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Nikola Dietrich vom Kunstverein„Der hiesige Menschenschlag ist warmherziger“

Lesezeit 7 Minuten

Kompliment an die Kölner: „Der hiesige Menschenschlag ist warmherziger“, sagt Nikola Dietrich.

Köln – Köln habe sie noch gar nicht richtig kennengelernt in den vier Monaten hier, sagt Nikola Dietrich. Zuviel Arbeit. Aber erste Eindrücke hat sie durchaus gewonnen von der Stadt und ihren Bewohnern.

Sie haben zuvor unter anderem in Berlin und Basel gearbeitet. Was fällt einer Neu-Kölnerin hier auf?

Der hiesige Menschenschlag ist warmherziger. Nähe wird ziemlich schnell hergestellt, mit allen Vor- und Nachteilen. Sei es im Restaurant oder bei einer Ausstellung: Man kommt sofort ins Gespräch. In Berlin lebt man anonymer, die Leute kommen da schwerer in Schwung. Mit Basel hingegen ist Köln schon eher zu vergleichen.

Zur Person

Nikola Dietrich wurde 1972 in Radolfzell am Bodensee geboren. Nach dem Abitur in Konstanz studierte sie Kunstgeschichte in München und Berlin. Dort arbeitete sie Ende der 1990er Jahre zunächst für eine Galerie als kuratorische Assistentin. Als Kuratorin am Portikus in Frankfurt organisierte sie ab 2004 gut 20 Ausstellungen unter anderem mit Yoko Ono und John Baldessari.

2008 wechselte sie für sechs Jahre an das Museum für Gegenwartskunst in Basel, dessen Leitung sie innehatte. 2014 ging sie zurück nach Berlin, arbeitete für zahlreiche freie Projekte und wurde Mitgründerin der Kunstzeitschrift „Starship“. Im Sommer diesen Jahres übernahm sie die Stelle der Direktorin des Kölnischen Kunstvereins mit Sitz an der Hahnenstraße.

Nikola Dietrich lebt mit ihrem Sohn in Lindenthal.

HA Schult will Köln den Rücken kehren, weil die Kunstszene tot sei. Was meinen Sie?

Aus künstlerischer Perspektive sehe ich das ganz anders. Während meiner Arbeit am Frankfurter Portikus ab 2004 habe ich festgestellt, dass viele der dortigen Kunststudenten eben nicht nach Berlin, sondern nach Köln gezogen sind. Mir gefällt hier nicht zuletzt, dass man Kreise ziehen kann – nach Bonn und Düsseldorf, aber auch nach Brüssel oder bis Paris. Erste Kooperationen sind bereits in Planung.

Sie suchen bei allem internationalen Anspruch die Anbindung an Köln, war zu lesen. Schon gefunden?

Ich bin gerade dabei. Beim Kunstverein genießen wir den Luxus, zehn Ateliers zur Verfügung stellen zu können. Die werden gerade wieder neu besetzt, und allein in dem Zuge habe ich schon viele Kölner Kunstschaffende kennengelernt.

Wenn man in den 80ern in die entsprechenden Kneipen ging, saßen da Klauke und Kippenberger und machten Kokolores. Wären Sie gern dabeigewesen?

Ja. Das sind Künstlergestalten, die am Puls der Zeit, mitten im Leben agierten. Die haben sich mit ihrem direkten Drumherum beschäftigt – ein Ansatz, den jeder Künstler haben sollte. So stelle ich mir auch meine Arbeit im Kunstverein vor.

Aber viele sagen: Die 80er sind Vergangenheit, solche Typen gibt es nicht mehr.

Das kann sein. Aber was von den 1990ern oder auch den 2010er Jahren bleibt, wird man wie immer erst im Rückblick sagen können.

Sie sind 1972 geboren. Wo haben Sie die hedonistischen 1980er erlebt?

Am Bodensee, in Konstanz.

Was war da so los?

Überhaupt nichts, zumindest kunstmäßig. Dafür gab es die großartige Natur, den See und die Berge. Ich bin keine Seglerin, aber viel Ski gefahren.

Waren Sie eher Punk oder Yuppie, Nerd oder Streberin?

(lacht) Ich gehörte zu einer Frauengang, künstlerisch orientiert. Am ehesten Punk, würde ich sagen.

Nach inzwischen zahlreichen Stationen: Empfinden Sie den Bodensee als Heimat?

Nicht mehr, eher Berlin. Dahin kehre ich immer wieder zurück, da leben die meisten Freunde. Gewohnt habe ich im Prenzlauer Berg, ausgegangen ist man aber meistens in Kreuzberg.

Wussten Sie schon früh, dass Sie sich eher mit Kunst beschäftigen als selber welche machen wollten?

Nein, ich wollte immer Sportlerin oder Künstlerin werden. Ich habe mich an sämtlichen Kunstakademien beworben, aber immer hieß es: Du hast Potenzial, bist aber noch zu jung, warte noch mal ein Jahr ab. Und dann habe ich irgendwann entschlossen umgesattelt und Kunstgeschichte studiert, in München. Und das war dann genau das Richtige für mich.

Haben Sie schon als Kind die schönsten Elefanten gemalt?

Ich konnte nicht so richtig gut zeichnen, eher abzeichnen. (lacht)

Welche Künstler fanden Sie denn klasse als Heranwachsende?

In Konstanz konnte man nicht allzu viele Ausstellungen besuchen, dadurch war der Horizont auch nicht besonders weit. Cézanne war dort sichtbar und für mich sehr wichtig. Später kamen Frauen wie die Kunsttheoretikerin Lucy Lippard in meinen Fokus, also Frauen, die schon in den 60ern, 70ern eine sehr feministische Sprache gesprochen haben. Im Studium in Berlin habe ich mich dann auf Zeitgenössische Kunst spezialisiert.

Sie waren zuletzt Leiterin des Basler Museums für Gegenwartskunst. Ist das vergleichbar mit dem Kölnischen Kunstverein?

Überhaupt nicht. Das war 1980 das weltweit erste Museum ausschließlich für Zeitgenössische Kunst. Ich war für die Sammlung ab 1960 und für temporäre Ausstellungen zuständig. Es ging also um Künstler mit einem schon elaborierten Werk. Der Kunstverein hat demgegenüber die Aufgabe, schon vorher anzusetzen, also bevor die Museen auf jemanden aufmerksam werden.

Basel klingt arrivierter. Warum sind Sie dennoch nach Köln gekommen?

Wie hier, so war auch die Stelle in Basel auf fünf Jahre begrenzt. Damit will man auch auf der Ebene der Direktoren immer wieder für frische Ideen sorgen.

Finden Sie gut, immer zu wissen, dass bald schon wieder Schluss ist?

Im Moment schon noch. Man lernt dadurch alle Facetten des Betriebs kennen, das kommt der Arbeit zugute. Aber irgendwann mal werde ich das sicher anders sehen und bleiben wollen.

Kunstvereine entstammen dem 19. Jahrhundert und sind eine Errungenschaft des aufgeklärten Bürgertums gegenüber dem Adel. Tragen Sie dem noch heute Rechnung?

Natürlich, schon von der Struktur her: Wir sind ein Verein und auf unsere Mitglieder angewiesen. Dahinter steckt eine grundsätzlich demokratische Idee, die unserer Arbeit die Richtung gibt.

Das Wort „Verein“ wirkt im Zusammenhang mit Kunst seltsam antiquiert. Das klingt nach Sport und Leistungsschau.

Das ist eine ausgesprochen deutsche Angelegenheit, die man höchstens noch ansatzweise in Frankreich findet.

Sie halten also Mitgliederversammlungen ab und feiern Sommer- und Weihnachtsfeste samt Schrottwichteln?

Letzteres nicht gerade, aber alles andere durchaus. Bis zum 19. Dezember läuft noch die Jahresgaben-Ausstellung: Renommierte Künstler stiften Werke, die von den Mitgliedern zu einem Vorzugspreis erworben werden können. Das ist auch eine typische Kunstvereins-Tradition, so finanzieren wir uns.

Sie möchten hier Fragen der Gegenwart sichtbar machen, haben Sie zum Antritt gesagt. Mir fällt da als erstes Me too und Migration ein.

In meiner ersten Ausstellung habe ich den Frankokanadier Julien Ceccaldi präsentiert, der sich vor allem als Cartoonist hervortut. Nah an der Jugendkultur, an deren politischen Fragen zu sein, war ihm auch bei uns sehr wichtig. In seinen Werken geht es um Gender, um menschliche Beziehungen und gesellschaftliche Gefüge. Und das wird bei uns sicher auch in Zukunft das Thema sein.

Genau wie bei Starship, Ihrer in Berlin erscheinenden Kunstzeitschrift?

Klar, wobei ich jetzt eher weniger Zeit dafür habe und das dem Rest unseres Teams überlasse. Das Magazin erscheint zweimal im Jahr . . .

. . . und hat, wie das so ist, eine Auflage von 200 Exemplaren?

(lacht) 1000, immerhin! Ich mag diese Arbeit sehr. Auch eine Zeitschrift ist ein ganz eigener Raum. Ein Raum voller Seiten, aus Papier und in einem Format, dem man sich als Schreibender stellen muss. Etwas Haptisches, aus dem man Seiten ausreißen und das man sich in die Tasche stecken kann.

Drei Entweder-Oder-Fragen: Schnütgen, Wallraf-Richartz oder Ludwig?

Ludwig.

Unter Kölner Malern: Max Ernst oder Gerhard Richter?

Max Ernst.

Hertha oder FC, Union Berlin oder Fortuna Köln?

Union Berlin.

Wie sieht Ihr erstes Fazit nach vier Monaten aus?

Ich bin hier an einem Ort, der sich bewegt. Es gibt Zuspruch aus der Bevölkerung und durch die Presse, und zur ersten Ausstellung sind viele junge Leute gekommen. Das hat mich sehr gefreut.

Wo möchten Sie mit dem Kölnischen Kunstverein in fünf Jahren stehen, wenn Ihr Vertrag ausläuft?

Das soll ein Ort sein, den man gern und ohne Hemmungen besucht. Schön wäre, wenn wir uns keine finanziellen Gedanken mehr machen müssten und das Personal aufgestockt würde. Wir haben nicht viel im Topf und sind ein sehr kleines Team, das sollte sich am besten deutlich früher als in fünf Jahren ändern.

Und Sie selbst werden dann Direktorin vom Museum Ludwig?

Das ist wohl unrealistisch. Ich sehe mich eher als Kuratorin eines solchen Museums, um weiter inhaltlich arbeiten zu können. Oder als Direktorin einer Kunsthalle, das könnte ich mir auch gut vorstellen.