Interview mit Philip Simon„In Köln ist sogar die Luft fetter“
- Seit 2020 gehört Philip Simon zum Ensemble der WDR-Mitternachtsspitzen.
- Der Kabarettist mit holländischen Wurzeln sprach mit Bernd Imgrund über Dialekte, Kartentricks und kölsche Besonderheiten.
Köln – „Schade, dass das Interview schon vorbei ist“, wird Philip Simon am Ende sagen, „jetzt werde ich gerade so richtig aggressiv.“ Aber so „ganz ohne“ waren seine ersten Antworten auch nicht.Sie sind 2013 von Berlin nach Köln gezogen. Wieso?
Wegen Fernsehen.
Das kann man doch auch in Berlin.
(lacht) Nicht gucken, sondern machen! Ich habe die Nate Light für ZDFneo gemacht, die in Hürth gedreht wurde. Anfangs bin ich zwischen beiden Städten gependelt, aber Köln gefiel mir dann besser.
Wieso?
Die Berliner sagen, ihre Stadt sei grün. Das liegt aber daran, dass sie noch keine andere gesehen haben. Köln ist grüner, ich finde sogar die Luft hier fetter.
Zur Person
Philip Simon wurde 1976 in Enschede geboren und wuchs in Essen auf. An der dortigen Universität studierte er Germanistik, Geschichte und Philosophie, begann jedoch parallel, professionell zu zaubern und als Conférencier im Varieté zu arbeiten.
2009 präsentierte er seine „Abschiedstournee“ betitelte erste Solo-Show als Kabarettist. Drei Jahre später moderierte Simon auf ZDFneo die Sendung Thekenquizzer, bevor er 2013 und 2014 die wöchentlich die Late-Night-Show Nate Light übernahm. Er erhielt u.a. den Jurypreis des Prix Pantheon und den Publikumspreis des Großen Kleinkunstfestivals der Wühlmäuse. Seit 2020 ist er festes Ensemblemitglied der Mitternachtsspitzen beim WDR. Im Januar 2021 startete er sein Youtubeformat Ende der der Schonzeit.
Neben der niederländischen besitzt Philip Simon auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Er wohnt mit seiner Frau in Bayenthal.
Welches Klischee über Köln trifft zu?
Wenn du aus Berlin kommst, ist es diese professionelle Freundlichkeit der Kölner: sehr herzlich, aber trotzdem gehörst du nicht zur Familie. Das entspricht auch meinem Naturell.
Kann man mit solchen Zuschreibungen nach 40 Jahren Jürgen Becker und Konrad Beikircher noch kabarettistisch arbeiten?
Dieses Kölsche war nie ein kabarettistisches, sondern eher ein folkloristisches Wohlfühlthema. Das funktioniert, weil dahinter steht: Wir sind auf der richtigen Seite!
Beikircher hat darauf seine Karriere gebaut.
Florian Silbereisen ist auch erfolgreich, ohne politisches Kabarett zu machen. Ich würde Beikircher jetzt nicht mit Silbereisen vergleichen …
Haben Sie aber gerade getan.
Stimmt, da muss ich jetzt durch.
Klang da womöglich Kritik an den Kollegen an?
Nein! Wenn ich in sieben Jahren Köln etwas gelernt habe, dann die erwähnte professionelle Freundlichkeit: Ich finde alle Kollegen grundsätzlich super!
Inzwischen verfallen Sie bei Ihren Nummern zuweilen in eine Art Rheinisch.
Echt? Aber gut, wenn ich in Tirol bin, eigne ich mir das auch in wenigen Tagen an. Ich mag grundsätzlich Mundart, vielleicht weil ich zweisprachig aufgewachsen bin. Ich bin ja auch lange mit niederländischem Akzent aufgetreten.
Warum heute nicht mehr?
Da steckte mir irgendwann zu viel folkloristischer Wohlfühlfaktor drin. Der niederländische Akzent klingt wie ein besoffener Westfale, das hat auch, wie das Kölsche, etwas Verniedlichendes. Dadurch gehen der Glanz und die Kraft von Wörtern manchmal verloren.
Wann zeigt sich der Niederländer in Ihnen?
In mir kämpft der entspannte Niederländer mit dem präzisionswütigen Deutschen. Wenn ich über die Grenze fahre, nehme ich automatisch den Fuß vom Gaspedal. Ich kann mich bis heute in niederländischen Supermärkten besser orientieren als in deutschen und fühle mich da auch wohler.
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Präsentieren Sie Ihr Kabarettprogramm auch auf Niederländisch?
Nein. Weil ich vor allem deutsche Thematiken auf die Bühne bringe. Auch ist das niederländische Kabarett ganz anders als das deutsche: theatraler, inszenierter, gerne mit Musik. Hierzulande kommt dem vielleicht Mathias Riechling am nächsten.
Für wen halten Sie bei Holland gegen Deutschland?
Holland!
Sie haben als Zauberkünstler angefangen und beherrschen einige imposante Kartentricks. Wie kam es dazu?
Da war zum einen mein Opa, der zahllose Taschenspielertricks beherrschte. Und mit 10, 11 hatte ich dann einen tollen Mathelehrer, der mir jede Woche einen Trick zeigte, dem ich in der Folgewoche nachforschen sollte. Das hat mich sehr gereizt, und irgendwann konnte ich damit sogar ein paar Mark auf Geburtstagen oder Sportfesten verdienen.
Haben Sie diese Fähigkeiten benutzt, um beim Mau-Mau zu betrügen?
Hab ich nie gemacht, immer nur zur Unterhaltung. Während des Studiums in Essen habe ich zum Beispiel dreimal die Woche in einer Kneipe gezapft und den Leuten Tricks vorgeführt. Dadurch bekam ich immerhin den gleichen Stundenlohn wie der DJ.
1998 begann Ihre Zeit beim Varieté, 2009 kam die erste Solo-Show. Gab es Tiefpunkte?
Immer wieder, na klar. Ich erinnere mich an einen Abend in Düsseldorf vor 180 völlig betrunkenen Asiaten, denen ich auf Deutsch moderierte Zaubertricks vorführen sollte. Die meisten sind eingepennt, das war echt schlimm.
Ist Ihnen der Wechsel zum Kabarett passiert, oder haben Sie den Schritt bewusst gemacht?
Beim Zaubern habe ich gemerkt, dass meine Redebeiträge zu den Tricks immer länger wurden. Die Lust an der Sprache führte dann auch dazu, meine ersten Nummern zu schreiben. Varieté ist Unterhaltung, eine Dienstleistung – wunderschön, aber ich wollte inhaltlicher arbeiten.
Vor einigen Monaten sagte an dieser Stelle eine 21-jährige Stand-Up-Comedienne: „Kabarett geht so: Ja, die CDU ist blöd und Horst Seehofer und Angela Merkel auch. Stand-up-Comedy ist vielleicht weniger direkt politisch, aber dafür gesellschaftskritischer.“
Hätte ich mit 21 auch so gesagt, ist aber falsch. Kabarett bedeutet nicht, zu sagen, die CDU sei doof. Kabarett bedeutet, sich mit der Welt auseinanderzusetzen und seine eigenen Gedanken, seinen Schmerz und seine Freude möglichst unterhaltsam textlich zu verarbeiten. Ob ich das reime, rappe oder was auch immer, ist egal – Kabarett und Comedy sind oft gar nicht so weit voneinander entfernt.
Ist Corona für den Kabarettisten mittlerweile eher Pflicht oder Kür?
Ein großartiges Thema! Mehr Leute als bei diesem Thema kann man ja gar nicht erreichen. Es lässt Emotionen und absurde Weltanschauungen aus den Menschen brodeln, die sonst still in der Eckkneipe weggesoffen werden. Corona ist Kabarett am lebenden Objekt.
Ihr Einstieg bei den Mitternachtsspitzen 2020 bedeutet einen Popularitätsschub. Welche Reaktionen gibt es in den Sozialen Medien?
Die komplette Breite, nicht zuletzt auch Wut und Hass. Ich verstehe mich da als öffentlich-rechtlicher Dampfablasser. Mal bin ich der „Merkel-Systemling“, mal der „Grundrechte-Verräter“, dem noch der Prozess gemacht werden wird. Für mich die ideale Atmosphäre, um zu arbeiten. Zuletzt schrieb einer: „Was Sie alles anstellen, um weiter vom WDR gebucht zu werden, nun ja. Heinz Rühmann ließ sich ja auch von seiner Frau (Jüdin) scheiden, um den Nazis zu gefallen.“
Ihr neuer Arbeitgeber WDR war zuletzt schwer unter Beschuss, unter anderem wegen einer Talkrunde zum Thema Alltagsrassismus.
War der WDR schonmal nicht unter Beschuss? Ich denke, das größte Problem ist, dass der WDR allmählich die Rollläden hochmacht und feststellt, dass die Welt da draußen sich verändert hat.
Muss ein Holländer dabei sein, wenn eine Talkshow die deutsch-niederländischen Konflikte debattiert?
Nö.
Muss ein Schwarzer oder eine Schwarze dabei sein, wenn es um Rassismus geht?
Müssen nicht. Aber es ist natürlich immer klug, wenn man die Leute, die es betrifft, auch befragt. Für Menschen, die von systemischem Rassismus betroffen sind, ist es schwer zu verdauen, wenn ein Thomas Gottschalk von seinen ach so erschütternden Erfahrungen erzählt, nachdem er sich in den USA mal schwarz angemalt hatte. Da fragt man sich, WDR, habt Ihr sie noch alle?!
Sie sind als halber Niederländer in Essen aufgewachsen. Wurden Sie gemobbt?
Mich haben sie „Fritte“ genannt und mir immer denselben Witz erzählt: Was ist ein Holländer mit nem Schwert im Kopf? Ein Käsehäppchen! Aber gegenüber echtem Rassismus ist das alles Kaffeeklatsch. Man kann das nicht vergleichen.
Wie frei sind Sie thematisch und politisch bei den Mitternachtsspitzen?
Völlig frei. Klar wird über Inhalte diskutiert, aber man wird vom WDR in keinster Weise zensiert.
Jürgen Becker, Wilfried Schmickler und Uwe Lyko haben 2020 aufgehört. Sie gehören zum neuen Team der über dreißig Jahre alten Sendung. Wohin sollen sich die Mitternachtsspitzen entwickeln?
Es ist nach zwei Folgen noch ein bisschen früh, um darüber zu reden. Erhaltenswert ist diese bürgerliche Kneipenatmosphäre im Alten Wartesaal, wo die Zuschauer auf Bierbänken beim Kölsch sitzen. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr Anarchie und noch mehr Sticheln. Richtig gut sind wir, wenn wir nach jeder Sendung einen Einlauf vom Buhrow kriegen.