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Streit um MobilfunkpatentRichter treiben Kölner Ford-Werke in die Enge

Lesezeit 5 Minuten

Die Kölner Ford-Werke dürften nicht mehr produzieren, wenn das Urteil vollstreckt würde.

Köln – Richter Matthias Zigann und seine Kollegen wollten in Saal 501 des Landgerichts München I offenbar ein Exempel statuieren: Wegen von seiner Kammer angenommener Patentrechtsverletzungen darf Ford Autos mit eingebauten mobilen Endgeräten, „insbesondere solche mit dem Ausstattungsmerkmal ,Ford Pass Connect’“ nicht mehr verkaufen. Dieses Urteil vom vergangenen Donnerstag (Az. 7 O 9572/21) ist zwar noch nicht rechtskräftig, kann aber vollstreckt werden, wenn der Kläger – ein Rechteverwerter namens IP Bridge – eine Sicherheitsleistung von knapp 227 Millionen Euro hinterlegt.

Worum geht es in dem Rechtsstreit?

Der in Tokio ansässige Rechteverwerter IP Bridge hat nach eigenen Angaben das Ziel, „angemessene Lizenzbeziehungen“ aufzubauen, „so dass nicht ausreichend genutzte Patente mit hohem Potenzial ans Licht geholt werden“. Hinter dieser eher poetischen Beschreibung verbergen sich knallharte Forderungen: IP Bridge hält Ford vor, mit in seinen Autos verbauten Chips ein Patent zu verletzen, das für das Funktionieren von Mobilfunkanwendungen nach dem aktuellen LTE-Standard unentbehrlich sei.

Das Patent wurde 2009 von dem Elektronikkonzern Panasonic angemeldet und 2012 beim Europäischen Patentamt eingetragen (EP2294737), ebenso wie bei anderen Patentbehörden weltweit. Es beschreibt Verfahrensweisen, um Steuersignale zu kanalisieren, die für jede LTE-Übertragung erforderlich sind.

Ein altes Patent-Schätzchen also – 2029 läuft es europaweit aus, dann ist die Technik nicht mehr geschützt –, ohne das aber bis heute kein LTE-Netzwerk funktioniert. Somit lässt sich damit aber immer noch Geld verdienen, so die Hoffnung des Rechteverwalters Avanci, in dessen Pool Panasonic das Patent eingebracht hat, und der Firma IP Bridge, die Avancis Ansprüche durchsetzen soll.

Was hat das Gericht in München entschieden?

Das Landgericht München I hat der Kölner Ford Deutschland GmbH Herstellung und Verkauf von Ford-Modellen mit der Panasonic-Technologie verboten. Zudem soll Ford über alle seit 2012 verkauften Autos mit dieser Technik Auskunft geben und Autos, die noch bei Händlern stehen, zurückrufen und vernichten (von Endkunden ist nicht die Rede, nur von gewerblichen Abnehmern).

Bei Verstößen drohen in jedem einzelnen Fall Ordnungsgelder von bis zu 250 000 Euro oder Ordnungshaft – im Wiederholungsfall sogar bis zu zwei Jahre Ordnungshaft, zu vollstrecken am jeweiligen Geschäftsführer.

Vertreten wurde IP Bridge durch die Düsseldorfer Kanzlei Wildanger, die deutschlandweit als führend in Patentangelegenheiten gilt. Ford verließ sich auf die Dienste der international tätigen Kanzlei Hogan Lovells.

Ford hatte den Inhabern des fraglichen Patents unter anderem einen Verstoß gegen ihre Verpflichtung vorgehalten, jedem Interessenten zu fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen eine Lizenz zu erteilen. Das ließ die 7. Kammer des Landgerichts München I nicht durchgehen. Richter Zigann hob in der mündlichen Urteilsbegründung hervor, Ford hätte dem Rechtepool Avanci ja seinerseits ein Angebot zur Abgeltung der Rechte machen können.

Gegen das Urteil kann Ford Berufung beim Oberlandesgericht vorlegen. Dennoch ist es vorläufig vollstreckbar, wenn IP Bridge die erwähnte Sicherheitsleistung – ganz exakt sind es 226 935 000 Euro – hinterlegt. Das ist bisher noch nicht erfolgt, Ford kann also weiter Autos verkaufen – vorläufig. Ob IP Bridge das Geld hinterlegt, dürfte sich in ein bis zwei Wochen zeigen.

Was sagt Ford zu dem Münchner Urteil?

Wenig. „Anlass dieses Gerichtsverfahrens ist die Lizenzierung standardessentieller Patente für LTE-Netzwerke. Da entsprechende Verhandlungen weiterlaufen und uns die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliegt, wollen wir uns zu diesem Zeitpunkt nicht dazu äußern“ – auf mehr als dieses Statement will sich Ford-Kommunikationsdirektor Ralph Caba nicht einlassen.

Theoretisch könnte Ford nun versuchen, zu erreichen, dass das Gericht die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils streicht. Ford könnte auch darauf dringen, die von IP Bridge zu hinterlegende Sicherheitsleistung zu erhöhen – sie ist aber auch so schon saftig. Vor allem aber könnte Ford unter dem Druck des Urteils eine Einigung mit IP Bridge und Avanci suchen. Der Passus über laufende „Verhandlungen“ könnte ein Hinweis darauf sein.

Welche Ford-Modelle sind betroffen?

Die vom Patent betroffene LTE-Technologie ist Voraussetzung für die FordPass-Funktionen (siehe Infokasten). Ford teilt nicht offiziell mit, welche Modelle betroffen sind – nach Lage der Dinge dürften es alle derzeit angebotenen Versionen sein. Zumal EU-weit seit 2018 eine elektronische Notruffunktion (E-Call) bei allen Neuwagen vorgeschrieben ist – schon das geht nicht ohne Mobilfunk.

Drohen weitere Auseinandersetzungen?

Sowohl Ford als auch andere Autohersteller und weitere Firmen, die Mobilfunktechnik nutzen, müssen sich auf weitere Verfahren gefasst machen. Allein Ford muss sich dem Vernehmen nach mit Verfahren wegen acht angeblicher Patentverletzungen herumschlagen – EP2294737, das alte Panasonic-Schätzchen, ist nur eines davon.

FordPass Connect

FordPass Connect sichert nicht nur die WLan-Versorgung im Auto, sondern ermöglicht es auch, zahlreiche Fahrzeugfunktionen per Mobilfunk zu überwachen und zu steuern: Das Auto vor Abfahrt vorheizen, Fernverriegeln, das Auto wiederfinden, Empfang von Verkehrsinformationen. Es gibt auch eine Diebstahlsicherung: Bei Entriegelung per (möglicherweise nachgemachtem) Schlüssel gibt es eine Warnung aufs Handy.

Werkstätten können über das System aus der Ferne technische Daten des Kundenfahrzeugs abrufen, wenn der Kunde sie dazu ermächtigt. Firmen können mit FordPass ihren Fuhrpark managen, bei Elektroautos lässt sich das Laden per App steuern und auch abrechnen. (rn)

Erst vor wenigen Tagen, darauf weist der Patentexperte Florian Müller hin, hat der niederländische Telekommunikationskonzern KPN Ford wegen einer ähnlichen Patentstreitigkeit verklagt. Streitgegenstand ist diesmal Patent Nummer EP2291033, bei dem es um die Steuerung des Netzzugangs geht. Zuständig: Wieder die 7. Kammer des Landgerichts München I, Vorsitzender Richter Matthias Zigann. Auch in den US-Bundesstaaten Delaware und Texas laufen ähnliche Verfahren gegen Ford.

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Tatsächlich dürften aber große Teile der weltweiten Automobilindustrie – Hersteller wie Zulieferer – von derartigen Auseinandersetzungen betroffen sein, denn sie alle setzen auf Vernetzung. Im Januar sind zwei namentlich nicht genannte Konzerne, vermutlich Continental und TomTom, vor dem Bundesgerichtshof mit dem Versuch gescheitert, das alte Panasonic-Patent für ungültig erklären zu lassen. IP Bridge hatte auch VW in München verklagt – die Wolfsburger warteten aber kein Urteil ab, sondern einigten sich mit Avanci auf eine Lizenzierung. Daimler musste sich 2020 in einem ähnlichen Verfahren mit Nokia, Sharp und dem Verwerter Conversant herumschlagen.