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Kölns OB in der HauptrolleSchauspiel-Intendant Rafael Sanchez eröffnet mit „Grmpf“

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Anja Laïs als Henriette Reker.

Anja Laïs als Henriette Reker.

Mit der Revue „Grmpf“ eröffnet Rafael Sanchez seine Spielzeit als Interimsintendant des Schauspiel Köln.

So, das wissen wir nun also auch: Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker kuschelt sich jede Nacht auf ein Sofa auf der Baustelle am Offenbachplatz und träumt von Ratssitzungen, in denen über die nächste Mittelerhöhung für die Bühnensanierung beschlossen werden muss.

Oder ist das nur eine Erfindung von Regisseur Rafael Sanchez und Autor Mike Müller für das Stück „Grmpf“? Mit dem Abend eröffnet Sanchez seine Spielzeit als Interimsintendant des Schauspiels Köln – einmal mehr im Depot 1 statt in einem frisch sanierten Schauspielhaus am Offenbachplatz.

Die „Marina Abramović aller Baustellen“

Gut zwei Stunden lang lassen die beiden ein gut gelauntes Ensemble in revueartigen Szenen Stand und Historie der „Marina Abramović aller Baustellen“ präsentieren. Es wird gesungen, es wird getanzt, ein düsteres Dreigestirn (Anja Laïs, Yuri Englert und Henri Mertens) gibt eine Art Erzählinstanz, ein Moderatoren-Duo (Kelvin Kilonzo und David Rothe) führt durch den als Eröffungsgala geplanten Abend.

Da tauchen kopflose Planer genauso auf wie Handwerker der verschiedenen Gewerke, die sich an die Köppe kriegen – oder amouröse Verbindungen eingehen. Ein frustrierter Bühnenarbeiter (Jens Rachut) trifft auf einen hypermotivierten Marketingmann (Kei Muramoto). Ein Sachverständiger (Andreas Grötzinger) verbreitet sich staubtrocken über das Thema Staubfreiheit, während ein Schweizer (Thomas Müller) erklärt, wie es kommt, dass es bei den Eidgenossen so viel runder läuft.

Jede Menge Gags

Last but not least finden sich Schauspielerinnen, die sich um große Rollen betrogen fühlen (Zainab Alswah) oder die aus der Not heraus umgesattelt haben und nun als Reiseleiterin bei Führungen über die Baustelle von ihren großen Erfolgen berichten (Anja Laïs): „Da vorne wurde ich als Lulu vom großartigen Martin Reinke als Jack the Ripper zerlegt!“ Nicht der einzige Gag, über den sich der im Publikum sitzende Reinke köstlich amüsiert.

Doch was sie an Geschichten rund um das Baudesaster erzählen, wankt auf dem Grat zwischen lachhaft und lächerlich, macht letzten Endes fassungslos: Die Drehbühne, die seit ihrem Einbau nie bewegt worden ist, muss gewartet werden. Die Hydraulikschläuche, mit denen die verschiedenen Bühnenelemente gehoben und gesenkt werden können, haben ihr Haltbarkeitsdatum überschritten und müssen ausgetauscht werden.

Im Absurdistan der Planungen

Und weiter geht die Reise ins Absurdistan der Planungen: Da soll ein Raum dazu dienen, dass der Flügel im konstanten Klima gelagert werden kann, damit er nicht ständig neu gestimmt werden muss – Stichwort Nachhaltigkeit.

Doch nach Einbau der entsprechenden Technik passt das Instrument nur noch hochkant hinein – muss also vor jedem Einsatz neu gestimmt werden. Im Scharmützel der Gewerke sieht vor allem der Mann fürs Klima keine Schuld bei sich: „Ich sollte die Technik einbauen, habe ich erledigt.“

Damit wird das wohl größte Dilemma der Baustelle auf die Bühne des Depots gebracht: Jeder arbeitet für sich, es gibt keinen Strang, an dem man gemeinsam ziehen will.

Aber ja, dieser Abend ist, bei aller Tragik der Sache, ein großer Spaß. Sanchez und Müller machen keine Gefangenen. Als seien wir im Pariser Crazy Horse werden die Bauhelme mit Straußenfedern versehen (Kostüme: Ursula Leuenberger), aus dem großen Showsofa steigen Staubwolken empor, eine riesige rosa Schleife ziert die Bühne, die ansonsten mit Bauschutt vollgerümpelt ist (Ausstattung: Eva-Maria Bauer).

Überraschende Arrangements bekannter Hits

Auf einem Müllberg ist die famos aufspielende Live-Band um Cornelius Borgolte platziert, dessen überraschende Arrangements von Hits wie „Ein bisschen Frieden“ oder der kölschen „Kaffeebud“ (als Choral) zum Vergnügen beitragen.

Mit welcher Verve sich die Darstellerriege des Themas annimmt, ist bemerkenswert: Bis auf Laïs und Grötzinger, die 1998 nach Köln kamen, hat keiner von ihnen das Haus am „Geschlossenbach-Platz“ in Betrieb erlebt.

Toller Einstand der Neuzugänge

Schon gar nicht die Neuzugänge, die Sanchez ins Ensemble geholt hat und von denen gleich vier in der Eröffnungsproduktion bemerkenswerte Visitenkarten ablieferten: Auf die überbordende Energie, mit der David Rothe und Kelvin Kelonzo ihre entertainenden Moderatoren ausstatten, freut man sich auch in anderen Produktionen.

Henri Martens singt ein Medley aus der „Königin der Nacht“ und Miley Cyrus' „Wrecking Ball“ und verwandelt sich dabei vom Bauarbeiter zur Drag Queen. Und Zainab Alswah darf zeigen, wie es großartig wäre, wenn sie Medea spielen darf.

Anja Laïs als Prima inter pares

Unbestritten die Prima inter pares an diesem Abend ist Anja Laïs. Hatte sie schon in der Abschiedsgala für Stefan Bachmann als Henriette Reker aufgetrumpft, konnte sie ihre Verkörperung der Kölner Oberbürgermeisterin in den vergangenen Wochen noch verfeinern – und schafft es, in dieser Rolle auch noch mit den Stimmen der Ratsmitglieder Ralph Elster (CDU) und Christian Joisten (SPD) zu sprechen.

Und in diesen Originalwortbeiträgen aus Sitzungen des Stadtrates zeigt sich auch einmal mehr, dass niemand, der im Schatten des Doms etwas zu sagen hat oder meint, etwas sagen zu müssen, eine Lösung parat hat.

Zorn auf die VerantwortlichenNein, hier bleibt nicht nur das Lachen im Halse stecken. Im Gegenteil: Im Nachgang des Abends wird man regelrecht zornig, wenn man darüber nachdenkt, dass immer noch nicht klar ist, wann die Bühnen am Offenbachplatz jemals den Spielbetrieb wieder aufnehmen oder wie teuer der ganze Spaß wird, wenn irgendwann einmal ein Strich drunter gesetzt werden kann.

Mal ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es über die ganzen anderen Katastrophen-Baustellen in dieser Stadt keine lustigen Theaterstücke gibt. Die Bühnensanierung ist schließlich nur die Spitze des Eisbergs, aber der Tanker Köln nicht gerade auf Jungfernfahrt. Wann ist dessen Bauch so sehr mit Wasser vollgelaufen, dass der Untergang droht?

150 Minuten (inkl. Pause), wieder am 21./22.9. und 3./12./31.10., jeweils 19.30 Uhr, sowie 29.9., 16 Uhr.