AboAbonnieren

Kölner Künstlerin im Interview„Frage mich, warum es noch keine Klimaterroristen gibt“

Lesezeit 6 Minuten
Tamaara Lorenz

„Nichts wird durch Wiederholung wahrer“, sagt Tamara Lorenz auch mit Blick auf ihr Kunstprojekt, das noch bis März auf den 25 Litfaßsäulen im gesamten Stadtgebiet zu sehen ist.

  1. Ihre Kunst ist derzeit in ganz Köln zu sehen: Tamara Lorenz hat 25 Litfaßsäulen gestaltet.
  2. Bernd Imgrund sprach mit der Chargesheimer-Stipendiatin auch über ihre Arbeit als Musikerin.

Sie mag keine Antworten, die „so richtig richtig“ klingen. Eher bevorzugt sie einen gewissen „Vagismus“. Also fangen wir mal ganz vage an.

Sie sind in Oberhausen aufgewachsen. Haben Sie kindliche Erinnerungen an Litfaßsäulen?

Die haben etwas Skulpturales, auch Verspieltes. Die Kölner Litfaßsäulen, die ich mir angesehen habe, hatten metallene Krönchen, wie im Zirkus irgendwie. Interessant fand ich immer, wenn die Säulen nicht für eine einzige Werbung genutzt wurden, sondern da ganz viele verschiedene Plakate drauf waren. Musik, Politik, Agitation− alles war möglich, und Anfang und Ende fügen sich aneinander.

Die letzten 25 Kölner Säulen werden von Künstlern bespielt. Wie sind Sie an den Job herangegangen?

Ich wollte nicht einfach meine übliche Bildsprache zwischen Raum, Fläche und Verirrungen reproduzieren. Mit meinem Schriftbild „REPEATREPETITION“ knüpfe ich an die alte Funktion der Litfaßsäule an, Informationen zu übermitteln – eine Pinnwand für viele unterschiedliche Meinungen.

„REPEATREPETITION“: Wiederholungswiederholung?

Einerseits scheint das inhaltsleer zu sein, aber zugleich wirkt es gesprochen wie ein Mantra. Manch einer glaubt, dass seine Aussage durch ständige Wiederholung mehr Gewicht bekommt. Aber das ist ja totaler Blödsinn, nichts wird durch Wiederholung wahrer.

Auf den Internetseiten der Stadt liest man über „REPEATREPETITION“, die Arbeit „verdeutlicht die frustrierte Resignation von Lorenz gegenüber den politischen Verhältnissen“. Stimmt das?

Der Satz ist von mir, aber es muss „frustrierende“ heißen. Die Resignation ist frustrierend. Als ich jünger war, gab es auch globale Bedrohungen, aber die berührten mich nicht so stark wie heute. Klimawandel, politischer Populismus, Europa, die neuen Völkerwanderungen – das ist doch alles total crazy, und mein Handlungsspielraum ist so beschränkt.

Haben Sie sämtliche Litfaßsäulen-Standorte besucht?

Drei habe ich mir angesehen. Spannend fand ich vor allem die am Neumarkt, weil das ein so kontroverser Platz ist. Da siehst du über den Dächern die Domspitzen und stehst an dieser bepissten Litfaßsäule zwischen Junkies. Und dennoch hat die Säule fast einen eigenen Raum auf diesem Platz.

Schon 2006 haben Sie einen Kölner Kunstpreis bekommen, das Chargesheimer-Stipendium für Fotografie. Sind Sie dadurch berühmt geworden?

Nee, überhaupt nicht. Aber das liegt vielleicht auch an meiner eigenen Nicht-Strategie. Das Tolle an diesem Stipendium ist, dass nichts dafür verlangt wird, nicht mal ein Konzeptpapier. Man bekommt einfach nur das Geld und die damit verbundene Freiheit. Das kommt mir entgegen, weil ich nie so weit im Voraus denken kann, woran ich arbeiten will. Außerdem bin ich ganz schlecht im Beschreiben, und beim Reden läuft’s auch oft ziemlich brüchig. (lacht)

Als Kind des Ruhrgebiets müssten Ihnen Chargesheimers berühmte Aufnahmen von Unter Krahnenbäumen doch eigentlich gefallen haben.

Ja, klar. Aber diese Art Fotografie ist jetzt nicht mehr relevant für mich. Sie hatte ihre Zeit, alles wiederholt sich. Ich versuche, für mich neue Wege zu finden.

Was wird aus Kunst, wenn sie aus dem Atelier heraus nicht in Galerie oder Museum, sondern im öffentlichen Raum landet?

Sie wird weniger auratisch, die Distanz schwindet, der Betrachter kann sich die Sache mehr zu eigen machen. Ich glaube übrigens, dass viele Leute diese Litfaßsäulen gar nicht als Kunst wahrnehmen, sondern vielleicht als versteckte Werbung mit späterer Auflösung.

Hätten Sie die Litfaßsäulen in einem ländlichen Raum genauso gestaltet?

Ich denke nicht. Die Bewerbung habe ich aus der erwähnten frustrierenden Resignation heraus geschrieben. Der Ort hat für mich keine Rolle gespielt.

Was meinen Sie konkret?

Manchmal denke ich, ich lebe in Zement, weil alles so dystopisch ist. Ich frage mich, warum es noch keine Klimaterroristen gibt, die Politiker entführen und Forderungen stellen.

Idyllisch war es doch sicher auf Schloss Ringenberg bei Hamminkeln, wo Sie 2009 ein Stipendium hatten. Was macht man so in der niederrheinischen Abgeschiedenheit?

Das war super! Da hat man viel Zeit, sitzt ziemlich lange rum und starrt weiße Wände an. Kein sozialer Stress und kein Druck, Geld zu verdienen. Ich habe da einige gute Arbeiten hinbekommen, die zum Teil bis heute Bestand haben. Die Reihe „Axiome“ zum Beispiel, sie findet sich auch auf meiner Website.

MME dUO, Ihr elektromusikalisches Projekt gemeinsam mit Patricia Koellges, betreibt laut Eigenaussage „Feldforschung“.

Wir sind beide keine ausgebildeten Musiker, ich halte mich sogar für extrem unmusikalisch.

Kölsche Lieder können Sie nicht?

(lacht) Nee, gar nicht. Wir wollen für uns neues Terrain beschreiten, um unvoreingenommen Dinge zuzulassen. Alleine würde man vielleicht strengere Ansprüche stellen, aber zu zweit wagt man sich einfach hinaus und findet dahin, wo man insgeheim hinwill.

Sie sind also unmusikalisch und keine Elektronik-Fachfrau, machen aber elektronische Musik?

In der Tat! Ich sehe das als Experimentierfeld.

Sie haben dafür eigene Instrumente erfunden. Welches zum Beispiel?

Auf einer Lackierschale liegt ein Brett mit Tonabnehmer, außerdem ein dicker Filz und ein Stück Rohr, alles mit Gummibändern zusammengehalten. Ich kann die Gummibänder zupfen, das ganze Ding anschlagen und einiges mehr. Das geht dann alles in ein Effektgerät und erzeugt Töne.

Haben Sie dem Teil einen Namen gegeben?

Ich würde sagen, es heißt „Ding“. Aber manchmal hat es auch andere Namen. Ich bin ziemlich vergesslich.

In Ihren Musiktexten geht es um „fragmentierte Sprache“, liest man. Was reizt Sie am Fragment mehr als am Vollendeten?

In diesem Kontext habe ich Hemmungen vor direkten Aussagen, vor Narrativen. Fragmente sind interessanter, weil es deren viele gibt und die zusammenklingen können. Ich mag den „Vagismus“, wie ich das nenne.

Sie machen Fotos, Musik, Kunst und haben einen Verlag gegründet. Klingt auch persönlich ein wenig fragmentiert.

Wahrscheinlich, ja. Alles ist veränderbar, im Wandel, man kann nichts festhalten. Dasselbe zu machen, hat für mich keinen Reiz.

Verlaufen Sie sich nicht manchmal im Dschungel Ihrer Kunst?

Nö. (lacht) Kontrolle ist sowieso eine totale Illusion. Das geht schon.

Trotz Corona scheinen Sie 2020 ziemlich aktiv gewesen zu sein.

Eigentlich war ich nicht sehr produktiv, dafür an einigen Ausstellungen beteiligt. Es ist so, entweder arbeite ich, oder ich arbeite nicht. Dann schiebe ich Krisen, habe Zweifel, das kommt immer wieder vor. Corona hat die Zeit gedehnt, und dass der soziale Zugzwang dadurch nachließ, fand ich eine Weile sehr schön. Inzwischen geht es mir etwas auf die Nerven.

Eine 2020 gezeigte Arbeit war „Nützliche Fiktionen“, zu sehen auch auf Ihrer Website.

Das ist eine sehr vielseitige Werkreihe, die noch nicht abgeschlossen ist. Nützliche Fiktionen meint: Es ist eindeutig nicht real, aber was ist das schon?! „Nützlich“ betont, dass es sich lohnt, etwas dennoch an sich zu lassen, sich damit zu beschäftigen, auch mit Hinblick auf das Potenzielle des Unmöglichen.

Das schließt dann wiederum an „REPEATREPETITION“ an: Man muss es immer wieder versuchen.

Hinlegen, aufstehen, weitermachen.