Düsseldorf – Sie hatten mit einem „Kopf-an-Kopf-Rennen“ gerechnet, mindestens aber mit einem respektablen zweiten Platz. Am Ende lagen die Sozialdemokraten nicht nur überraschend deutlich hinter der CDU, sie blickten sogar auf das bisher schlechteste Abschneiden der SPD bei einer NRW-Landtagswahl überhaupt. Die Wahlparty in der mondänen „Rheinterrasse“ fiel zwar nicht aus, aber an ein ausgelassenes Fest war natürlich nicht zu denken.
Um 18.30 Uhr trat NRW-SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty vor seine Parteifreunde. Sie empfingen ihn – den schlechten Prognosen und Hochrechnungen zum Trotz – mit Applaus und „Thomas, Thomas“-Rufen. Man hätte in diesem Moment fast denken können, da befinde sich ein Sieger auf der Bühne, eingerahmt von NRW-SPD-Generalsekretärin Nadja Lüders und den Vize-Landtagsfraktionschefs Sven Wolf, Jochen Ott und André Stinka.
Kutschaty: Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken
„Herzlichen Dank für eure Aufmunterung. Das tut an einem solchen Abend verdammt gut“, ruft Kutschaty. Das Ergebnis sei „leider nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben.“ Die SPD habe stärkste Partei werden wollen und dieses Ziel verfehlt. In seinem einstigen Klassenzimmer aus Grundschulzeiten hatte Kutschaty am Sonntagmorgen zusammen mit seiner Frau Christina im Essener Stadtteil Borbeck seine Stimme abgegeben. Da rechnete er noch mit einem „guten Ergebnis“. In Umfragen lagen die Sozialdemokraten nur knapp hinter der Union.
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, und so flüchteten sich die Sozialdemokraten in Erkenntnisse aus dieser Wahl, die ihnen etwas Mut machen. „Das Wahlziel Nummer eins, die Abwahl von Schwarz-Gelb, wurde erreicht“, bilanzierte Kutschaty. Und vom Traum, das große Bundesland in den kommenden Jahren vielleicht doch mitregieren zu können, will die Spitze der NRW-SPD trotz des schlechten Abschneidens nicht lassen. „Die Sozialdemokratie in NRW steht bereit auch für eine neue Landesregierung“, sagte Kutschaty unter Beifall. Es gebe keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Das bedeutet: Für den Fall, dass rechnerisch und praktisch eine rot-grüne Regierungsbildung oder eine „Ampel“ möglich sein sollte, würde die SPD diese Regierung anführen wollen, obwohl der Abstand zwischen Union und SPD so klar ist. Ob das moralisch überhaupt zu rechtfertigen wäre, daran denkt niemand.
Regierungsauftrag bei CDU und Grünen
Natürlich liege der Regierungsauftrag bei CDU und Grünen, sagte Generalsekretärin Nadja Lüders später. Die SPD sei aber „bereit für Gespräche“. Gerade bei den Themen Klimawandel, gute Bildung und bezahlbares Wohnen gebe es „große Schnittmengen“ zwischen SPD und Grünen. Und doch ist es für viele hier eine bittere Erfahrung, dass die Grünen in NRW der „Königsmacher“ sind und Hendrik Wüst die Krone aufsetzen könnten.
Am Ort der Wahlparty, in der „Rheinterrasse“, hatte die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag im vergangenen November ihren 75. Geburtstag gefeiert. Olaf Scholz, damals noch nicht zum Kanzler gewählt, nahm sich zwei Stunden Zeit für seine politischen Freunde in NRW, denn mit ihrer Hilfe im bevölkerungsreichsten Bundesland hat er maßgeblich die Bundestagswahl im Sommer 2021 gewonnen. In dieser Landtagswahl erhoffte sich die SPD in NRW Rückenwind von der Aura des Kanzlers. Thomas Kutschaty zeigte sich auf Plakaten und auf Bühnen Seite an Seite mit Scholz. Die beiden bildeten in diesem Wahlkampf eine politische Schicksalsgemeinschaft. Der Plan ging nicht auf. Und Olaf Scholz muss nur eine Woche nach Schleswig-Holstein eine weitere Schlappe seiner Partei verkraften, diesmal im bevölkerungsreichsten Land, bei der sogenannten „kleinen Bundestagswahl“. Die NRW-Wahl wirft auch einen langen Schatten auf Scholz’ „Ampel“-Regierung. Anke Rehlingers Triumph im kleinen Saarland ist an diesem Abend sehr weit weg.
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Woran hat es gelegen, dass die SPD in ihren früheren „Stammland“ ein weiteres Mal von den Wählern abgestraft wurde? Für eine echte Analyse sei es „zu früh“, sagte Landtagsfraktionsvize Jochen Ott am Abend. Die niedrige Wahlbeteiligung dürfte die SPD geschwächt haben, da sind sich die Wahlkämpfer sicher. Möglicherweise auch die schon vor Tagen abgegebenen Stimmen der Briefwähler, vermutet Fraktionsvize Sven Wolf. Mag sein, dass das gute Wetter Menschen vom SPD-Wählen abgehalten hat, hieß es. Den Grünen haben diese Rahmenbedingungen aber offenbar nicht geschadet.
„Vor einem Jahr standen wir in Umfragen bei 17 Prozent“
An einem Wahlabend, der im Grunde keinen Anlass für Optimismus bot, redeten sich viele Sozialdemokraten fast schon trotzig die Lage schön. „Vor einem Jahr standen wir in Umfragen bei 17 Prozent“, erklärte Kutschaty. „Wenn man uns letztes Jahr gesagt hätte, wir landen bei 28 Prozent, hätte man uns ausgelacht“ sagte Jochen Ott. So betrachtet, hat die SPD sogar einen erfolgreichen Wahltag erlebt.
Nun stehen viele Fragen unbeantwortet im Raum. Gibt es vielleicht doch noch eine Regierungsoption für die NRW-SPD? Muss sie sich nach dieser Landtagswahl neu erfinden? Kann Thomas Kutschaty Partei und Fraktion weiter unangefochten führen, oder regt sich Widerstand in der Partei? Eines steht aber fest: Es ist nicht so gelaufen, wie es sich die SPD vorgestellt hat.