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Interview mit Kölner PortraitfotografBitte mal stillhalten

Lesezeit 7 Minuten
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Für unseren Fotografen begab sich Oliver Abraham vor das andere Ende des Objektives.

Köln – Er bekommt Berühmtheiten aus aller Welt vor die Kamera, blieb aber seinem Beruf als Zahnarzt immer treu: Bernd Imgrund sprach mit Oliver Abraham über analoge Fotografie, die Marotten der Stars und Corona.

Für den Fotografen der Rundschau wird er sich eine halbe Stunde Zeit nehmen und sich sogar probeweise auf den Boden setzen – ein echter, kollegialer Profi, dieser Oliver Abraham.

Wie bekommt man Patti Smith vor die Kamera?

Oliver Abraham: Oft verdanken sich solche Termine einer Mischung aus Hartnäckigkeit und Zufall. Patti Smith hatte in „Just Kids“ über ihre Beziehung zu Robert Mapplethorpe geschrieben, das habe ich als Fotograf natürlich verschlungen. Ich habe dann den Verlag angeschrieben.

Und Patti hat gesagt: Ah, der Oliver aus Köln, na klar!

Im Gegenteil. Sie schrieb zurück, dass sie gar nicht gern exzessiv fotografiert werde, aber mal probieren sei okay. Als ich dann am Hotel Wasserturm ankam, hatte ich quasi einen halben Termin. Aber darauf lasse ich mich in so einem Fall gerne ein.

War sie nett und geduldig?

Ihre ersten Blicke waren schon sehr abschätzig. Ich habe ihr erklärt, ich würde gern zehn Fotos machen. Sie erwiderte direkt, du kriegst nur fünf. Robert habe das auch so gemacht, dadurch werde man besser. Als sie dann meine Kamera mit den Doppelplatten sah, meinte sie schließlich: Okay, you can take six. (lacht)

Ist Jeff Koons ein blasierter Schnösel oder ein netter Kerl?

Das kann ich gar nicht sagen, weil ich beim Fotografieren nicht hinter die Person blicken konnte. Von Jeff Koons habe ich einfach nur ein Abbild gemacht.

Was ist der Unterschied zwischen einem Bild und einem Abbild?

Das Abbild ist rein dokumentarisch, das Bild hat auch eine ästhetische Komponente. Der Koons hat in Berlin drei Tage am Stück Pressekonferenzen gegeben, und ich habe da einen Slot von ein paar Minuten bekommen. Er hat sich sehr professionell verhalten, und letztlich ist das schon ein gutes Portrait geworden. Im Grunde spielt da auch die Lüge der Fotografie mit rein.

Bereiten Sie sich journalistisch vor auf ein Shooting, oder setzen Sie auf künstlerische Spontanität?

Meine Fotos entstehen, weil ich mich für etwas, für jemanden interessiere. Aber man muss aufpassen, dass man nicht zu überladen ist mit Informationen. Ein paar Tage vor einem wichtigen Termin versuche ich, den Kopf davon frei zu bekommen.

Das heißt, Sie legen eine satte Wurzelbehandlung in Ihrer Zahnarztpraxis zwischen Recherche und Fototermin?

(lacht) Das mache ich nicht extra, sondern das kommt von allein.

Sie haben sogar den als so pressescheu wie -kritisch bekannten Gerhard Richter von sich überzeugen können.

Ich habe ihm postalisch einen Karton mit ausgewählten Bildern geschickt. Zwei Monate später kam ein Brief: Wir könnten das gern machen. Und dann bin ich tatsächlich zweimal zu Gerhard Richter nach Hahnwald gefahren. Übrigens in meiner Mittagspause.

Im weißen Kittel?

Das nicht. Aber verrückt war: In meiner Praxis hängt ein Kunstdruck von Richter. Und im Hahnwald stand ich plötzlich vor dem Original − ein äußerst skurriler Moment.

Sie werden durch die Galerie von Julian Sander vertreten, dem Urenkel von August Sander. Wie blicken Sie auf dessen Werk?

Mit Hochachtung und Bewunderung! August Sander hat für sein jahrzehntelanges Werk unglaubliche Hindernisse überwinden müssen, denken wir nur an die beiden Weltkriege. Am meisten imponiert mir, dass er alle Menschen gleich behandelt hat: Ob Künstler oder Bettler, sie stehen in seinen Bildern auf einer Stufe. Den Anspruch habe ich auch.

Dieser soziale Aspekt findet sich auch in der Portraitreihe „Freedom of Speech“, die Sie 2019 während des Festivals „Photoszene Köln“ präsentiert haben.

Die Serie ist für mich noch nicht abgeschlossen, sondern pausiert nur pandemiebedingt. Der Fokus ist auch gerade nicht in der Öffentlichkeit. Aber die Freiheit der Rede ist natürlich weltweit ein bleibendes Thema, siehe zuletzt die Wahlen in den USA.

Zur Person

Oliver Abraham wurde 1972 in Köln geboren. In Frankfurt studierte er Zahnmedizin. Seit 2005 hat er eine eigene Zahnarztpraxis in Frechen. Zwischen 2001 und 2004 studierte er zudem an der Schule „Fotografie am Schiffbauerdamm“ in Berlin. Seither hat er sich einen Namen als Portraitfotograf gemacht.

Unter anderem lichtete er Musiker, Künstler, Filmschaffende und Intellektuelle wie David Lynch, Jeff Koons, Richard Serra, John Malkovich oder Patti Smith ab. Während des Kölner Photoszene-Festivals 2019 zeigte Abraham die Ausstellung „Freedom of Speech“ mit großformatigen Porträts von unter anderem Julian Assange, Noam Chomsky und Yanis Varoufakis. Er fotografiert ausschließlich mit einer 8x10-Inch-Großformatkamera und wird von der Kölner Galerie Julian Sander vertreten.

Oliver Abraham lebt mit Frau und Kind im Agnesviertel.

www.galeriejuliansander.de

Mit Julian Assange haben Sie 2014 den international gesuchten Wikileaks-Gründer fotografiert, der sich damals in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt hatte. Wie kam es dazu?

Die Regisseurin Angela Richter hatte ihr Stück „Assasinate Assange“ in Köln inszeniert, also: „Ermordet Assange“. Am Flughafen musste ich zunächst mal die britischen Grenzer belügen, die mich nach dem Grund meiner Reise fragten. Ich habe denen erzählt, ich würde meinen Schwager fotografieren, der tatsächlich in London lebt.

Und wie ging es weiter in der Botschaft?

Die Tür geht auf, und du siehst Julian Assange. Fünf Meter vor dieser Tür stehen die britischen Polizisten, die ihn gerne festnehmen würden. Ich habe mich gefühlt wie in einem Stück von Beckett.

Das ist jetzt sechs Jahre her.

Er wirkte damals sehr scharfsinnig und kämpferisch auf mich. Zwischen den Fotos hat er immer wieder Daten geleakt, davon habe ich dann am nächsten Tag in der Zeitung gelesen. Aber seine Lebensumstände haben schon damals ihre Spuren hinterlassen.

Wenn Sie für zwei Ihrer Portraitierten noch einmal mehr Zeit hätten: Würden Sie sich für Pamela Anderson oder Yanis Varoufakis entscheiden?

Für Varoufakis, weil er einfach mehr zu sagen hat als Pamela Anderson. Obwohl sie sich in den letzten Jahren ja auch zum Beispiel für Tierrechte engagiert hat.

Wie weit gehen Sie bei der nachträglichen Bearbeitung von Fotos?

Bildbearbeitung gab es zu allen Zeiten, und ich gehe weiterhin den traditionellen, analogen Weg. Das heißt, ich bearbeite das Bild analog, bevor ich es für digitale Zwecke scannen lasse. Staub und Fehler bleiben drauf.

Wenn die Pam einen Pickel hat, dann bleibt der sichtbar?

Genau. Deshalb werden ihre Bilder auch nicht veröffentlicht. Pam unterstützt Assange, ich bin für sie extra nach Graz gefahren. Aber das analoge Foto wollte sie dann nicht veröffentlicht sehen. Fand ich sehr schade, auch für sie, weil sie in dieser Reihe spannender Menschen wie Noam Chomsky oder Richard Serra gestanden hätte. Aber ich kann sie auch verstehen. Wer die letzten zehn Jahre digital fotografiert und entsprechend retuschiert wurde, der hat Schwierigkeiten mit seinem analogen Bild.

Sie sind im anderen Leben Zahnarzt. Haben die Röntgenbilder von Unterkiefern eine eigene Ästhetik?

(lacht) Ja, aber die blende ich aus. In der Praxis geht es mir nur um die Informationen, die das Bild liefert. Andererseits kann die Prozedur mit meiner Großbildkamera durchaus etwas von einer Röntgenaufnahme haben. Manchmal gebrauche ich sogar die gleichen Worte: Bitte stillhalten, den Kopf ein bisschen weiter runter und so weiter.

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Warum werden unhandliche Apparate wie Ihre 8 x 10 Inch-Kamera trotz aller modernen Fotohandys überleben?

Ich weiß nicht, ob sie überleben. Aber ich habe es eben nicht anders gelernt und werde damit weitermachen. Vielleicht sind analoge Fotos irgendwann so etwas wie Holzstiche. Andererseits habe ich mal gelesen, dass Musikbands analoge Störgeräusche in ihre digitalen Aufnahmen mischen, damit die „echter“ klingen. In diesem Sinne wirkt die analoge Kamera gerade bei einer Portraitaufnahme menschlicher, wahrhaftiger als eine digitale.

Interessiert Sie die Pandemie als Sujet?

Natürlich. Ich erarbeite zur Zeit eine Serie von Wissenschaftlern, Forschern, Ärzten und Politikern der Corona-Pandemie in Deutschland. Angefangen habe ich mit dem Virologen Christian Drosten. Ich sehe darin eine berufsübergreifende Brücke, die nicht nur meine persönlichen Interessen von Kunst und Medizin vereint, sondern letztendlich das größte Thema unserer Zeit dokumentiert.