Köln – Vor gut drei Jahren hat die Stadt Köln sich ein Ziel gesetzt, das sie möglicherweise nie erreicht. 6000 neue Wohnungen sollen jährlich in der Stadt gebaut werden, so steht es in der Erklärung des Kölner Wohnbündnisses, das sich Ende 2017 gegründet hatte, dazu zählen unter anderem die Stadt selbst, der Haus- und Grundbesitzerverein sowie das städtische Wohnbauunternehmen GAG. Seinerzeit sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos): „Mehr Wohnungen sind nicht mehr nur ein normales Ziel der Stadt, sondern eine absolute Notwendigkeit.“
Die 6000 neuen Wohnungen als Ziel sollten nach und nach bis 2030 erreicht werden, von jetzt auf gleich waren und sind 6000 neue Wohnungen jährlich nicht zu schaffen. Seit vielen Jahren knacken Stadt und Bauindustrie nicht einmal die 4000er-Marke, beispielsweise waren es vergangenes Jahr nur 2175 Wohnungen. Trotzdem: 6000 neue Wohnungen pro Jahr sind das Ziel, das gilt als Konsens in Köln.
Gutachten stellt Zahl in Frage
Ein aktuelles Gutachten stellt diese Zahl aber zumindest infrage und sorgt für Streit, wie viele Wohnungen Köln tatsächlich jährlich neu braucht. Der Geschäftsführer des Mietervereins, Hans Jörg Depel, sagte zuletzt: „Wir bräuchten eher 7000 als weniger.“ Auch Geschäftsführer Thomas Tewes vom Haus- und Grundbesitzerverein pflichtete ihm vorbehaltlos bei – wenn auch aus anderer Perspektive.
Nun aber kursiert seit einiger Zeit in der Verwaltung ein vom Amt für Stadtentwicklung bei Empirica in Auftrag gegebenes Gutachten, in dem ganz andere Zahlen gehandelt werden: Dort ist von 1900 bis 2800 Wohneinheiten zusätzlich pro Jahr die Rede. Städtische Schönrechnerei oder fundierte Grundlage? Selbst in der Verwaltung wird das Gutachten laut Wohnungsamtsleiter Josef Ludwig „kontrovers diskutiert“. Zählt Rekers Satz von 2017 plötzlich nicht mehr? Hat die Stadt ihre Ziele eingedampft, um der Kritik auszuweichen, weil sie ja jetzt schon Probleme mit dem Tempo bei den Baugenehmigungen hat? Das Motto: Wer sich kleinere Ziele setzt, schafft sie leichter – selbst wenn es am tatsächlichen Bedarf vorbeigeht?
Nach wie vor 6000 als Ziel
Baudezernent Markus Greitemann sagt auf die Frage, ob die Stadt sich etwas schön rechnet: „Das ist falsch. Ich will nichts herunterrechnen. Die jährlich 6000 Wohnungen sind nach wie vor das Ziel.“ Allerdings ist es ein hohes Ziel – in den vergangenen zehn Jahren sind in Köln im Durchschnitt nur 2993 Wohnungen pro Jahr fertig geworden, nicht mal die Hälfte von 6000. Anfang 2020 hatte Greitemann der Rundschau gesagt: „Anhand der Bevölkerungsprognosen können 4000 neue Wohnungen jährlich reichen, da müssen wir regelmäßig hinkommen.“ Aber er sagte auch: Das mittelfristige Ziel blieben 6000 Wohnungen.
Bislang geht die Stadt von einem Bevölkerungswachstum von sechs Prozent bis 2040 aus. Die Empirica-Studie kommt so auf einen Bedarf von 44 000 bis 64 000 neuen Wohnungen bis 2040, nur um das weitere Wachstum aufzufangen. Eine Beruhigung des ohnehin schon angespannten Wohnungsmarktes wäre damit aber nicht gegeben. Das Land wiederum schlägt noch mal ganz andere Töne an: Es rechnet mit bis zu 16 Prozent Bevölkerungswachstum für Köln bis 2040, was dann bis zu 119 000 Wohneinheiten bedeuten würde. Ob das realistisch ist, sei dahingestellt – 2019 verzeichnete Köln 1835 Neuzugänge, macht einen Prozentsatz von nicht ganz 0,2 Prozent. Im Durchschnitt sieht das Land NRW bei sechs möglichen Wachstumsszenarien einen jährlichen Neubau von 5675 Wohnungen vor. Viele Zahlen, viel Verwirrung.
Sind Prognosen verlässlich?
Tatsächlich stellt sich auch die Frage, wie verlässlich solche Prognosen sind, sie hängen an vielen Faktoren, einer davon ist unter anderem, ob viele geflüchtete Menschen wie 2015 nach Köln kommen oder nicht. Deshalb sagen der Kölner Ableger des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Kölner Mieterverein: „Es lassen sich keine gesicherten Prognosen zum Wohnraumbedarf in den nächsten 20 Jahren treffen. Das Gutachten eignet sich deshalb nicht als Grundlage einer langfristigen kommunalen Baurechtsplanung.“ Und selbst das Land sagt über seine Analyse, sie sei „keine exakte Vorhersage des künftigen Wohnungsbaus“, sondern solle Entwicklungen aufzeigen.
Klar ist: Im Vergleich etwa mit dem Ruhrgebiet legt die gesamte Rheinschiene zu. Damit auch Köln. Nur, um wie viel? Köln hat traditionell viele Single-Haushalte und zu wenig große Wohnungen für Familien. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass „Wohnraum über die gesamte Bandbreite fehlt“. Wobei Empirica differenziert zwischen einem „Basisszenario“ und verschiedenen Varianten der künftigen Altersstruktur und Haushaltsgrößen.
Viel Neubau nötig
Zur Marktentspannung sei viel Neubau erforderlich – mehr, als sich nach derzeitigem Planungsstand auf den heutigen Potenzialflächen realisieren lasse. Von den selbst gesteckten Zielen sieht auch Empirica die Stadt meilenweit entfernt: Das Flächenpotenzial reiche Stand jetzt für etwa 2000 Wohneinheiten pro Jahr: „Die Zielzahlen von 6000 plus lassen sich darauf nicht realisieren.“
Aber was heißt das für eine Stadt? Können sich nur noch Menschen mit vergleichsweise hohem Einkommen Köln leisten? Der Rest wird noch mehr verdrängt als ohnehin schon? Schon seit Jahren ziehen vor allem Familien aus Köln weg. Sozialdezernent Harald Rau fordert deshalb eine Steuerung durch die Stadt, der Markt regele das Problem nicht. Wenn die Steuerung ausbleibt, „dann können bestimmte Menschen sich ihre Stadt nicht mehr leisten“. Das Land urteilet über wachsende Städte wie Köln: „Die Städte stehen vor der Herausforderung, der weiterhin steigenden Wohnungsnachfrage durch die Schaffung zusätzlicher Wohnungsangebote zu begegnen. Kernaufgabe ist dabei die Aktivierung von Wohnbauflächen.“
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Laut Greitemann sollen die Zahlen von Empirica helfen, um zu schauen, welche Art Wohnungen diese 6000 sein sollen, immer mehr Menschen wohnen alleine. Greitemann sagt: „Es geht aber auch darum zu schauen: Was kann die Stadt schaffen und was kann die Wohnungsbauindustrie realistisch schaffen?“
Sieben Euro je Quadratmeter
Und es geht um die Frage, ob der öffentlich geförderte Wohnbau ausreicht. Dabei finanziert das Land NRW den Bau, die Wohnungsmieten sind auf meist 20 bis 25 Jahre gedeckelt, aktuell bei rund sieben Euro je Quadratmeter. Um in einer solchen Wohnung zu wohnen, braucht es einen Berechtigungsschein, er richtet sich nach dem Einkommen. Das Problem: Theoretisch haben 45 Prozent der Kölner ein Recht darauf, viel zu viele für viel zu wenige Wohnungen.
Muss die Stadt nicht ein eigenes Förderprogramm auflegen, um bei Neubauprojekten zusätzlich zu den 30 Prozent geförderten Wohnungen weitere 20 Prozent preisgedämpft zu bauen? Das plant das neue Ratsbündnis von Grünen, CDU und Volt. Geld ist theoretisch da – die im Haushalt eingeplanten jährlich 33 Millionen Euro nutzte die Stadt zuletzt nicht, weil das Land genug Geld gab.