Der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg sieht Chancen nach dem Kraftakt zu Verteidigung und Infrastruktur im Bundestag. Frank Überall hat mit ihm gesprochen.
Bonner Politologe„Zahlen sind das eine, das andere ist die notwendige Vision“

Geschafft: Friedrich Merz gibt am Dienstag im Bundestag seine Stimme ab. dpa
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Über die Grundgesetz-Änderung zu den Finanzpaketen für Verteidigung und Infrastruktur hat Frank Überall mit dem akademischen Direktor und Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Volker Kronenberg, gesprochen.
Ist dieser historische Beschluss des Bundestages gut oder schlecht für Deutschland?
Das liegt jetzt in der Verantwortung derjenigen, die mit dem heutigen Tag einen großen Schritt in Richtung Regierungsübernahme und unter Kanzlerschaft von Friedrich Merz gemacht haben. Für die handelnden Akteure war das ein Kraftakt. Das war wuchtig und mutig.
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Aber auch strittig?
Das hat natürlich auch ein Stück weit Vertrauen gekostet, wenn man im Wahlkampf etwas doch sehr anderes in Aussicht stellt als das, was man wenige Stunden und Tage später macht. Natürlich ist jetzt das Kalkül der Handelnden, die jetzt diese Regierung bilden wollen, dass das auch Psychologie ist: Dass man eine Dynamik freisetzt und notwendige Dinge, die ja allzu lange liegen geblieben sind in Sachen Verteidigung und Infrastruktur, endlich auf den Weg bringt. All das soll nicht nur Wirtschaftswachstum generieren und diese Schulden relativieren, sondern soll auch Vertrauen zurückbringen und Zuversicht stärken. Das ist jetzt die Staatskunst, auf die es ankommt.

Prof. Dr. Volker Kronenberg
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Trotzdem ist es eine enorme Summe, die hier jetzt aufgewendet wird.
In der Tat, die ist fast unvorstellbar groß. Aber Zahlen sind das eine, das andere ist die notwendige Vision. Die steht nicht in dem Sondierungspapier. Hier muss nicht nur im Koalitionsvertrag nachgeliefert werden. Wenn das kommt, kann das ein guter Tag für Deutschland sein. An das andere will ich gar nicht denken.
Was ist denn die Alternative?
Die würde enttäuschtes Vertrauen bedeuten: Man hätte viel Geld in die Hand genommen, ohne konkrete Lösungen. Wenn das Vertrauen weiter schwindet, dann stärkt das nur immer weiter die politischen Ränder und vor allem Rechtsaußen. Und dann will man sich gar nicht ausmalen, wohin das führen kann.
Auch wenn die zusätzlichen Schulden als Sondervermögen bezeichnet werden, müssen sie eines Tages zurückgezahlt werden. Was bedeutet das für künftige Generationen?
Wirtschaftsfachleute sagen, wenn das Geld klug ausgegeben wird und das flankiert wird mit Strukturreformen und Bürokratieabbau, können Kräfte im Guten freigesetzt werden, worauf die junge Generation weiter aufbauen kann. Insofern würde ich das gar nicht fatalistisch sehen wollen. Das war hohes Risiko, was man eingegangen ist.
Jetzt trägt eine künftige Regierung auch die Verantwortung, nicht noch einmal unvorstellbar große Summen auszugeben, sondern substanziell etwas zu tun. Im Bereich der Verteidigung heißt das, auch wirklich nachhaltig in Rüstung und Sicherheit zu investieren: Auf die Überholspur zu gehen, wo man viele Jahre auf der Bremsspur war.
Weltweit wird beobachtet, wie sich Europa und somit auch Deutschland bei der Verteidigung neu aufstellen. Ist der Beschluss des Bundestages aus Ihrer Sicht ein hinreichendes Zeichen?
Für mich ist die Geschlossenheit in der Mitte des Parlaments bemerkenswert: Vor allem, dass die Grünen zugestimmt haben. Die Zweidrittelmehrheit ist schon ein starkes Signal, das womöglich Mut machen kann.
Das unterstreicht jetzt das Grundvertrauen in die Zukunftsfähigkeit von repräsentativer liberaler Demokratie. Das steht nicht nur in Abgrenzung zu Demokratiefeinden a la Russland und Putin, sondern auch zum amerikanischen Präsidenten, auf den wir mit immer größerer Verstörtheit blicken.
An der Grünen-Basis ist das aber durchaus umstritten.
Der Beschluss war noch der Ausläufer der Regierungsverantwortung und der staatspolitischen Verantwortung. Ich würde durchaus prognostizieren, dass die Grünen sich neu justieren: Personell, aber auch programmatisch. Die Grünen beobachten den Achtungserfolg der Linkspartei bei der Bundestagswahl sehr genau.
Jetzt stellt sich die Frage, ob sie mehr Partei der Mitte oder mehr oppositionelle linke Kraft sein wollen. Das ist noch nicht ausgemacht. Und das rührt auch an die Anfänge, denn die Grünen waren früher eher gegen Verteidigung und Aufrüstung, lehnten sogar die Nato-Mitgliedschaft ab. Das war ein weiter Weg, der auch gezeigt hat, dass die Grünen lernfähig und willig sind, staatspolitische Verantwortung übernehmen zu wollen.
Trotzdem war der Ton zwischen Union und Grünen in der letzten Zeit oft eher unfreundlich.
Das Draufdreschen auf die Grünen und das Ausschließen einer möglichen Koalition auf Bundesebene mit den Grünen durch die CSU war nicht glaubwürdig und letztendlich auch nicht redlich, weil die Grünen ja unter Beweis gestellt haben, dass sie eben sehr wohl koalitionsfähig und bereit sind, schmerzhafte Kompromisse zu akzeptieren. Da bleiben natürlich Fragezeichen, auch wenn wir uns die letzten Wochen anschauen, was die Strategiefähigkeit auch innerhalb der Union angeht.
Wird eine schwarz-rote Koalition denn streitfreier regieren können?
Die Krise ist international so groß, dass man zusammenstehen muss und dass Schwarz wie Rot genau wissen, dass Scheitern überhaupt keine Alternative ist. Sie müssen auch vier Jahre über die volle Strecke der Legislatur zusammenbleiben. Alles andere würde im Zweifelsfall wieder auf das Konto von Populismus, Extremismus und Demokratieverächtern einzahlen. Verantwortung und Druck sind groß, das kann aber auch heilsam sein.
CDU-Vorsitzender Friedrich Merz hat betont, die Entscheidung könne ein erster großer Schritt hin zu einer neuen europäischen Verteidigungsgemeinschaft sein. Ist das realistisch, während beispielsweise Ungarn anscheinend ganz andere Ziele verfolgt?
Friedrich Merz hat umsichtig und klug sehr früh den Kontakt zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufgenommen. Macron hat über Jahre die Hand ausgestreckt und Vorschläge gemacht. Zu Merkels Zeit ist die Hand nie aufgegriffen worden, bei Scholz auch nur halbherzig. Das will Merz jetzt anders machen. Das halte ich für richtig.
Man wird die Verteidigung nicht supranational oder im Rahmen der EU machen können, wo im Zweifelsfall Einstimmigkeit notwendig ist. Man wird das gemeinsam mit einigen Regierungen machen. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat heute sehr richtig Deutschland, Frankreich, Polen, Italien und Großbritannien als Länder genannt, mit denen man diesen Weg gehen kann. Ohne notorische Bremser wie Ungarn.
Macron hatte ein europäisches Schutzkonzept mit Atomwaffen angeregt. Kanzler Olaf Scholz hat sich kritisch zu dem Vorstoß geäußert, der wohl nächste Kanzler Friedrich Merz positiv. Wie beurteilen Sie, dass Deutschland derzeit auf internationaler Bühne unterschiedliche Positionen einnimmt?
Ich beobachte eher, dass man nicht wechselseitig versucht, sich Steine in den Weg zu legen. Ich sehe, dass man miteinander spricht, sich austauscht und hinter den Kulissen sowie jenseits der Mikrofone gewiss berät und abstimmt.
Das Manöver des Beschlusses zum Finanzpaket binnen weniger Tage zeigt, dass man so schnell wie möglich eine handlungsfähige neue Regierung bilden will, die ja auch nur in Teilen neu sein wird. Die Debatte berührt schließlich nicht nur deutsche Befindlichkeiten, sondern sie wird gesamteuropäisch geführt.
… bis hin zu der Frage, ob es die Nato faktisch überhaupt noch gibt?
Ja, um die Zukunft unseres Schutzschildes geht es. Ich beobachte die Diskussion um eine Bewaffnung und auch über Atomwaffen eher als eine gesamteuropäische und keine rein deutsche. Und diese Debatte scheint mir noch gar nicht richtig begonnen zu haben. Es ist bemerkenswert, dass sie in der Bundesrepublik nicht direkt abgewürgt wurde. Das zeigt, wie groß die Sorge und wie groß die Angst ist im Land.