Interview mit Henriette Reker„Ein Coronaausstieg wird nicht morgen sein“
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Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker erwägt, zuerst kleinere Läden zu öffnen.
Die Stadt Köln lässt alle 7000 Pflegekräfte testen.
Reker will keine generelle Maskenpflicht für alle. „Ich habe auch dabei die Befürchtung, dass die Menschen dann zu sorglos werden könnten.“
Köln – Am Tag vor Karfreitag empfängt Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos, 63) die Rundschau zum Interview. Es geht dabei um das Coronavirus, die Folgen für die Stadt, aber auch um Altkanzler Gerhard Schröder und Gummistiefel.Frau Reker, wie erleben Sie die Coronakrise?Reker Ich kann ja weiter arbeiten, das ist ein großes Privileg. In der Quarantäne haben mir natürlich die Kollegen und der direkte Austausch gefehlt, aber meine morgendliche Routine habe ich beibehalten. Nur anstatt ins Rathaus zu gehen, bin ich eben in mein privates Arbeitszimmer. Was mich besonders freut, ist die große Einsatzbereitschaft in unserer Stadt, allen voran in den Krankenhäusern, den Pflegeheimen und auch bei uns in der Verwaltung. Das macht mich stolz und dankbar.
Und seit Sie wieder im Rathaus sind?
Es sind alle Repräsentationstermine weggefallen, ich habe anders als sonst keine Abendveranstaltungen und bin früher zu Hause. Aber ich bin schon sorgenvoll in dieser Zeit und schlafe auch schlechter. Mich macht die leere Stadt betroffen, aber eigentlich freue ich mich auch darüber: Die Kölner haben die Maßnahmen begriffen. Das ist so wichtig jetzt, sich nicht in größeren Menschenmengen zu treffen. Es gab eine Situation, die mir die Dramatik der Situation nochmal besonders vor Augen geführt hat. Da bin ich am 1. April von meinem Amtszimmer die 48 Treppenstufen nach unten zur Pressekonferenz gegangen. Oben gestartet sind wir mit dem Wissen um 15 Tote, als wir unten angekommen sind, waren es 17.
Vor drei Wochen hatten sich noch viele Menschen am Rheinboulevard getroffen und gegen die Regeln verstoßen.
Viele haben offensichtlich erst nach und nach begriffen, worum es geht. Wir vermissen doch alle die sozialen Kontakte, nur mit Telefon und Video kommen wir nicht klar. Ich möchte eigentlich nicht wie eine Gouvernante rüberkommen und die Leute von oben erziehen.
Kommentar zur Coronakrise und Köln
Die Corona-Krise hat auch Köln noch lange nicht überstanden. Und doch zeichnet sich ab, dass die vergangenen Monate Spuren hinterlassen werden, die so schnell nicht zu beseitigen sind. Der für 2022 angestrebte Haushaltsausgleich rückt in weite Ferne, manchen Euro werden Politik und Verwaltung künftig zwei Mal umdrehen. Großprojekte wie die Historische Mitte müssen sicher noch einmal auf den Prüfstand.
Auch der Zeitplan für den Klinikverbund, den Henriette Reker vorantreiben will, ist nicht mehr zu halten. Die gut funktionierende Kooperation zwischen städtischen Kliniken und Uni, die ja in Sachen Corona die Hauptlast tragen, zeigt aber, welches Potenzial in dem Thema steckt.
Bleibt also viel zu tun für die Oberbürgermeisterin, so ihr die Wähler denn eine zweite Amtszeit zubilligen. Und dafür spricht im Augenblick fast alles. Reker darf sich täglich als Krisenmanagerin beweisen, ihr größter Kontrahent Andreas Kossiski (SPD) kann noch nicht einmal richtig Wahlkampf machen. Eine Chancenungleichheit, die sich nur ändern kann, wenn der Wahltermin verschoben wird.
Die Stadt Köln hat in einigen Punkten mehr und früher verboten, als es das Land vorgegeben hat.
Ich bin froh darüber, dass wir das bei der Schließung der Bars und Restaurants zu einem Zeitpunkt beschlossen haben, als das Land noch nicht so weit war. Das hat uns im Kampf gegen das Virus wahrscheinlich einen Vorsprung von mehreren Tagen gegeben.
Aber Stadt und Land haben nicht einheitlich gehandelt in ihren Entscheidungen, beispielsweise beim Umgang mit den betroffenen Seniorenheimen.
Es sind eben unterschiedliche Entscheidungsprozesse. Das Land muss Regelungen treffen die im Idealfall für ganz NRW anwendbar sind. In Köln sind wir aber in einer Millionenmetropole, da ticken die Uhren anders.
Gibt es losgelöst von Bund und Land eine städtische Ausstiegsstrategie?
Wir denken darüber natürlich nach, aber jedes Wort darüber ist eines zu viel, weil alle Menschen es so aufnehmen als wäre es schon morgen so weit. Es wird aber nicht morgen sein. Vor dem 15. April können wir dazu nichts sagen, wir werden sehen, was die Bundesregierung und das Land dazu sagen.
Was könnte zuerst kommen?
Als Beispiel: Wenn man die Kinder wieder in die Schule schickt, muss auch die KVB wieder normal fahren. Das muss aufeinander abgestimmt sein. Ich denke, es könnte damit beginnen, dass kleinere Läden wieder öffnen. Es ist schwierig, Schreibwarengeschäfte zu schließen, der Drogeriemarkt daneben darf aber offen sein.
Worauf kommt es an?
Die Frage ist ja, wie lange wir die Kurve der Neuansteckungen auf diesem Niveau halten können oder verbessern. Schwierig wird es, wenn alle glauben, das geht einfach so weiter. Dann steigen die Neuinfektionen an. Das geht nicht.
Aber muss man den Menschen nicht auch mehr zutrauen? Also dass die Verantwortlichen offen über eine Ausstiegsperspektive reden, ohne dass sofort alle Maßnahmen durch die Bürger verletzt werden?
Ich traue den Kölnern sehr viel zu. Wir dürfen aber keine falschen Hoffnungen wecken, das ist wichtig. Und dass wir die Krise grundrechtskonform meistern. Mich wundert fast schon, wie klaglos diese Eingriffe hingenommen werden.
Finden Sie das denn nur gut?
Nein, das finde ich nicht gut. Ich habe bei jeder Entscheidung in Köln gesagt, wir müssen die Verhältnismäßigkeit bei jeder Maßnahme prüfen. Das gehört immer dazu. Darauf können sich die Kölner auch verlassen.
Können Sie versprechen, dass die Stadt die verordneten Sondermaßnahmen hinterher komplett zurücknimmt?
Ja. Darauf können Sie sich bei mir verlassen. Das entspricht nicht unserem Demokratieverständnis – ebenso wie nur die Risikogruppe der Älteren zu Hause einzusperren. Aber wir müssen den Menschen die Maßnahmen und auch ein Ausstiegsszenario sauber vermitteln. Wenn wir schrittweise in ein etwas normaleres Leben zurückkehren wollen, wird das mit vielen Abstandsregeln einhergehen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein und es ebenso klar vermitteln.
Mittlerweile rufen Menschen bei Polizei und Ordnungsamt an, um andere Leute und ihr mögliches Fehlverhalten zu melden. Wie sehen Sie das? Ist das Denunziantentum?
Ja, das finde ich scheußlich. Ich finde es besser, die Menschen anzusprechen, das ist für mich Zivilcourage – und nicht, einem anderen Bescheid zu sagen und der soll es machen. Das gefällt mir nicht.
Kommt für Sie eine Maskenpflicht für Köln in Pflicht?
Ich bin dafür, dass Menschen mit Erkältung oder Allergie in der jetzigen Zeit eine Maske oder eine andere Art Schutz tragen sollte. Wer sich damit sicherer fühlt, kann ja gerne eine Maske tragen. Damit schützt man zumindest andere. Medizinische Masken gehören aber in medizinische Hände.
Also sind Sie gegen Masken?
Ich habe auch dabei die Befürchtung, dass die Menschen dann zu sorglos werden könnten und die nötige Distanz nicht mehr einhalten.
Warum? Kann man das den Menschen wirklich nicht zutrauen?
Doch. Aber man muss es wirklich oft genug sagen. Das ist meine Erfahrung.
Wie schätzen Sie die Zahlen der Coronainfizierten ein?
Ich würde nicht von einer Trendwende reden, aber wir sehen ganz genau, wie die Maßnahmen wirken. Und es soll jetzt gut weitergehen und ab einem bestimmten Zeitpunkt können anfangen in ein normaleres Leben zurückzufinden. Dann muss aber die Gefahr gebannt sein, dass unser Gesundheitssystem zusammenklappt.
Wann wäre der Punkt?
Wenn die Verdopplungszeit der Infizierten über einen längeren Zeitraum bei 14 Tagen liegt.
Im Seniorenzentrum Rodenkirchen sind mittlerweile 15 Senioren verstorben. Müsste die Stadt da mehr eingreifen?
Das haben wir doch gemacht in allen Senioren- und Pflegeheimen. Wir stehen allen mit unseren Spezialisten zur Seite. Mir war ganz wichtig, dass alle 7000 Pflegekräfte getestet werden.
Die Krise wirkt sich auch massiv auf den städtischen Haushalt aus.
Ja. Und natürlich werden wir echtes Geld brauchen von Bund und Land und nicht nur die Möglichkeit, das buchungstechnisch umzuschichten, wie das Land das anbietet.
Die KVB hat massive Umsatzeinbuße, das Unternehmen macht ohnehin Verluste. Müssen die Menschen später teure Tickets fürchten?
Die KVB macht die Ticketpreise ja nicht alleine, sondern über den Verkehrsverbund. Für mich wäre das aber auch das falsche Signal. Wir können den öffentlichen Personennahverkehr nicht teurer machen, wenn wir ihn stärken wollen.
Ist der angestrebte Haushaltsausgleich 2022 noch zu realisieren?
Das ist noch nicht ausgerechnet, aber es wird massiv erschwert. Es kommt jetzt drauf an, wie die Rettungsschirme aussehen. Da schauen wir schon genau drauf.
Was heißt Corona für den angestrebten Verbund der städtischen Kliniken mit der Uniklinik? Der sollte ja im Idealfall bis Ende 2020 kommen.
Es ist schwierig, in einer Krise Strukturen zu verändern. Wir lassen da nicht nach, denn die Idee ist weiterhin richtig.
Was ist angesichts der Krise mit der Klinik Holweide? Soll sie nicht doch erhalten bleiben?
Ich habe dem Standort im Klinikverbund immer eine Chance gegeben.
Die Kommunalwahl ist für den 13. September angesetzt. Ist der Termin zu halten?
Ich glaube, das muss jetzt noch nicht entschieden werden. Wenn die Frist bis zur Aufstellung der Kandidaten am 16. Juli zu schaffen ist für die Parteien, sollten wir am 13. September festhalten. Es geht hier ja auch um die demokratische Legitimation von Rat und Oberbürgermeisteramt.
Kleinere Parteien müssen noch Unterschriften von Unterstützern sammeln, Demokratie lebt ja nicht nur von den großen Parteien.
Das stimmt, vielleicht wäre es denkbar die Anzahl der nötigen Unterschriften zu reduzieren.
Im Kanzlerwahlkampf Gerhard Schröder (SPD) gegen Edmund Stoiber (CSU) hat Schröder 2002 auch vom Elbhochwasser samt ausdrucksstarken Gummistiefel-Fotos profitiert.
Ich besitze keine Gummistiefel.
Aber es ist eine ähnliche Situation.
Naja, mache ich einen Fehler, fällt der mir sofort auf die Füße und ich bin weg. Das ist die Kehrseite. Und meine Gedanken sind gerade auch ganz woanders als beim Wahlkampf.