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„Boxen ist meine Droge“Interview mit Kölner Boxlehrer Mecit Besiroglu

Lesezeit 6 Minuten
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Mecit Besiroglu besitzt eine Boxschule am S-Bahnhof Hansaring.

  1. Vor 50 Jahren kam Mecit Besiroglu für ein Boxturnier nach Köln - und blieb hier bis heute.
  2. Der 72-Jährige ist Leiter der „Boxen Köln e.V. – Integration durch Sport“ unter den Bahnbögen am S-Bahnhof Hansaring
  3. Im Interview spricht er über Straßenkämpfe, Disziplin und seine Schüler.

Köln – Mecit Besiroglu steht an der Tür seines Boxclubs an der S-Bahn-Unterführung Hansaring. Er begrüßt jedes eintreffende Mitglied per Handschlag und mit den ersten Tipps für das Training. Ein Interview der anderen Art entwickelt sich: im Stehen, zwischen Tür und Angel, mit vielen Unterbrechungen.

Mecit Besiroglu leitet auch mit 72 Jahren noch eine Boxschule. Sport ist für den Mann aus Ankara, der seit 1970 in Köln lebt, der beste Weg zur Integration. Bernd Imgrund sprach mit ihm.

Wann fing das bei Ihnen an mit dem Boxen?

1963 in Ankara. In der Jugend war ich dort drei Mal Stadtmeister, damals im Leicht- und Halbweltergewicht, also 60 bis 64 Kilo. Nach einem Boxturnier 1970 hier in Köln habe ich dann entschieden, in Deutschland zu bleiben.

Warum?

Für uns war Deutschland ein Traumland. Hier gab es Freiheit, Demokratie und Wohlstand. Jetzt bin ich seit fünfzig Jahren hier, habe sieben Kinder, 15 Enkel und bin glücklich.

Wir befinden uns hier unter den Bahnbögen am Hansaring. Ein interessanter Ort.

Meine erste Boxschule habe ich 1977 in einer Nippeser Turnhalle geleitet, die mir die Stadt zwei Mal pro Woche zur Verfügung gestellt hat. Der Ali vom Restaurant Bosporus auf der Weidengasse hat mir dann 2001 die Bahnbögen empfohlen. Dafür musste ich aber erstmal ein paar Dutzend Drogenabhängige rauswerfen, die sich hier aufhielten. Es gab weder Strom noch Wasser, auch die Räume und den Estrich habe ich selbst eingebaut. Rund 50 000 Euro habe ich hier reingesteckt.

Hatten Sie finanzielle Unterstützung?

Mein bester Sponsor war der Verleger Benedikt Taschen. Er und seine Kinder hatten schon vorher bei mir trainiert. Beim Umbau haben mir dann auch meine Söhne viel geholfen.

Die 1970er waren noch goldene Zeiten für den Boxsport.

Boxen war damals noch viel beliebter. Es gab großartige Kämpfer, wir hatten tausende Zuschauer. Aber heute ist das Boxen fast tot.

Welche Gründe hat das Ihrer Meinung nach?

Die Jugendlichen heutzutage wollen alles haben, ohne dafür zu schwitzen: das beste Handy, die teuersten Klamotten, alles! Die spielen im Internet, laufen mit ’ner Flasche Bier durch die Straße und haben einfach keinen Charakter mehr.

Hat auch der Eigelstein sich verändert in den fast zwanzig Jahren, die Sie hier sind?

Alles wird immer schlimmer! Und das Schlimmste sind die Drogen. Hinterm Bahnbogen wird gespritzt, oben an der S-Bahn verkauft. Ich kann das von hier aus gut beobachten. Inzwischen sind es ja fast ausschließlich Afrikaner, die den Drogenmarkt beherrschen. Einer meinte zu mir, er verdient jeden Tag 50 bis 100 Euro, bei ihm zuhause sei das ein Monatslohn. Hier in Deutschland darf er nicht arbeiten, deshalb muss er dealen, sagt er.

Sie kümmern sich für den Bahnbogenpächter Figge auch um das restliche Terrain hier, die Parkplätze zum Beispiel.

Ja, da geht es um Drogensüchtige, Wildpinkler, Falschparker und so weiter.

Ist es schon mal richtig gefährlich geworden für Sie?

Allerdings! Hier gab es viele Schlägereien, ich bin auch zig Mal mit Messern bedroht worden und habe dies und das abbekommen.

Haben Sie immer gewonnen?

Wenn jemand ein Messer zieht, musst du treten oder weglaufen. Ich habe mir in so einem Fall Leute im Café geholt und bin zurückgekommen.

Haben Sie keine Angst hier, zumal Sie inzwischen 72 sind?

Ich kann auch heute noch eine Stunde Prügel kriegen und trotzdem weiterkämpfen. Kein Problem!

Straßenkampf hat mit Boxen vermutlich nichts zu tun.

Nein, denn auf der Straße geht es immer link zu. Da wird getreten und gekickt, da sind Kopfstöße, Stöcke und Messer mit im Spiel. Ein Straßenkampf kann in einer Sekunde vorbeisein, wenn man nicht aufpasst.

Zur Person

Mecit Besiroglu wurde 1948 in Ankara geboren. 1963 begann er zu Boxen, Turniere führten ihn durch viele Länder. 1970 zog er nach Köln, wo er von 1975 bis zu seiner Pensionierung 2000 bei Ford in Niehl als Betriebsschlosser arbeitete. Er hat sieben Söhne und Töchter sowie inzwischen 15 Enkelkinder.

Bis 1977 boxte er für Vereine in Köln, Bergisch Gladbach und Leverkusen, bevor er dann seine erste Boxschule eröffnete. Seit 2000 residiert der „Boxen Köln e.V. – Integration durch Sport“ unter den Bahnbögen am S-Bahnhof Hansaring. Rund 5000 Menschen, so schätzt der Trainer, hat er den Boxsport nahegebracht.

Mecit Besiroglu wohnt im Belgischen Viertel.

www.boxschule-hansaring.de

Sind Sie auf der Straße großgeworden?

Allerdings, und in Ankara geht es noch um einiges härter zu als hier.

„Das hier ist meine Moschee“, sagen Sie. Wie ist das gemeint?

Religion wäscht das Gehirn, ich wasche den Körper. Gesund und fit zu sein, ist das Wichtigste für den Menschen. Beim Boxen baut man Stress und Aggressionen ab, man gewinnt Selbstvertrauen und hält sich von Alkohol fern.

Was fasziniert Sie am Boxen?

Das ist meine Droge – eine gute natürlich! Ich schätze, dass ich seit 1977 rund 5000 vor allem jungen Menschen das Boxen beigebracht habe. In sechs Monaten bringe ich diesen Sport jedem bei, meinetwegen auch einem Elefanten.

Kommen viele Jungs hier nicht nur deshalb hin, um auf der Straße der Stärkere zu sein?

Schläger sind schwache Menschen. Wer hier boxt, ein echter Sportler, wird selbstbewusst genug, um sich nicht zu schlagen. Außerdem habe ich überall Ohren: Wenn ich merke, jemand benimmt sich nicht, fliegt der raus.

Das Gespräch wird zum wiederholten Male unterbrochen. Mecit Besiroglu begrüßt zwei Neuankömmlinge: Handschlag, Umarmung, ein paar lockere Sprüche. Als die beiden hintendurch bei den Sandsäcken anlangen, sagt er: „Der Kleine ist Anwalt, der andere Arzt, die sind schon viele Jahre bei mir.“

Ist das Ihre typische Kundschaft?

Was einer macht und wo er herkommt, spielt keine Rolle. Nur ob er sich benimmt. Wir haben hier Türken, Kubaner, Schauspieler und inzwischen auch immer mehr Frauen.

Was halten Sie vom Frauenboxen?

Ich habe drei Töchter, und alle habe ich trainiert. Auch Frauen brauchen Selbstvertrauen, und das kriegen sie zum Beispiel beim Boxen. Dabei spreche ich vom reinen Training, Kämpfe im Ring kommen später.

Ihr Boxverein trägt den Untertitel „Integration durch Sport“.

Integration entsteht nicht durch Rederei, sondern durch gemeinschaftliches Tun. Und ein Sport wie Boxen ist das beste Mittel für Integration. Man schwitzt zusammen, kämpft zusammen, hält sich an Regeln. Hier bei mir kommt man nicht einfach rein und geht an den Sandsack. Hier begrüßt jeder jeden, das gehört dazu.

Fühlen Sie sich hier in Köln integriert?

Ja. Ich halte mich an die Gesetze, ich verkaufe keine Drogen und tue für meine Jugendlichen, was ich kann.

Mich hat Angelika Dederichs, die Wirtin des Weinhauses Vogel, auf Sie aufmerksam gemacht. Gehen Sie im Eigelstein aus?

Mich kennt hier jeder, durch den Sport habe ich überall Kontakte. Im Vogel bin ich gern, um Fußball zu gucken.

Hat Ankara einen guten Fußballverein?

Früher ja, heute kannst du alles vergessen. Politik und Religion haben den Sport kaputt gemacht. Ich war vor ein paar Monaten noch mal da, auch der Boxsport hinkt jetzt mindestens zwanzig Jahre hinterher.

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Haben Sie noch Kontakte zu Menschen aus Ihrer frühen Zeit hier in Köln?

Na ja, viele von damals sind schon gestorben. Ich war 25 Jahre bei Ford, man muss denen dankbar sein, dass so viele Türken dort Arbeit gefunden haben.

Sie wurden vor 20 Jahren pensioniert, seit 43 Jahren leiten Sie eine Boxschule. Wie lange wollen Sie das noch durchziehen?

Das ist ganz einfach: bis ich sterbe!