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Interview

Kölner Mezzosopranistin
„Stimme ist das unmittelbarste aller Instrumente“

Lesezeit 6 Minuten
„Mit vier Jahren wusste ich, dass ich Sängerin werden will“: Anna Lucia Richter.

„Mit vier Jahren wusste ich, dass ich Sängerin werden will“: Anna Lucia Richter.

Anna Lucia Richter ist weltweit als Konzert- und Opernsängerin bekannt. Mit Bernd Imgrund sprach sie über ihren ersten Musiklehrer, den Alltag zwischen den Auftritten und die Kraft des Schlussapplauses

Die weltweit gefeierte Mezzosopranistin präsentiert sich im Zoom-Interview als ziemlich kölsches Mädchen: Sie lacht gern, antwortet ausführlich und in einem unverkennbar rheinischen Singsang.

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Lied?

Mein Vater hat Kassetten aufgenommen, auf denen man hört, wie Kölsch ich damals gesprochen habe. (Singt:) „Kling, Glöckschen, klingelllingellling.“ (lacht)

Wie war Ihr schulischer Musikunterricht?

Einer meiner eigentlich sehr guten Lehrer kam sehr schleppend voran, weil ein Großteil der Klasse keinen Bock hatte, Notenlesen zu lernen. Andere ließen ein paar Liedchen singen, und dann war die Stunde schon wieder vorbei. Der Höhepunkt: Unser Rektor verweigerte einen Musik-Leistungskurs mit der Begründung, es gäbe ja schon ein Schulorchester. Da war also immer viel Luft nach oben.

Haben Sie als Kind Blockflöte gelernt?

Ja, aber von meiner Mutter und schon vor dem Kindergarten. Bevor sie Sängerin wurde, hat meine Mutter Schulmusik studiert und war sehr gut auf der Blockflöte. Alljährlich zu Weihnachten spielen wir immer noch zweistimmig zusammen. Und wenn wir dann schon einen getrunken haben, lachen wir uns schlapp, weil es so schief klingt.

Die Blockflöte war immer das klassische deutsche Schulinstrument.

Zu meiner Zeit auch noch. Unser Grundschullehrer hatte einen weißen Rauschebart und lehrte mit Holzhammermethoden. Er drohte, uns aus dem vierten Stock zu schmeißen, wenn wir falsch spielten. Als Siebenjährige habe ich das geglaubt und hatte furchtbare Angst vor diesem Typen.

Haben böse Menschen keine Lieder?

Wenn es so einfach wäre ... Um andere Menschen, andere Seelen erreichen zu können, muss man offen sein. Ich glaube, bösen Menschen gelingt das nicht, die haben keine berührenden Lieder.

Seit wann wussten Sie, dass Sie Sängerin werden wollten?

Seit ich vier bin. Mit neun Jahren bekam ich dann schon professionellen Gesangsunterricht von meiner Mutter. Ihr Ansatz war sehr spielerisch und schloss Malen und Tanzen ein. Hat sehr viel Spaß gemacht und führte dazu, dass ich noch im selben Jahr in den Mädchenchor des Kölner Doms aufgenommen wurde.

Hat es auch Nachteile, als angehende Sängerin zwischen zwei Musiker-Eltern aufzuwachsen?

Klar, zumal ich zur fünften Generation von Berufsmusikern in unserer Familie gehöre. Man munkelt sogar, dass wir mit Felix Mendelssohn-Bartholdy verwandt sind. Einerseits war es bei uns ganz normal, Musik zu machen. Das Klavier meines Großvaters klang aus dem Erdgeschoss durch die Heizungsrohre hoch bis in mein Kinderzimmer im vierten Stock. Andererseits wusste ich dadurch auch früh, dass der Beruf seine Schattenseiten hat.

Nämlich?

Man hat zum Beispiel keine Wochenenden und Feiertage, weil da immer Konzerte anstehen. Und es gibt keinen Alltag. Am 24. Dezember hatten meine Eltern stets ihre Kirchen-Konzerte, während mein Chor und der meines Bruders in der Philharmonie mit „Wir warten aufs Christkind“ auf der Bühne standen. Um Mitternacht folgte die Christmette im Dom, am nächsten Morgen wieder die Messe. Mit anderen Worten: Klassischer Musiker ist einer der familien-unfreundlichsten Berufe, den man wählen kann.

Ist die Stimme ein Instrument?

Auf jeden Fall! Es geht wie bei allen anderen Instrumenten um Technik und tägliches Üben. Unsere zusätzliche Herausforderung ist, dass wir mit unserem Instrument auch im Alltag arbeiten, also zum Beispiel sprechen, und es nicht wie eine Geige in einen Kasten legen können.

Sie müssen folglich noch besser achtgeben auf Ihr Instrument.

Vor großen Auftritten darf ich auf keine Feier gehen und nicht viel reden. Zwei Tage vorher gibt es keinen Alkohol, am selben Tag auch keinen Kaffee mehr. Keine Nüsse, keine Milch, keine Schokolade, nichts Saures, keine Klimaanlage im Hotel, kein offenes Fenster: Der Beruf greift stark ins Private ein.

Was kann die Stimme, das die Geige nicht kann?

Unsere zusätzliche Dimension ist der Text. Auch Geigen „singen“, wie man sagt. Aber wir Sänger können die Melodie mit Sprache untermauern. Im übrigen ist die Stimme ohnehin das unmittelbarste aller Instrumente, weil sie keiner äußeren Hilfsmittel bedarf.

Musikantenstadl oder ESC?

Nichts davon. (lacht) Ich bin mit sehr komplexen Harmonien großgeworden, die simplen Strukturen von Schlagern langweilen mich schnell. Ich bewundere durchaus die Professionalität der Interpreten und sehe die Begeisterung der Zuhörer. Aber das ist nicht meine Welt.

Beatles oder Schubert?

Ich liebe die Beatles, meine Jogging-Playlist besteht aus deren-Songs. Schubert würde mich nicht zum Laufen motivieren, den höre ich lieber zuhause.

Warum ist er einer Ihrer Lieblinge?

Im Lied ist Schubert einer der größten Komponisten aller Zeiten. Schubert hatte ein tiefes Gespür für Texte, für Worte. Der konnte selbst schlechte Gedichte in musikalisches Gold verwandeln. Für mich ist er eine nie versiegende Inspirationsquelle, ich entdecke immer wieder Neues in seinen Liedern.

Sie singen auf der ganzen Welt. Werden klassische Musiker überall in Watte gepackt?

Ich erinnere mich an ein Konzert mit Mahlers 4. Sinfonie in Perm/Russland. Da sollte ein neuer Saal eröffnet werden, der aus einer Industriehalle hervorgegangen war. Die Garderobe war ein vollkommen verdrecktes Klohäuschen von anderthalb Quadratmetern. Zur zwei Meter hohen Bühne führte keine Treppe, so dass ich in meinem recht engen Konzertkleid über einen Transportkasten hochklettern musste, um dann an den Geigen vorbei vors Publikum zu treten. Ein echtes Abenteuer!

Und wie war es demgegenüber beim ersten Mal in New York?

Ich habe drei Mal dort gastiert, wahnsinnig beeindruckend. In den USA werden die großen Konzerthäuser allerdings nicht öffentlich gefördert, sondern privat gesponsort. Da steht dann im Programmheft etwa: „Die Pamina in der ´Zauberflöte´ des heutigen Abends wird gesponsort vom Ehepaar Miller.“ Der große Nachteil ist, dass man sich diese Leute immer gewogen halten muss. Das führt dazu, dass nur Evergreens aufgeführt werden und kein Platz für Experimente bleibt. Ich bin froh, dass es in Deutschland noch anders ist.

Viele Rockmusiker berichten von Depressionen und dem traurigen Alleinsein im Hotel nach einem umjubelten Auftritt. Kennen Sie so etwas auch?

Natürlich, das gehört zum Beruf. Tausende Leute applaudieren, das Ensemble ist nach den langen Proben zu einer Art Familie geworden. Aber dann musst du eben zurück auf dein Zimmer und schweigen, weil am nächsten Tag auch das nächste Konzert ansteht. Manchmal ist das echt hart.

Welche Wirkung hat Applaus auf Sie?

Meistens spüre ich schon vor dem Applaus, dass gleich der Orkan losbrechen wird. Das Größte ist diese unglaubliche Stille zwischen dem letzten Ton und dem Ausbruch der Begeisterung. Die Leute sind dann noch völlig gefangen von der Musik und brauchen ein paar Sekunden, um zu applaudieren.

Was käme heraus, wenn Sie selbst komponieren würden?

Ich kann´s nicht! Dafür bin ich nicht strukturiert genug. Aber ich habe viele Jahre zusammen mit dem Pianisten Michael Gees improvisiert − also sozusagen ad hoc komponiert. Das hat sehr viel Spaß gemacht.

Welche Texte würden Sie gern vertonen?

Rilke zum Beispiel, weil ich ihn so lautmalerisch finde. Ebenso Mascha Kaléko, Emily Dickinson oder die ganz fantastischen Gedichte von Stefan Zweig, von denen seltsamerweise viele bislang unvertont geblieben sind.

Ein Plan für die Zukunft! Und wann werden Sie das erste Mal in der neu eröffneten Kölner Oper am Offenbachplatz auftreten?

(lacht) Das wird sich zeigen. Ich bin schon angefragt für eine Produktion im kommenden Jahr. Wenn das nicht klappt, gehen wir halt wieder in die Mülheimer Ausweichspielstätte. Aber was den Offenbachplatz betrifft: Ich bleibe dran!