentrieren. In Deutschland wird übrigens viel mehr vorgelesen als in Spanien, wo die Veranstaltungen mit Autoren eher Gesprächen ähneln.

Ist Sprache für Sie mehr als ein Kommunikationsmittel?

Oh ja! Wenn ich nicht schreibe, beobachte ich auch weniger. Sprache fördert enorm die Wahrnehmung. Deshalb muss ich auch immer schreiben, seit meinem zwölften Lebensjahr schon.

Sie leben seit 40 Jahren in Köln. Wie würden Sie als Geburtsblinde einem Fremden die Stadt beschreiben?

Ästhetisch oder architektonisch kann ich es natürlich nicht so gut beschreiben. Aber ich liebe Köln für seine multikulturelle Gesellschaft. 1975 gab es hier schon viele Italiener, und inzwischen hört man um sich herum dutzende verschiedene Sprachen. Kölner sind für mich offene, ehrliche Menschen. Nicht unbedingt immer gut gelaunt, aber ich habe den Eindruck, sie taugen nicht zum Heuchler.

Wie läuft es in Ihrem multikulturellen Hochhaus hier?

Die meisten Mitbewohner sind Türken, aber hier leben auch Asiaten und Osteuropäer. Wenn man Hilfe braucht, sind es meistens die Ausländer, die auf einen zukommen.

1988 schrieben Sie: „Es gehört zum echten Verstehen, dass man einen großen Respekt vor einer andersartigen Mentalität hat.“ Ziemlich aktuell heute.

Ich empfinde es als bereichernd, mehrere Heimaten zu haben. Und ich empfinde keinerlei Vorurteile gegenüber anderen Nationen oder Hautfarben. Mein Mann sagte immer, Blinde könnten sowieso keine Rassisten sein, weil sie ja nicht sehen, ob jemand schwarz oder weiß ist. Aber das stimmt natürlich nicht. Denn Rassismus ist oft anerzogen.