Putsch in Kölner SPD-Fraktion geplantChristian Joisten soll abgewählt werden
Köln – SPD-Fraktionschef Christian Joisten, 48, steht am Dienstagnachmittag im Ratssaal, der Hauptausschuss tagt, Joisten will zum Gremium sprechen, kämpft aber mit dem Mikrofon. Er testet herum, wie man das eben so macht: „Eins, zwei. Okay, jetzt hab’ ich es.“ Joisten versucht sich an einem Witz: „Männer und Technik, aber ich habe es ja geschafft.“
Abwahlantrag seiner Stellvertreter
Christian Joisten hat zwar am Dienstag den Kampf mit dem Mikrofon gewonnen – aber den Kampf gegen seine eigene Fraktion könnte er verlieren. Am Dienstagabend haben ihm seine drei Stellvertreter Andreas Pöttgen, Peter Kron und Monika Schultes einen Abwahlantrag vorgelegt, demnach wollen 14 der 27 Fraktionsmitglieder ihn nicht mehr an ihrer Spitze haben. Joisten soll überrascht sein und auch entsetzt, ist zu hören, ein Rücktritt komme nicht infrage.
Auch einen vermeintlich gesichtswahrenden Rückzug lehnt er ab, dabei soll er seinen Listenplatz 3 bei der Kommunalwahl behalten. Am Donnerstag bestätigt Joisten lediglich den Antrag, sagt nur einen Satz: „Die Fraktion wird diesen Antrag intern beraten und anschließend eine Entscheidung treffen.“ Die drei Vize teilen mit, dass sie sich nicht äußern wollen. Parteichefin Christiane Jäger sagt: „Ich wünsche mir eine zügige Beratung, damit wir geeint hinter unserem Oberbürgermeisterkandidaten Andreas Kossiski weiter Wahlkampf machen können.“
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Fünf Monate vor der Kommunalwahl
Während also fast die ganze Welt gegen das Coronavirus kämpft, placken die Kölner Sozialdemokraten sich mal wieder mit sich selbst ab – fünf Monate vor der Kommunalwahl. Ein hochrangiges Fraktionsmitglied sagt: „Wir werden alle darunter leiden. Wir können die Wähler nicht für dumm verkaufen.“
Stand jetzt befindet die SPD-Fraktion nächsten Mittwoch über ihren Chef, Joisten hat eine Woche Zeit, einen der 14 Gegner umzustimmen – wenn es tatsächlich 14 sind. Ein Fraktionsmitglied sagt: „Viele sind käuflich mit einem Posten in Aufsichtsräten.“ Sie gelten als lukrativ, Ratsmitglieder erhalten eine eher schmale Entschädigung.
Taktischen Fehler begangen
Die Namen geben Pöttgen und Co. Joisten nicht preis, sie fürchten Umfaller. Eine Woche ist eine lange Zeit. Denn Pöttgen und Co. haben offenbar einen taktischen Fehler gemacht: Eigentlich sollte die Fraktion schon an diesem Mittwoch darüber entscheiden, doch eine Formalie verhindert das. Ein solcher Antrag muss eine Woche vorher auf die Tagesordnung. Der unvermittelte Angriff des Trios samt Unterstützern verpufft so, Joisten gewinnt Zeit, schneidet das Thema in einer Videoschalte der Fraktion offensiv an, mehrere Mitglieder stützen ihn wohl. Und: Existiert diese Mehrheit von 14 Stimmen tatsächlich? Oder bluffen Pöttgen und Co.? Um die 14 Stimmen abzusichern, mussten Joistens Gegner nach Rundschau-Informationen ihr Ansinnen per Unterschrift dokumentieren – es soll ja keiner stiften gehen, die Mehrheit ist so schmal wie nur möglich. Es ist eine Revolution auf Kante, und eine, die wohl seit Joistens Wahl 2018 immer wieder durch die Fraktion wabert.
Begründung: Vertrauen ist geschädigt
In einer E-Mail samt Antrag an Fraktionsgeschäftsführerin Barbara Lübbecke begründen sie ihr Vorhaben: „Das Vertrauen in den Fraktionsvorsitzenden ist schwer und anhaltend geschädigt. Dieser erhebliche Vertrauensverlust ergibt sich aus einer nicht endenden Summe von Fehlentscheidungen, politischen Einschätzungsfehlern und eigenmächtigem Vorgehen zum Nachteil der Fraktion.“ Sie kritisieren drei Punkte. Nummer eins: Er soll für Anwalt und Kommunikationsberatung mehrere Tausend Euro aus der Fraktionskasse ausgegeben haben, um die Ermittlungen wegen Vergewaltigung gegen ein Fraktionsmitglied zu managen. Nummer zwei: Er klagte gegen die Stadt über die Höhe seines Verdienstausfalls, ohne die Fraktion zu informieren. Nummer drei: Er habe die Fraktion nicht geeint.
Chronik eines innerparteilichen Streits
9. April 2018: SPD-Fraktionschef Martin Börschel kündigt Rückzug aus der Politik an, er will neuer Stadtwerke-Boss werden. Doch die Affäre um die nicht ausgeschriebene Stelle verhindert das.
29. Juni 2018: Börschel terminiert Rückzug als Fraktionschef im Stadtrat auf den 22. Juli.
9. Juli 2018: Fraktion wählt Christian Joisten mit 13 zu elf Stimmen, Klaus Schäfer unterliegt. Von den damals 26 Mitgliedern fehlen zwei. Heute hat die Fraktion 27 Mitglieder, Thomas Hegenbarth (früher Piraten) ist gewechselt.
22. Juli 2018: Rücktritt Börschel, tags darauf übernimmt Joisten.
Juli 2018: Joisten sagt zur Frage einer Oberbürgermeister-Kandidatur 2020: „Ich muss mir das vorstellen können.“
26. September 2019: Joisten verklagt Stadt wegen der Höhe des Verdienstausfalls, er arbeitet als Unternehmensberater.
Oktober 2019: Parteichefin Christiane Jäger greift Joisten an: „Du klagst als Privatperson, aber wegen deiner Funktion als Fraktionsvorsitzender. Und in diesem Fall ist das nicht rein privat, sondern zwingend mir mitzuteilen.“ Medien erhalten die E-Mail.
23. November 2019: Jäger sagt: „Das ganze innerparteiliche Hickhack muss aufhören und es wird aufhören.“
1. März 2020: Joisten zieht die Klage gegen die Stadt letztlich zurück.
7. April 2020: Abwahlantrag von Teilen der Fraktion gegen Joisten. Am 15. April soll darüber abgestimmt werden. (mhe)
Muss Joisten seine Spitze räumen, soll der geschäftsführende Vorstand die Fraktion bis zur Wahl führen, darunter Kron, Schultes und Pöttgen. Letzterer will nicht mehr in den Rat, hat seinen Rückzug angekündigt, er hat nichts zu verlieren, kann sich die Finger schmutzig machen. Allerdings wird dieser Putsch Folgen haben, die SPD muss noch ihre Kandidaten für die Wahl aufstellen, ebenso die Reserveliste. „Das wird der Tag der Abrechnung“, sagt ein Fraktionsmitglied.
Dass Joisten gehen soll, überrascht nicht, tatsächlich hörte man in- und außerhalb der SPD immer wieder Zweifel. Und: Einem starken Fraktionschef passiert das nicht. Doch der Zeitpunkt überrascht. Nicht mal zwei Jahre hätte Joisten sich dann an der Spitze halten können. Er war im Juli 2018 auf Martin Börschel gefolgt (siehe Info-Kasten), mit 13:11 setzt er sich gerade so gegen Klaus Schäfer durch. Er sagt damals: „Für mich gilt es, die Geschlossenheit der Fraktion wiederherzustellen, die uns in der Vergangenheit ausgezeichnet hat.“ Doch dazu kommt es nie, die Fraktion bleibt ein Laden voller Zank.
Zum deutlichen Zeichen der Schwäche gerät im Februar Joistens Auftritt beim Katerfrühstück des Arbeitgebervereins: Vier Politiker sind auf das Podium eingeladen, CDU, Grüne und FDP schickten ihre Fraktionschefs, nur die SPD sendet Oberbürgermeisterkandidat Andreas Kossiski, wohl um seinen Wahlkampf anzuheizen. Und Joisten? Er steht nur im Publikum.
Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels hatten wir von einer Anklage wegen Vergewaltigung gegen ein Fraktionsmitglied berichtet. Das stimmt nicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, die Beweise für eine Anklageerhebung reichten laut Staatsanwaltschaft aber nicht aus. Auch das Verfahren gegen die Anzeigenstellerin wegen falscher Verdächtigung war eingestellt worden. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.