Politikwissenschaftler Volker Kronenberg sieht die Niederlage der SPD auch als Folge des Bundespolitik.
Eva Burghardt hat mit ihm gesprochen.
Herr Kronenberg, wie sehr hat die das vorläufige Wahlergebnis überrascht?
Also überrascht hat mich der deutliche Vorsprung der CDU vor der SPD. In den letzten Umfragen lagen die beiden ja doch näher beieinander. Mit der CDU haben wir jetzt auf einmal doch einen klaren Wahlsieger auf Platz Eins. Bei ihr liegt jetzt das demokratiepolitische Recht mit anderen Parteien Gespräche zu führen, aber der eigentliche Wahlsieger sind für mich die Grünen.
Von den Grünen war im Vorfeld oft als „Königsmacher“ die Rede, weil sie entscheiden welche Partei den Ministerpräsidenten stellt. Was glauben Sie, wen krönen die Grünen?
Ich sehe deutliche Signale, dass Schwarz-Grün möglich wird. Das haben die Grünen auch im Vorfeld nicht ausgeschlossen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Schwarz und Grün an Rhein und Ruhr schon länger gesprächsfähig und durchaus koalitionsoffen sind.
Zur Person
Prof. Dr. Volker Kronenberg lehrt Politische Wissenschaft am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie als Honorarprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. 2018 und 2022 wurde er außerdem zum Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn gewählt. (ebu)
Woran könnte das liegen?
Die Grünen haben durchaus ihre Erfahrungen mit der SPD gemacht, etwa unter Johannes Rau, Peer Steinbrück und Wolfgang Clement. Und das waren ja nicht die Besten. Außerdem haben wir in vielen Städten in NRW schon schwarz-grüne Bündnisse erlebt. Die Koalition von Grünen und CDU sind also auf kommunaler Ebene durchaus erfolgreich. Das heißt: Schwarz-Grün käme nicht unvermittelt.
Man spricht in NRW ja auch von einer „kleinen Bundestagswahl“.
Mit 13 Millionen Stimmberechtigten ist das mit großem Abstand die wichtigste Wahl und ein massiver Stimmungstest für den Bund. Wenn es jetzt Schwarz-Grün wird, wäre es das erste Mal im bevölkerungsreichsten Bundesland. Und eine herbe Niederlage für die Ampel.
Schon bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein hat die CDU einen klaren Sieg geholt.
Im Grunde ist die Ampel sowohl in Kiel als auch in Düsseldorf abgestraft worden – mal abgesehen von den Grünen. Aber die SPD und FDP wurden deutlich abgestraft.
Woran hat das in NRW gelegen?
Es gab keinen Rückenwind aus Berlin. Darauf hatte man aber gesetzt. Die Schlussphase mit Scholz und Kutschaty ist voll nach hinten losgegangen. Und es hat keine Wechselstimmung gegeben. Was hatte man auch angeboten? Die SPD hat sich im Grunde auf ein: „Mehr und schneller!“ zurückgezogen. Aber wirkliche Alternativen zur amtierenden Regierung, so etwas wie ein Gegenmodell, ist man schuldig geblieben.
Wie steht es um die FDP?
Für die FDP ist natürlich bitter. Weil die Stärke von Lindner, daraus resultiert die Stärke der FDP ja immer noch, liegt in seinem Heimat-Landesverband in NRW und die hat sich massiv erodiert. Man sieht eine wirkliche Beschädigung der Partei. Das wird man beobachten müssen. Man kann von einem politischen Beben an Rhein-Ruhr mit Blick auf die Ampel in Berlin sprechen.
Was bedeutet das für die Bundespolitik?
Das Dreier-Bündnis wird anspruchsvoller und fragiler. Die Grünen sind stark, die FDP wird noch mehr auf Eigenständigkeit setzen müssen und die SPD steht natürlich vor der Frage, was das für sie bedeutet, dass sie so abgestraft wurde.
Trotzdem sprechen Thomas Kutschaty und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert von Regierungsbildung in NRW.
Das halte ich für politischen Hokuspokus. Dass man sich als Wahlverlierer mit dem historisch schlechtesten Wahlergebnis in NRW, die SPD lag ja seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie unter 30 Prozent, hinstellt und einen Regierungsanspruch formuliert, ist politische Illusionskunst. Das ist weniger mutig als mutwillig. Hochproblematisch. Es gibt natürlich den Funken Hoffnung, doch noch im Spiel zu bleiben durch eine rechnerische Mehrheit von Rot und Grün. Das überdeckt die Schwere der Niederlage. Das jetzt aber umzukehren und da einen Machtanspruch draus abzuleiten, wird schwer gelingen.
Was hat Hendrik Wüst richtig, was hat Thomas Kutschaty falsch gemacht?
Hendrik Wüst hatte eine geschlossene Partei hinter sich. Der Wechsel von Laschet zu Wüst kam abrupt und auch überraschend. Im Vorfeld war nicht klar, dass Wüst es versteht, blitzschnell die Reihen zu schließen. Er hat da sehr klug integrierend und moderierend gewirkt – und zwar nicht nur nach innen in die Partei, sondern auch nach außen in die Gesellschaft, auf die Landesebene. Wäre er nicht so jung könnte man fast von einem Landesvater sprechen. Bei Hendrik Wüst war es vor allen Dingen diese Geschlossenheit.
Die hatte Thomas Kutschaty offenbar nicht?
Es hat immer, unter vorgehaltener Hand, Skepsis und Kritik gegeben. Das sind auch Wunden, die nicht wirklich verheilt sind. Man denke an den Machtkampf zwischen Sebastian Hartmann und Thomas Kutschaty. Und er war nie wirklich unangefochten die Nummer Eins – bis heute.Und in Zukunft wird er es vor dem Hintergrund dieses Wahlergebnisses sowieso nur schwerlich sein können. Das spricht eben dafür, dass die SPD jetzt im Moment wirklich keinen Regierungsauftrag für sich reklamieren kann.
Woran könnte diese schwere Niederlage gelegen haben?
Einerseits spielten bundespolitische Ereignisse wie der Krieg eine wichtige Rolle – das ist eher ungewöhnlich bei Landtagswahlen. Und wenn es um Landesthemen ging, dann waren es eben keine SPD-Themen, sondern grüne Themen: Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit. Und wenn es um wirtschaftliche Themen oder innere Sicherheit ging, dann waren es CDU-Themen. Letztendlich konnte man die wichtigen Politikfelder nicht für sich reklamieren.
Welche Rolle spielte Ukraine-Krieg konkret bei diesem Ergebnis?
Es ist eher selten, dass bundespolitische Themen bei Landtagswahlen einen großen Stellenwert einnehmen, aber genau das haben wir in den letzten drei Wochen in den Umfragen gesehen. Da konnte die SPD eben nicht mit ihrem Kanzler punkten und diese Unzufriedenheit hat sich da natürlich auch ausgewirkt. Scholz war kein Motor für die SPD– eher im Gegenteil.