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„Ich will entfesseln“Was Kölns neuer IHK-Chef für die Zukunft der Kammer plant

Lesezeit 6 Minuten
Vetterlein IHK Köln

Der neue IHK-Hauptgeschäftsführer Uwe Vetterlein 

  1. Seit 1. September führt Uwe Vetterlein die Geschäfte der IHK Köln.
  2. Über seine ersten Tage im Amt und seine Pläne sprachen mit ihm Ralf Arenz und Cordula von Wysocki.

Herr Vetterlein, wie war der Start?

Ich freue mich wieder in Köln zu sein. Zunächst geht es für mich um Vernetzung mit den wesentlichen Akteuren. Es gab schon Gespräche mit Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und den gerade wahlkämpfenden Politikerinnen und Politikern. Mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen IHKen in der Region war ich ohnehin immer wieder in Kontakt.

Was steht bei den Sachthemen oben auf der To-Do-Liste?

1200 Unternehmen im Kammerbezirk sind von der Flut betroffen. Hier bieten wir aktuell Unterstützung bei der Beantragung von Hilfen. Und wir beraten in der Corona-Pandemie. Soloselbstständige, die Mitte oder Ende 50 sind, ihr Privatvermögen eingesetzt haben, das als Altersvorsorge gedacht war, stehen vielleicht vor schwierigen Entscheidungen. Da ist von unseren Expertinnen und Experten auch eine empathische Lebensberatung nötig und erst danach der fachliche Rat, wie es weitergehen kann.

Zur Person

Uwe Vetterlein wurde am 9. Dezember 1960 in Nürtingen/Neckar geboren. Der promovierte Volkswirt war von 1996 bis 2003 Geschäftsführer der IHK Köln für den Bereich Standortpolitik, Unternehmensförderung, Handel und Verkehr. Danach leitete er bis zu seinem Wechsel als Hauptgeschäftsführer der Kölner Kammer die IHK Darmstadt. Innerhalb der IHK-Organisation ist er Vorsitzender des DIHK-Arbeitskreises Rechnungswesen und Controlling sowie Vorstand des IHK 24 e.V. Zudem ist Vetterlein im fachlichen Beirat der DIHK-Bildungs-GmbH engagiert. Mit seiner Frau lebt er seit langem in Köln, er hat zwei erwachsene Kinder. (raz)

Das Thema Attraktivität der Kölner City und deren Erreichbarkeit hat Sie schon vor über 20 Jahren umgetrieben. Dabei haben Sie auch die KVB heftig kritisiert. Hat sich etwas zum Besseren gewendet?

Das Nahverkehrsangebot ist besser geworden. Es gibt Taktverdichtungen, viel genutzte Angebote wie etwa Job- oder Studierendentickets. Hier gibt es aber noch Luft nach oben. Ich möchte nicht auf einen Fahrplan schauen müssen. Wie in Berlin könnte alle zwei Minuten eine Bahn kommen. Das kostet freilich Geld. Ich wünsche mir mehr digitale Vernetzung. Dann könnte ich eine App nutzen, wenn ich einen bestimmten Weg zurücklegen möchte. Die würde mir die dafür optimalen Verkehrsmittel ermitteln, die Kosten dafür ausrechnen und am Monatsende abrechnen. Die Infrastruktur insgesamt hat sich nicht wirklich verbessert. Ich bin kürzlich von Köln-Brück mit dem Fahrrad in die Innenstadt gefahren. Auf dem Radweg fühlt man sich nicht wirklich sicher.

Die Schwächen der Innenstädte hat die Corona-Pandemie noch verschärft. Wie können die Citys attraktiver werden?

Wir brauchen neue Ideen. Lange dominierte die Handelsfunktion, diese Zeit ist vorbei. Es wird wohl eine neue Mischung aus Gastronomie, Freizeit, Kultur, Wohnen, Arbeiten und Einkaufen geben. Ich möchte dabei nicht warten, bis aus Warenhäusern und Fachgeschäften erst 1-Euro-Shops geworden sind, die Läden dann leer stehen und die Mieten so weit sinken, dass die Immobilien für neue Nutzer bezahlbar sind. Wir müssen Umbauprojekte definieren, Politik und Eigentümer an einen Tisch bringen. Auch die öffentliche Hand könnte als Investor auftreten und nicht-kommerzielle Treffpunkte einrichten.

Welche Ideen haben Sie für die Zukunft des Reviers?

Für mich ist die Energiefrage der entscheidende Punkt. Die Industrie wird nämlich dahin gehen, wo der Strom ist. Und wir werden in Zukunft mehr Strom benötigen, als bislang gedacht. In Rechenzentren ist der Bedarf oft noch höher als in Industrieanlagen. Das Strukturkonzept sieht für eine Übergangszeit Gaskraftwerke vor, die später mit Wasserstoff betrieben werden sollen. Die Zeit drängt, wir brauchen jetzt konkrete Pläne für die Wasserstoff-Pipeline nach Rotterdam oder die Verträge dazu mit den Holländern. Generell stellt sich die Frage, woher der ganze grüne Strom kommen soll. Wir brauchen neue Windkraftanlagen, die langen Planverfahren schaffen neue Risiken für die Versorgungssicherheit.

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Sehen Sie ein Gesamtkonzept für das Revier?

Es gibt viele kommunale Projektchen, die Sterne für eine mögliche Förderung erhalten, aber noch wenig Konturen für das Ganze. Ich frage mich, ob aus dem großen Schwerpunkt der Projekte an der RWTH in Aachen oder dem Forschungszentrum Jülich die nötigen Industriearbeitsplätze entstehen. Denn das Rheinische Revier muss Industriestandort bleiben. Dazu müssen qualifizierte große Flächen ausgewiesen werden.

Welche Unternehmen können angesiedelt werden?

Flächen werden gesucht, wie ich im Rhein-Main-Gebiet beobachten konnte. Dort konnte etwa eine große Batteriefabrik aus Asien mangels Flächen nicht angesiedelt werden.

Große Ansiedlungen im Bereich Elektromobilität gab es im Osten Deutschlands. Dabei wurde auch auf eine bessere Förderung dort verwiesen.

Wir sind als Standort so gut, dass wir nicht auf Förderung setzen sollten. Unternehmen siedeln sich an, wenn sie einen Markt sehen und die nötigen Fachkräfte gewinnen können. Die gibt es hier. Deutsche Ingenieure sind für die Qualifikation, die sie haben, im internationalen Vergleich günstig und überhaupt verfügbar. Dazu kommt, dass die Führungskräfte ausländischer Unternehmen gerne in Deutschland leben. Das Land ist sicher. Kinder können mit Bus und Bahn zur Schule fahren. Für US-Führungskräfte ist dies eine neue Erfahrung. Für eine Ansiedlung spricht auch das breite kulturelle Angebot und die Nähe zu Flughäfen. Wir dürfen Unternehmen aber nicht mit Geboten oder Berichtspflichten überladen.

Welche Unternehmen könnten noch kommen?

Uns geht die Arbeit nicht aus. Es werden auch neue Jobs rund um die Fertigung entstehen, etwa im Bereich der Wartung und Steuerung von Industrieanlagen. Und wer hätte sich vor Jahren vorstellen können, wie sehr sich Plattformstrategien durchsetzen. Ich glaube an die Kreativität der Menschen, wir müssen ihnen dafür aber den Raum geben.

Sie wollen die IHK umbauen und schlagkräftiger machen.

Ich möchte etwa bei den IHK-Kernaufgaben Aus- und Weiterbildung etwas drauflegen. Und, ja, ich möchte Kräfte in der IHK Köln entfesseln. Ich bin kein Freund von langen Berichten mit vielen Kennzahlen, die dann abgeheftet werden. Und ich bin für flache Hierarchien. Es werden aber keine Konzepte, die in Darmstadt funktioniert haben, einfach übertragen. Ich will mir 100 Tage Zeit nehmen für Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dann soll es eine gemeinsame Verständigung über Werte der Zusammenarbeit und eine Strategie geben.

Ulrich S. Soénius ließ sein Amt als stellvertretender Hauptgeschäftsführer ruhen, als er sich als Hauptgeschäftsführer beworben hat. Jetzt läuft er immer noch als Geschäftsführer für Standortpolitik. Wird er wieder stellvertretender Hauptgeschäftsführer?

Das wird gerade geklärt. Eine Vertretung muss es geben. In Darmstadt haben die Geschäftsführer mich beispielsweise reihum vertreten. Aber es bleibt dabei, dass nichts von Darmstadt einfach übernommen wird, wenn es nicht zu der Kultur im Haus passt.

Sie haben zwei Zentralen. Den Sitz in der Innenstadt und das im Bau befindliche Lofthaus in Mülheim. Wo sitzt die IHK Köln in Zukunft?

Das Lofthaus ist nicht optimal für die Funktion der IHK. Das ist das Ergebnis einer Befragung der Mitglieder der Vollversammlung und weiterer Stakeholder in der Stadt. Weit überwiegend ist die Meinung, die IHK solle ein Forum und Treffpunkt für die Unternehmer sein. Transparent, offen, niederschwellig. Das Lofthaus ist aber ein reines Bürogebäude. Der Prozess soll aus der Streitecke geholt und versachlicht werden. Wir entwickeln mit einem professionellen Dienstleister ein Raumprogramm und prüfen auch, ob wir an einen Standort auch die Weiterbildung, die jetzt in der Eupener Straße angesiedelt ist, integrieren können. Auf dieser Basis werden wir die heutige Zentrale in der Innenstadt im Verhältnis zu einem fiktiven Neubau auf Eignung, Kosten und zeitliche Machbarkeit prüfen. Vielleicht gibt es ja ein geeignetes Grundstück, an dem sich alle unsere Ideen verwirklichen lassen. Vielleicht geht das am bestehenden Standort, vielleicht müssen wir Abstriche bei unseren Anforderungen machen. Geklärt werden soll das fachlich bis Ende des Jahres.