Köln – Weil ihre Lehrer sich im Keller verstecken, hat Alexandra ihr Abiturzeugnis noch nicht bekommen. Abholen kann sie es nicht. Wegen der Bomben. Wegen des Krieges. Wegen Putin. Das Haus in der Region Luhansk in der Ukraine, in dem sie mal gelebt hat, gibt es nicht mehr. Trotzdem lächelt die 17-Jährige, denn sie hat Ralf und Monika. Außerdem fallen auf Porz-Langel keine Bomben. Seit vier Wochen leben Alexandra, ihre Mutter Elena (49) und ihre Schwester Maria (8) bei Familie Hoppe zuhause. Zusammen sitzen sie am Tisch und erzählen von ihrem neuen Leben miteinander.
Das klappt gut, weil Alexandra schon gut Deutsch spricht. Das hat sie gelernt, als es noch keinen Krieg gab. Wenn ihre Mutter auf Ukrainisch von der Flucht erzählt, hört die junge Frau mit den großen braunen Augen geduldig zu und übersetzt dann. Manchmal muss sie ein Wort nachschlagen. Und manchmal schnappt sich ihre Mutter selbst das Smartphone, sagt ein paar Sätze auf Ukrainisch und kurz darauf spricht eine mechanische Stimme auf Deutsch das Gesagte nach. Fast immer ergibt es einen Sinn. „Ab und zu kommen da aber komische Wörter bei raus“, sagt Monika Hoppe. Die 58-Jährige, die selbst zwei Söhne hat, nennen Alexandra und Elena liebevoll ihre „Mama“.
Eine Flucht ins Ungewisse
„Sie macht alles für uns“, lässt Elena durch ihre Tochter ausrichten. „Sie gibt uns Essen, sie telefoniert mit Ämtern und sie erinnert mich an meine Sprachkurse.“ Dann hält die blonde Frau mit den großen blauen Augen kurz inne. Ihr kommen schon wieder die Tränen. „Wir sind so dankbar, dass wir in dieser Familie gelandet sind. Ralf und Monika sind so gut zu uns.“
Dabei war bei ihrer Flucht am 24. Februar noch völlig ungewiss, wo sie landen würden. „Wir haben zum zweiten Mal alles verloren“, übersetzt Alexandra ihre Mutter. „2014 war zum ersten Mal alles weg: unser Haus, unsere Kleidung, unser Leben. Und jetzt schon wieder.“ Beim ersten Mal konnte sich die Familie in einen anderen Teil der Ukraine retten. Dieses Mal wollten sie weg. Nach Deutschland. Und zwar endgültig. Zuerst fuhren sie im Auto bis zur polnischen Grenze, wo Elenas Mann umkehrt. Zurück ins Kriegsgebiet, um zu kämpfen. Als Elena das erzählt, hält sie kurz inne. Wieder muss sie weinen.
Von Polen ging es weiter mit dem Bus nach Karlsruhe, wo sie für kurze Zeit im einer Art Sammellager untergebracht waren. Keine schöne Zeit für Elena und ihre Kinder. „Es gab keine Bettwäsche, keine Privatsphäre – nur Metallbetten.“ Dort telefoniert Elena mit Freunden in der Ukraine. Die kennen jemanden, der Kontakte nach Deutschland hat. „Und dann hieß es plötzlich, wir sollen nach Köln fahren. Dort gibt es jemanden, der uns hilft.“
„Das war ein schöner Moment“
Dieser Jemand ist Ralf Hoppe. Der 56 Jahre alte Diplom-Ingenieur sagt: „Ich habe auf der Arbeit Bescheid gesagt, dass ich Menschen aufnehmen möchte und gefragt, ob mich jemand vermitteln kann.“ Über einen Mitarbeiter kam der Kontakt zu Elena und ihren Töchtern zustande. Und dann, am 16. März, gegen halb elf abends standen sie sich zum ersten Mal gegenüber. Bei der Frage, wie diese Begegnung war, geht am Esstisch in Porz-Langel kurz die Sonne auf – alle lächeln. „Das war ein schöner Moment“, sagt Ralf Hoppe. Elena lässt ausrichten: „Monika hat uns sogar mit ukrainischen Wörtern begrüßt.“
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Bis in den späten Abend tauschen die beiden Familien sich aus. Dann geht es ans Schlafen. Doch lange lässt „Mama“ Hoppe die drei nicht mit ihren Gedanken an die Lage in der Ukraine alleine. Die acht Jahre alte Maria meldet sie schon am Montag nach der Ankunft in der Schule an. Elena darf gleich auf zwei Wegen die die deutsche Sprache lernen. Zwei bis drei Vormittage in der Woche besucht sie einen Kurs an der Volkshochschule in Köln, nachmittags geht sie zum Sprachcafé in Porz. „Deutsch ist so schwierig “, sagt sie und lacht ein bisschen leidend.
„Meine Kinder sollen hier eine gute Zukunft haben“
Und trotzdem: Zurück in die Ukraine wollen Elena und ihre Kinder nicht. Sie wollen in Deutschland bleiben, sich hier ein Leben aufbauen. „Meine Kinder sollen hier eine gute Zukunft haben“, sagt Elena. Dabei hat die deutsche Bürokratie ihr und den Hoppes schon viel Ärger beschert. „Wochenlang haben wir auf eine Rückmeldung vom Sozialamt gewartet, damit wir für Elena und ihre Kinder finanzielle Unterstützung beantragen können“, sagt Monika Hoppe. Doch lange tat sich nichts. Es fehlten Unterlagen, heißt es. Dabei reicht Monika Hoppe alles umgehend ein. Als das nichts hilft, schreibt sie eben einen Brief an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker.
Das immerhin wirkt. Ein Tag nach dem Gespräch im Wohnzimmer kommt der Anruf: Die Hoppes haben einen Termin bekommen. Dass das so lange gedauert hat, ärgert sie trotzdem. Im Sprachcafé, das Elena besucht, macht man schon Witze über das bürokratische Wirrwarr. „Das kann doch nicht sein“, schimpft Ralf Hoppe, „ dass die Stadt so lange braucht, um dieser Familie zu helfen. Ich habe zum ersten Mal mit den Kölner Ämtern zu tun, und ich muss sagen: Ich bin fassungslos!“ Monika fügt hinzu: „Dieser bürokratische Unsinn ist der Grund, warum ich nicht nochmal eine geflüchtete Familie aufnehmen möchte. Das kostet einfach zu viele Nerven.“
Am Zusammenleben mit Elena und ihren Kindern liegt es jedenfalls nicht.Ralf Hoppe sagt lächelnd: „Eigentlich sind meine Kinder längst aus dem Haus, jetzt ist es so, als habe ich wieder welche.“ Auch Alexandra sagt: „Hier ist es super gut!“ Was den ukrainischen Frauen an Deutschland besonders aufgefallen ist? „Die Leute sind so hilfsbereit. Und sie handeln sofort. Wie Monika, die sich immer sofort um alles kümmert“, sagt Alexandra. Ihre Mutter fügt kichernd hinzu: „Die Deutschen sind alle sehr tüchtig, fast jeder macht Sport und fährt Fahrrad.“
(Anmerkung der Redaktion: Zum Schutz der Familie werden Nachname und Beruf der Mutter nicht erwähnt.)