Interview mit Kölner AntiquarÜber ein Leben im Dienste der Bücher
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Bücher sind Roman Heubergers Leben. 35 Jahre lang hatte er ein Antiquariat in Deutz, nun handelt er Online mit Gedrucktem.
Bernd Imgrund sprach mit ihm über Karl May, Böll und Goethe.
In seiner Wohnung reichen die Bücherregale bis zur Decke. Das alte Leder der Einbände prägt neben dem Geruch auch die Farbigkeit der Räume: ein sehr antiquarisches Gold-Braun.
Sie sind Antiquar und heißen „Roman“: ein Künstlername?
(lacht) Die Vermutung liegt nahe, aber der Name ist echt. Als ich zur Welt kam, war er noch recht selten.
Mir wurde mal ein mit „Roman Herzog“ adressiertes Päckchen geschickt – es kam an.
Sie haben zunächst in Frankfurt Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert. Wieso WiSo?
Das Studium hilft mir bis heute. Es gibt in unserem Metier eine alte Faustregel: Der Antiquar ist gelehrter als der Kaufmann und kaufmännischer als der Gelehrte.
Zur Person
Roman Heuberger wurde 1948 in Grünwald bei München geboren. In Frankfurt studierte der damalige „68er“ Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, bevor er 1976 ein Antiquariat eröffnete. 1981 zog er damit um nach Köln und mietete ein Ladenlokal in der Deutzer Düppelstraße.
35 Jahre stand er dort im Geschäft, zwischen bis zu 70.000 antiquarischen Büchern. Schwerpunkte liegen bis heute auf den Bereichen Bibliophilie, illustrierte Bücher, Alte Drucke, Architektur, Literatur des 17.-20. Jahrhunderts und da insbesondere Goethes Faust.
Seit 2017 handelt er von zu Hause aus. Stammkunden kommen dort weiterhin persönlich vorbei, aber Heuberger pflegt auch den Onlinehandel. Er wohnt weiterhin in Deutz.
Nicht nur vom Jahrgang her! Joschka Fischer habe ich zum Beispiel persönlich kennengelernt. Zum einen konnten wir bei ihm im Buchladen billige Raubdrucke der ansonsten teuren Studienliteratur kaufen. Zum anderen bin ich ihm mal auf einer Demo begegnet – Westend, Hausbesetzung, Fahrkarten-Preiserhöhung, worum es auch immer ging. Da habe ich ihm jedenfalls einen Stein aus der Hand genommen und gesagt, das ist scheiße.
Wie viele Kunden hatten Sie in den frühen 1980ern, als Sie mit Ihrem Antiquariat nach Köln kamen?
An einem normalen Wochentag mal 10, mal 30. Die meisten davon haben dann auch etwas gekauft. Die 80er waren tatsächlich die beste Zeit für uns.
Wie sah damals ein typischer Kunde aus?
Das waren vor allem männliche Büchersammler jenseits der 50 und aus allen Schichten – ich hatte ja etwa auch eine große Auswahl an Jagd- und Reiseliteratur ab dem 17. Jahrhundert.
Wie kam es zum Schwerpunkt auf Goethes Faust in Ihrer Sammlung?
In der Bibliothek meiner Eltern stand ein Exemplar der Jahrhundertausgabe des Askanischen Verlags von 1932. Die Größe und Schwere hat mich genauso fasziniert wie der Inhalt. Ich war damals 5 und konnte noch nicht lesen. Aber da waren beeindruckende Bilder drin!
Goethe geht noch immer. Wie verläuft denn die Verkaufskurve von Büchern unseres Kölner Nobelpreisträgers Heinrich Böll?
Anno dazumal war er einer der Renner. Ich hatte sehr schöne Sachen von ihm, Originalmanuskripte etwa und einen per Hand ausgefüllten Antrag an die Stadt Köln aus den 1960ern. Das interessiert keinen Menschen mehr, heute ist Böll auch antiquarisch betrachtet − tot.
Gibt es einen Unterschied zwischen Büchersammlern und -lesern?
Leser hatte ich eher wenige als Kunden. Sammler suchen hingegen oft nach bibliophilen Ausgaben, die ich ihnen bieten konnte. Und dann gibt es die Büchernarren, die scharf auf alles sind.
Waren ihnen die sympathischer als die anderen?
Ich bin Antiquar und Kaufmann. Jeder, der Geld bei mir gelassen hat, war mir sympathisch.
Theodor Storm hat von alten Büchern mal als „Strandgut“ gesprochen. Was meinte er damit?
Da wird etwas angespült, das nur bestimmte Menschen wirklich entdecken können. Wie auch nur wenige am Strand der Ostsee Bernstein finden.
Wie viele begehbare Antiquariate gibt es noch in Köln?
Als ich im Mai 1982 meinen Laden in Deutz aufmachte, war ich stadtweit einer von über 40 Kollegen. Heute gibt es vielleicht noch fünf, würde ich schätzen. Ich selbst habe das Ladenlokal auch 2017 zugemacht und mich auf Stammgäste und den Onlineverkauf verlegt.
Das Geschäft ließ einfach nach, und viele Bücher liefen auch gar nicht mehr. Zu meiner besten Zeit hatte ich an die 70 000 Bücher, aber inzwischen beschränke ich mich auf meine Kernkompetenzen. Außerdem bin ich ja auch inzwischen 73, das ist was anderes als 37.
Wie verlief der Trennungsprozess von diesen Zehntausenden Büchern?
Schmerzlos, ich bin da Pragmatiker. Die Nostalgie überkommt mich manchmal, wenn ich einen der bestimmt dreißig Filme sehe, für die in meinem Laden gedreht wurde. Zuletzt lief zum Beispiel nochmal die Folge Marie Brand und das Erbe der Olga Lenau, in der man mein altes Antiquariat sieht.
Was sagt der Antiquar zu den modernen, kostenlosen Bücherschränken?
An sich eine gute Idee. Aber auch ein Zeichen für die gewandelte Wertschätzung von Büchern. Manchmal erinnern mich diese Bücherschränke an Babyklappen: Man will was nicht wegschmeißen, aber irgendwie loswerden. Ich bekenne mich hingegen dazu, dass ich Bücher seit rund zwanzig Jahren dem Recyceln zuführe.
Weil sie nichts mehr wert sind?
Der Markt ist ohnehin überschwemmt, ja. Aber beim Recyceln wird aus Büchern doch sogar wieder Papier!
Eierkartons zum Beispiel.
Genau. Gefühlsmäßig habe ich in den letzten zwei Jahrzehnten den halben Amazonas-Regenwald gerettet.
Sie haben früher ganze Nachlässe aufgekauft – und die Konsaliks dann heimlich direkt in die Tonne gekloppt?
Nicht heimlich – plakativ! Ein echter Coup war es, 1990 die sehr begehrte Bibliothek der gerade verstorbenen Lucy Millowitsch zu bekommen, der Witwe von Josef Haubrich. Da fragten sich alle Kollegen, wie kommt der Kerl von der Schäl Sick da dran? Der profane Grund: Mein Vermieter war Lucys Erbe.
Haben Sie beim Weiterverkauf ordentlich Reibach gemacht?
Richtig gut lief es mit einem Konvolut von ein paar Dutzend Originalen griechischer und römischer Klassiker aus dem 17., 18. Jahrhundert. Die habe ich am selben Tag für einen vierstelligen Betrag gekauft und für einen fünfstelligen verkauft.
Um sich dann abends ein gutes Fläschchen Wein aufzumachen?
Mehrere! Aber ich möchte dazusagen, dass bei diesem Geschäft alle drei Seiten ihren Schnitt gemacht haben. Ich habe als Antiquar immer versucht, faire Preise zu machen. Damit fährt man auf Dauer besser.
Durch Ihre Hände sind Hunderttausende Bücher gegangen. Was findet man in alten Büchern?
Sehr vieles. Ich habe zum Beispiel einen großen Karton mit über tausend Lesezeichen – kunstvoll gestaltete und gemalte, solche aus Holz oder auch aus Elfenbein. Als eine Witwe mir die Bücher ihres verstorbenen Mannes verkaufte, habe ich darin heiße Liebesbriefe einer fremden Dame gefunden. Das haben wir der Witwe dann aber nicht erzählt.
Was lesen Sie selbst gern, Krimis?
Lese ich gar nicht. Aber ich sehe mir gern alte Edgar Wallace-Filme im Fernsehen an. Zuletzt habe ich mal wieder den Candide von Voltaire gelesen – sehr empfehlenswert, sehr lehrreich! Aber ich bin auch ein großer Anhänger von Erich Kästner.
Botho Strauß sagte zuletzt mal wieder, die deutsche Nachkriegsliteratur tauge nichts, sie sei zu bekenntnishaft.
Da hat er teilweise recht. Aber Erich Kästner war ein Schriftsteller mit einer wunderbaren Sprache, ich lese auch seine Kinderbücher immer wieder gern.
Die Jugend liest nicht mehr, hört man allerorten. Wann haben Sie Ihren letzten Band von Karl May oder Hanni und Nanni verkauft?
Hanni und Nanni lag im Laden in den 2,50-Kisten. Von Karl May hatte ich immer wieder mal seltene Erstausgaben, zweimal sogar signierte Exemplare. Die könnte man sicher auch heute noch gut verkaufen.
Kennen Sie ein gutes Pandemie-Buch?
Natürlich Camus’ Die Pest und Garcia-Márquez’ Liebe in den Zeiten der Cholera. Aber ich erinnere mich als Antiquar auch an das Buch Die Cholera-Epidemie in Köln im Jahre 1849 von F. Heimann, erschienen 1850 im Verlag DuMont Schauberg.