AboAbonnieren

Interview mit Kölner Parfumeurin von 4711„Stärker auf die Nase hören“

Lesezeit 6 Minuten

Ein feines Näschen ist die Grundvoraussetzung für ihren Beruf: Parfumeurin Alexandra Kalle im 4711-Haus an der Glockengasse.

  1. Wenn das kein dufter Job ist – Alexandra Kalle ist als Parfumeurin für die Entwicklung der Traditionsmarke 4711 verantwortlich.
  2. Bernd Imgrund unterhielt sich auch darüber, warum Düsseldorf anders riecht als Köln.

Auch im 4711-Haus an der Glockengasse trägt man heutzutage eine Maske. Der olfaktorische Unterschied zur nahen Nord-Süd-Fahrt ist dennoch enorm – auch im schicken Konferenzsaal im ersten Stock.

Sagen wir, es gibt außerirdisches Leben, aber die Marsmännchen haben keinen Geruchssinn. Wie erklären Sie denen, was Duft ist?

Duft ist eine Entführung in entfernte Welten, extrem anders und sehr facettenreich. Vielleicht kennen die Außerirdischen ja Musik: Düfte sind wie Töne, und jeder nimmt sie anders war – mal erfrischend, mal verführerisch.

Da werden die Marsmännchen aber ganz schön neidisch sein.

Allerdings! Aber auch bei uns wird der Geruchssinn leider noch immer recht stiefmütterlich behandelt. Wahrscheinlich, weil er dem Menschen so selbstverständlich ist.

Ich habe in meinem Leben noch nie Parfum benutzt. Warum ist das ein Fehler?

Vielleicht ist das kein Fehler, aber Sie wissen gar nicht, was Ihnen fehlt. Ich kenne Sie nicht so gut, aber ein klassisch aromatischer Herrenduft mit holzigen Noten könnte gut zu Ihnen passen.

In welchem Verhältnis steht Parfum zum körpereigenen Geruch?

Jeder Duft wirkt bei jedem Menschen in Kombination mit seinem körpereigenen Geruch ganz individuell. Mir gefällt am besten, wenn das Parfum die Persönlichkeit des Menschen unterstreicht, aber das entscheidet jeder selbst.

Das könnte Sie auch interessieren:

Zerstören Sie mit Ihren Produkten nicht das natürliche Aroma des Menschen?

Wir übertünchen es vielleicht. Aber dadurch eröffnen wir auch ganz neue Perspektiven auf diesen Menschen und entdecken neue Seiten an ihm. Das muss ja nicht durch aufdringliche Gerüche geschehen, sondern kann auch sehr subtil herbeigeführt werden.

Wie erkennt man am besten, was zu einem passt?

Durch ausprobieren. Der eine möchte sich selbst, der nächste eher anderen gefallen. Einen neuen Duft sollte man zunächst auf Papier testen und danach unbedingt auf der Haut. Und auch da gilt: in Ruhe abwarten! Manches Herzstück eines Parfums entwickelt sich erst nach zehn, fünfzehn Minuten.

Parfum benutzen mehr Frauen als Männer. Ist das biologisch oder sozial bedingt?

Ich denke, das hat soziale Gründe. Für mich ist Duft die Perfektionierung meines Outfits, genau wie Schmuck oder Schminke. Männer sind da einfacher gestrickt – ohne dass ich das jetzt böse meine. Denen geht es eher um Funktionalität, und dafür reichen After Shave und Deo. Allerdings gibt es unter jungen Männern heute einen verstärkten Trend hin zum Parfum, was mich natürlich freut.

Was hätte jemand wie Sie zum Leben der Steinzeitmenschen beitragen können?

Ich rieche Sachen, bevor ich sie sehe, und das war in der Urzeit sicherlich noch existenzieller wichtig als heute. Ein sich näherndes Feuer oder die Gefahr durch ein lauerndes Raubtier hätte ich frühzeitig erkennen können. Vor allem in der Großstadt wird der Geruchssinn heute überstrapaziert, aber ich empfehle jedem, stärker auf seine Nase zu hören.

Sie sind kürzlich von Köln nach Düsseldorf gezogen. Riechen die Städte unterschiedlich?

Auf jeden Fall! Düsseldorf riecht cleaner, Köln ist demgegenüber multikultureller, und das spiegelt sich auch olfaktorisch im Straßenbild. Die Kontraste sind hier stärker ausgeprägt.

Was waren die Gerüche Ihrer Kindheit in Paderborn?

Ich weiß von meiner Mutter, dass ich mich schon als kleines Kind sehr auf Gerüche bezogen habe. Sehr intensiv habe ich noch den Milchreis mit Zimt und Zucker in Erinnerung, den mir meine Oma gern machte.

Wie fühlten Sie sich mit 17 in Paderborn in der verrauchten Diskothek?

Das war oft so schlimm, dass ich mir noch vor dem Schlafen mitten in der Nacht die verqualmten Haare waschen musste. Wenn heute jemand neben mir raucht, selbst im Freien, könnte ich wahnsinnig werden. Ich bin da leider nicht besonders tolerant. (lacht)

Ihr Vater führte eine Firma für Fleischereibedarf und verfügte dementsprechend über ein Gewürzlager.

Dort fand ich alles spannend, was stark in der Nase gebritzelt hat, also vor allem die verschiedenen Pfeffersorten. Mit meiner Schwester habe ich dort immer Kaufmannsladen gespielt.

Was halten Sie von Mettbrötchen mit Zwiebeln und Pfeffer?

Wenn’s nicht morgens um Acht ist – okay. (lacht)

Wie reagiert Ihre Nase auf ein volles Restaurant mit vierzig verschiedenen Gerichten und hundert unterschiedlich riechenden Menschen?

Das ist der Horror! Ich mag zum Beispiel keinen Trüffel, den habe ich in der Nase, bevor der Pastateller aus der Küche kommt. Andererseits generieren diese vielen Essensdüfte in mir einen ganzen Film, das kann auch sehr spannend sein.

Ein überdurchschnittlicher Geruchssinn birgt offenbar ein paar Nachteile.

Nun ja, ich rieche selbst die Talgdrüsen eines Menschen, das kann sehr unangenehm sein. Übel ist auch, wenn mich ein Geruch an jemanden aus der Vergangenheit erinnert, mit dem ich nicht gut klarkam.

Parfumeure arbeiten nicht nur mit Früchten und Kräutern, sondern auch mit Gewürzen. Wie bekommt man Muskat in einen Flacon?

Je nach Beschaffenheit des Gewürzes können das sehr aufwendige Verfahren sein. Es geht darum, durch Destillation ätherische Öle zu erhalten. Niemand will nach Muskat riechen, deshalb wird das schwach dosiert. Gewürze in der Parfumerie geben letztlich den gewissen Kick.

Einer Ihrer für 4711 entwickelten Düfte heißt „Pink Pepper mit Grapefruit“. Was für ein Mensch ist man mit diesem Parfum?

Interessanterweise wird diese Variante von Männern und Frauen gemocht. „Pink Pepper mit Grapefruit“ bewirkt einen Frische-Effekt, der sowohl nach dem Duschen als auch mal eben zwischendurch funktioniert.

Sie haben vor Ihrer Parfumeur-Karriere im Marketing von Coca-Cola gearbeitet. Auch mit der Nase?

Coca-Cola mochte ich gustatorisch gar nicht, aber natürlich habe ich alles errochen, bis hin zu den Cola-Nüssen.

Sie könnten mir also das Geheimrezept aufschreiben?

(lacht) Weiß ich nicht, würde ich jedenfalls nie tun!

Sie entwickeln nicht im Labor, sondern am Schreibtisch. Was bedeutet das?

Mein Job ist nicht ganz so sexy, wie „Das Parfum“ von Patrick Süskind ihn vermittelt. Als Parfumeurin ähnele ich einem Komponisten, der die Töne hört, ohne sie spielen zu müssen. So rieche ich im Kopf, ohne die realen Gerüche zu benötigen. Das Feintuning wird händisch gemacht, aber die Entwürfe entstehen am Schreibtisch.

Wäre das klassische 4711 für Sie eher eine Sonate oder ein Punksong?

Am ehesten ein traditioneller, volkstümlicher Schlager – ein schöner natürlich!

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie als Profi morgens, was Sie heute auflegen?

Ich lege gar nichts auf, weil ich für meinen Job neutral bleiben muss.

Also nur Wasser und Kernseife?

Duschgel ist schon drin, das hält olfaktorisch nicht lange vor. Aber bei Bodylotion muss ich schon aufpassen, damit gehe ich nicht bis zum Hals.

Patrick Süskinds „Parfum“ ist sehr berühmt geworden. Wäre ein Parfum-Roman von Alexandra Kalle eher ein Krimi oder ein Fantasy-Roman?

Habe ich schon öfter drüber nachgedacht, zumal es nur wenige gute Parfum-Bücher gibt. Über einen Plot möchte ich noch nicht reden, dafür müsste ich mir erst mal die Zeit nehmen und anfangen. Aber es würde sicher eine Liebesgeschichte werden.