Koalitions-SpagatIst die Zeit reif für Schwarz-Grün in NRW?
Lesezeit 4 Minuten
Bei den Grünen in NRW gaben lange die „Fundis“ den Ton an, bei der CDU der stramm konservative Flügel. Dass beide Parteien eine Regierung bilden könnten, war kaum vorstellbar. Was hat sich nun geändert?
Laut Armin Laschet sei schwarz-grün Koaltion möglich
Eine schwarz-grüne Koalition zu bilden sei „gar nicht so schwer, weil es keine so großen, unüberwindbaren Dissense gibt“, urteilte dieser Tage Armin Laschet in einem Podcast der „Zeit“.
Verhandlungen in Schleswig-Holstein laufen
In großer Runde haben CDU und Grüne in Schleswig-Holstein mit Koalitionsverhandlungen begonnen. Ministerpräsident und CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther sprach im Anschluss von einer „angenehmen, konstruktiven Atmosphäre“. Bis zum 22. Juni wollen Grüne und CDU einen Koalitionsvertrag vorlegen, der am 27. Juni auf Parteitagen abgesegnet und am Tag darauf offiziell unterschrieben werden soll. Am 29. Juni würde dann die Wahl des Ministerpräsidenten stattfinden. „Wir sind alle frohen Mutes, dass wir das in der kurzen Zeit hinbekommen werden“, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Aminata Touré. (afp)
Obwohl der ehemalige NRW-Ministerpräsident in seinem Kanzlerwahlkampf 2021 als Antipode zur heutigen grünen Außenministerin Annalena Baerbock ausgeleuchtet wurde, gehört Laschet seit der „Pizza-Connection“ der 90er-Jahre zu den prominentesten Grünen-Verstehern in der Union.
Der Rheinländer warb schon für eine bündnispolitische Öffnung, als das in der CDU noch wenig karrierefördernd war. Laschet glaubt: „In vielem liegt uns die FDP näher, aber die großen Themen, die jetzt anstehen, werden auch mit Schwarz-Grün funktionieren.“
„Das ist die neue Bürgerlichkeit in der Mitte“
Der Politologe Karl-Rudolf Korte sieht die Zeit reif für eine schwarz-grüne Koalition in NRW. „Das ist die neue Bürgerlichkeit in der Mitte“, sagte der Professor der Universität Duisburg-Essen der dpa. Die Grünen hätten sich von der Verbots- zur Macherpartei gewandelt, die Schwarzen wiederum stärker auf eine „enkelfähige Politik“ besonnen.
Wer sich die schwarz-grünen Annäherungsversuche in Nordrhein-Westfalen über die Jahrzehnte ansieht, bemerkt jedoch einen sonderbaren Prozess der zwei Geschwindigkeiten. In Mülheim wurde als erster deutscher Großstadt bereits 1994 eine Koalition aus CDU und Grünen gebildet. Beteiligt war Grünen-Mitbegründer Wilhelm Knabe, der Anfang 2021 im Alter von 97 Jahren verstarb.
Grüne wurde lange als Störenfried wahrgenommen
Dem Mülheimer Beispiel folgten seither zahlreiche NRW-Stadträte. Auf Landesebene aber ist das, was Ministerpräsident Hendrik Wüst und Spitzenkandidatin Mona Neubaur beschreiten wollen, noch immer Neuland. In kaum einem Bundesland haben sich die in Schwarz-Gelb und Rot-Grün unterteilten Lager so lange gehalten wie hier.
Das hängt damit zusammen, dass sich die Grünen in NRW in einer doppelten Zwangslage befanden. Seit Gründung des Landesverbandes 1979 in Bonn aus Strömungen der Öko-, Friedens- und Frauenbewegung wurden die Grünen von einer mit absoluter Mehrheit regierenden, eher konservativen „Beton- und Stahl- und Eisen- SPD“ (Knabe) als Störenfried wahrgenommen.
Der Einzug in den Landtag gelang erst 1990. Ministerpräsident Johannes Rau sperrte sich gegen eine Koalition, die aber 1995 unausweichlich wurde. Ein Dokument der Zeitgeschichte ist das Foto von der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages: Rau im dunklen Anzug, die legeren Grünen-Parteichefs Barbara Steffens und Reiner Priggen mit ihren Kindern auf dem Schoß – kritisch beäugt von Öko-Ikone Bärbel Höhn.
Entkrampfung dank Rüttgers
Auseinandersetzungen um Regionalflughäfen, Metrorapid oder das Braunkohlegebiet Garzweiler II prägten über Jahre das Bild einer rot-grünen „Streitkoalition“. Doch eine Alternative war nicht in Sicht: Die CDU im Landtag war den grünen „Bürgerschrecks“ ja kulturell noch fremder als die SPD.
2010 bemühte sich CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers schon einmal, Brücken zu bauen, und entkrampfte das Verhältnis zu Priggen und Grünen-Spitzenfrau Sylvia Löhrmann.
Doch die Wahl führte erneut zur Rot-Grün. SPD-Regentin Hannelore Kraft gelang daraufhin das Kunststück, ihre Partei mit den Gewerkschaften zu versöhnen und zugleich die Grünen pfleglicher zu behandeln als ihre Vorgänger Wolfgang Clement und Peer Steinbrück.
„Echte Liebe“?
Dass „echte Liebe“ in Koalitionsdingen immer nur eine Frage von taktischen Opportunitäten ist, zeigen aktuell die Wahlkampf-Treueschwüre von Wüst gegenüber der FDP. Seit die Liberalen am 15. Mai ins Bodenlose gestürzt sind, kann es gar nicht genug schwarz-grün Händeschüttel-Fotos mit Neubaur geben.
Wie schwierig die Gratwanderung für die Grünen bleibt, hat der Co-Parteivorsitzende Felix Banaszak schon vor der Landtagswahl auf den Punkt gebracht: „Es gibt immer dieses Zerrbild von den Grünen: Entweder sind wir die, die besonders radikal sind oder wir sind die, die ihr Wahlprogramm schon verraten haben, bevor die Wahl überhaupt stattgefunden hat.“