Die Katerstimmung in der Union setzt erst mit etwas Verspätung ein. In der Nacht von Sonntag auf Montag verwandelt sich Chuzpe in Demut, aus dem angenommenen Auftrag zur Regierungsbildung wird der Auftrag zur Aufarbeitung. Das Ergebnis von 24,1 Prozent hat die Partei erschüttert. Und Laschets Hoffnung auf ein Jamaika-Bündnis teilen nicht alle. Kurz nach dem Wahlkampf muss der CDU-Chef schon wieder kämpfen.
„Ich werde alles daran setzen, eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden“, hatte Laschet am Sonntag gesagt. Er sprach von einem „klaren Auftrag“. In der Partei allerdings ist große Unruhe ausgebrochen. Viele langgediente Abgeordnete haben ihre Wahlkreise verloren, in Sachsen und Thüringen ist die AfD stärkste Kraft geworden, die Unionsfraktion im Bundestag von 246 auf 196 Sitze geschrumpft. Vielen ist jetzt eher nach Wundenlecken als nach Sondierungen.
Forderungen nach Laschets Rücktritt
Aus Sachsen meldet sich gleich am Morgen Ministerpräsident Michael Kretschmer zu Wort. Das Wahlergebnis? Aus seiner Sicht „ein Erdbeben“, das eine „ganz klare Wechselstimmung gegen die CDU“ gezeigt hätte. Das müsse man sich ganz klar eingestehen. Die Junge Union Sachsen fordert in einer Pressemitteilung gleich Laschets Rücktritt als Parteichef, später legt die rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Ellen Demuth nach. Laschet soll es dem Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern, Michael Sack, gleichtun und den Hut nehmen.
Am Morgen in den Sitzungen von Präsidium und Bundesvorstand herrscht Krisenstimmung. Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, spricht von einer „beschissenen“ Stimmung unter seinen Leuten. Verhandlungen für ein Jamaika-Bündnis sieht er skeptisch. Wie soll das gehen? Die Union müsste Grünen und FDP ja ihr gesamtes Tafelsilber anbieten, damit sie da mitmachten. Die Sorge geht um, die Union könnte auch noch ihren Markenkern verlieren, wenn sie jetzt um jeden Preis in eine Regierungskoalition drängt. Auch Norbert Röttgen soll im Präsidium gefordert haben, die Niederlage anzuerkennen.
Jetzt geht es ans Eingemachte
„Fröhliche Tage sehen anders aus“, sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende Julia Klöckner, eine von vielen CDU-Promis, die am Sonntag das Direktmandat verloren haben. Die CDU brauche jetzt eine „Reflexionszeit“. Hinter den Kulissen geht es ans Eingemachte: Die Mitglieder wollen künftig mehr mitbestimmen. Klöckner sagt frei heraus: „Wir müssen irgendwie auch sympathischer werden.“ Auch sie sagt, die Union dürfe für ein mögliches Jamaika-Bündnis nicht „bis zur Unkenntlichkeit Positionen aufgeben“. „Wir müssen demütig sein, aber mit geradem Rücken.“
Die geforderte Demut, Armin Laschet zeigt sie am Nachmittag in der Pressekonferenz. „Ein Ergebnis unter 30 Prozent ist nicht der Anspruch der Union.“ Er verspricht: „Wir werden das alles aufarbeiten, ganz gleich ob wir am Ende dieses Prozesses in einer Regierungsbeteiligung sind oder in der Opposition.“ Und natürlich wisse er auch, „dass ich auch einen persönlichen Anteil an diesem Wahlergebnis habe“. Auf Nachfrage sagt er später: „Ich beanspruche nicht Platz eins, wir sind Platz zwei.“ Er habe außerdem nie gesagt, dass er aus dem Ergebnis einen Regierungsanspruch ableite. „Dieses Ergebnis ist kein Regierungsauftrag, es ist kein Anspruch.“ Doch dann kommt das große Aber: Keine Partei könne einen klaren Regierungsauftrag aus dem Wahlergebnis ableiten. „Olaf Scholz und ich sind zur gleichen Demut aufgerufen.“ Es habe im Präsidium einstimmig die Meinung vorgeherrscht, dass er als Parteichef Sondierungsgespräche führen soll. Es bleibt unklar, ob er dabei Olaf Scholz von der SPD den Vortritt lässt. Sein Sprecher erklärt später, dass die Gespräche mit Grünen und FDP zeitgleich stattfinden sollen mit den Gesprächen, die die SPD führt. Laschet telefoniere – natürlich – jetzt schon mit Annalena Baerbock und Christian Lindner.
Das könnte Sie auch interessieren:
Der CDU-Chef kann die Fliehkräfte in seiner Partei jetzt nur noch mit der seidenen Hoffnung auf ein Jamaika-Bündnis unter Kontrolle halten. Solange die Union nicht aus dem Rennen ist, dürfte kaum jemand von Gewicht Laschet als Parteichef infrage stellen. Auch CSU-Chef Markus Söder spricht sich für Jamaika-Sondierungen aus. Als Zweitplatzierter habe die Union keinen Anspruch auf die Regierungsbildung, sagt Söder. Der CSU-Chef spricht von einem „Angebot“.
Im Präsidium teilen die Laschet-Anhänger die Auffassung, dass die Union versuchen soll, eine Regierung zu bilden. Die Erneuerung der Partei könnte ja parallel stattfinden, meint man dort. Dieser Meinung sind allerdings nicht alle in der Partei. Die letzten vier Jahre hätten bereits gezeigt, dass das nicht möglich sei, meint ein Abgeordneter. Generalsekretär Paul Ziemiak verspricht nun eine „brutal offene“ Analyse.
Die könnte es schon heute Nachmittag geben, wenn die Abgeordneten erstmals zur Fraktionssitzung zusammentreten. Es wird eine erste Machtprobe erwartet: Ralph Brinkhaus will für ein Jahr als Fraktionschef regulär gewählt werden, Laschet will ihn offenbar zunächst nur kommissarisch im Amt lassen. Wenn die Union in die Opposition geht, ist der Fraktionsvorsitz ihr wichtigster Posten.
Machtwechsel in NRW zeichnet sich ab
Er wolle den Übergang in der Landespartei „moderieren“, hatte Armin Laschet wenige Tage vor der Bundestagswahl angekündigt. Seit Jahresbeginn fungiert der Ministerpräsident als Chef der Bundes- und Landes-CDU in Personalunion. Im April kam noch die Kanzlerkandidatur hinzu. Monatelang hatten die Funktionäre diese Ämterballung mitgetragen. Unverkennbar war schließlich, dass sich Laschet in einer verkorksten Wahlkampagne aufrieb und in Düsseldorf vieles liegen blieb. Knapp acht Monate vor der Landtagswahl ist noch immer nicht klar, wer Laschet im Ministerpräsidenten-Amt nachfolgen und damit geborener Spitzenkandidat für die eilig zu konzipierende Kampagne werden soll.
Als Laschet am Montagabend zur Landesvorstandssitzung in einem Düsseldorfer Flughafenhotel erwartet wurde, hatte sich das Zeitfenster zum Moderieren schon weitgehend geschlossen. Nach dem Wahldebakel in Berlin wirkt die Geduld der Landespartei mit ihrem Chef erschöpft. Laschet genießt zwar in der NRW-CDU weiterhin große Sympathien, weil er 2012 in schwerer Zeit den Laden zusammengehalten und fünf Jahre später die Staatskanzlei erobert hat. Doch sein Zaudern bei der Erbfolge halten viele einflussreiche Christdemokraten für fatal.
Wichtige Bezirksvorsitzende und Vereinigungen haben deshalb die Sache selbst in die Hand genommen. Nachfolger Laschets im Ministerpräsidentenamt und im CDU-Landesvorsitz soll demnach der 46-jährige Verkehrsminister Hendrik Wüst werden. Der Chef des Wirtschaftsflügels ist zwar nicht die uneingeschränkte Wunschlösung. Doch der Münsterländer ist bestens in der Partei vernetzt und hat viel Erfahrung vorzuweisen. Als Landtagsabgeordneter kann er laut Verfassung sofort zum Ministerpräsidenten gewählt werden.
Sechs von acht Bezirksvorsitzenden haben sich für Wüst ausgesprochen. Am klarsten der Vorsitzende des größten Parteibezirks Ruhrgebiet: Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen. Sein Wort hat intern Gewicht, schon weil er die lange verkümmerte „Großstadt-CDU“ verkörpert.
Kurz vor der Landesvorstandssitzung forderte auch die Junge Union einen schnellen Übergang von Laschet zu Wüst. Interessanterweise stellt sich auch der CDU-Sozialflügel hinter den formalen Wirtschaftsmann Wüst. Deren Chef Dennis Radtke sieht die Notwendigkeit einer schnellen und klaren personellen Aufstellung, um die Landtagswahl besser vorbereitet angehen zu können als die Bundestagswahl.
Da der Landesparteitag am 23. Oktober in Bielefeld einen neuen Chef der NRW-CDU wählen soll, spricht vieles dafür, den personellen Neuanfang innerhalb der nächsten drei, vier Wochen zu vollziehen. Quer im Stall steht bislang das populärste Kabinettsmitglied in Laschets Regierung: Innenminister Herbert Reul. Der 69-Jährige hält dem Vernehmen nach nicht viel von Wüst und macht sich selbst Hoffnung, zumindest die Landespartei zu führen. Als langjähriger Generalsekretär und Strippenzieher kennt er die Partei wie kein Zweiter. Ministerpräsident könnte Reul nicht sofort werden, da er nicht dem Landtag angehört. Aber er hat eine Wahlkreis-Kandidatur für den nächsten Landtag angekündigt, auch wenn sein Kreisverbandschef im Bergischen Land zurückhaltend reagierte. Hoffnungen auf Landesvorsitz und Spitzenkandidatur macht sich auch Heimatministerin Ina Scharrenbach, die aber auch nicht sofort zur Ministerpräsidentin aufsteigen könnte. Ämterteilungen und Doppelspitzen haben sich in der NRW-CDU noch nie bewährt. Das soll nun der angeschlagene Laschet beiden klarmachen. (tobi)