Hannes Radeck vom Ox & Klee ist Patissier des Jahres 2021. Mit Bernd Imgrund spricht er über die Gratwanderung zwischen Südkurve und Sternenküche.
Interview mit Patissier vom Ox & Klee„Manches in der kreativen Küche ist too much in meinen Augen“
Das Interview findet an einem Dienstag im Ox & Klee statt. Das Zwei-Sterne-Restaurant ist heute geschlossen und verströmt eine Atmosphäre gediegenen Understatements. Draußen plätschern die Wellen gegen den Kai des Rheinauhafens.
Sie haben sich das Kölner Wappen auf den Unterarm tätowieren lassen. Wieso?
Aus Heimatverbundenheit. Köln ist mein Anker, hier leben meine Freunde und meine Familie. Mein Vater hat mich schon als Kind mit zum FC genommen.
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Haben Sie Ihre recht kräftigen Unterarme dort zuweilen eingesetzt?
(lacht) Nein, ich war immer brav. Inzwischen haben wir eine Dauerkarte für den Oberrang, aber Stadionbesuche sind mit meinem Job schwierig zu vereinbaren. Samstags kann ich praktisch nie.
Sie sind der lebende Beleg dafür, dass der FC weiterhin international spielen muss.
Genau, in der Woche klappt es bei mir öfter.
Der Meister-Patissier als Kind: Mars oder Nuts?
Mars.
Welche Eissorte?
Joghurt und Stracciatella.
Wie viele Kugeln?
Mit zweien war ich zufrieden.
Was mochten Sie in der Küche zuhause?
Das Lamm meiner Mutter zu Weihnachten. Aber auch ihr Risi-Bisi, Reis mit Gehacktem zum Beispiel.
Reis Bollo sozusagen.
Ja, so in die Richtung.
Haben Sie bei Ihrer Mutter mitgekocht?
Nein, die Liebe zum Kochen entstand später. Mein Schulpraktikum habe ich in einem Hotel gemacht, und der Besuch der Küche dort hat mich zur Kochlehre gebracht.
Meine Mutter stammt zwar aus Ostpreußen, kocht aber die Königsberger Klopse ohne Kapern. Eine Sünde?
Nein. Heutzutage ist ja alles viel offener, zum Teil auch verrückter.
Höre ich da leise Kritik an der kreativen Küche?
Manchmal ist es tatsächlich too much in meinen Augen. Ein Oktopus zum Beispiel steht so für sich selbst, dass man da nicht auch noch eine Creme draus machen muss, nur weil man´s kann.
Ihre Kochlehre haben Sie im Maritim in der Altstadt absolviert. Was lernt man in so einer Großküche?
Wegarbeiten! Da kommt der Chef morgens mit fünf vollen Kisten Zwiebeln und sagt: Schneid das, du hast eine Stunde Zeit. Da denkst du, ja, okay ...
Warum sattelt man vom gelernten Koch auf den Seitenstrang Patissier um?
Hier bei Daniel Gottschlich (Chef des Ox & Klee) habe ich zunächst als Koch angefangen, aber eines Tages gesagt: Dieses Dessert da kann ich aber besser. Und Daniel meinte nur: Dann mach. Und so wurde ich Patissier.
Worum handelte es sich bei jenem kritisierten Dessert?
Das war eine Pistaziencreme mit Feige und gebrannter Schokolade. Schmeckte nicht schlecht, aber war eben auch ein bisschen langweilig.
Der Grat zwischen kreativ und albern ist offenbar schmal. Was halten Sie von Fleisch im Dessert?
Ich habe mal ein Dessert mit Speck drin gemacht. Fand ich gut, muss aber nicht sein. Im Moment experimentiere ich mit Kaviar, aber mal abwarten: Das kann am Ende klasse sein oder kompletter Humbug.
Letztes Jahr wurden Sie vom Gault Millau zum Patissier des Jahres gekürt. Wie kam Ihre „Mousse von Ziegenquark auf Rosmarin-Schokomalto mit Purple Curry“ an?
Sehr gut! Den Ziegenquark haben wir selbst hergestellt.
Wie Heidis Alm-Öhi?
So ähnlich, ja. Quark schlagen macht echt Spaß. Ziege und Rosmarin passen, das war klar. Aber auch im Dessertbereich? Ja, meinten die Tester und finde auch ich.
Warum nimmt man so etwas Erfolgreiches irgendwann von der Karte?
Damit die Sache nicht langweilig wird. Und weil man sich weiterentwickeln will. Wir wechseln die Desserts alle zwei bis drei Monate. Und was wir heute an Desserts schicken, ist besser als die von vor zwei Jahren, das ist auch unser Anspruch.
In welchem Verhältnis steht das Getränk Kölsch zur Sternegastronomie?
Funktioniert super zusammen. Vor unserem Hauptgang schicken wir im Ox & Klee einen Halven Hahn – unsere Variante natürlich. Und dazu schlagen wir ein Fässchen Kölsch an. Da gucken die Gäste erstmal ein bisschen erstaunt, aber das läuft immer sehr gut.
Gibt es kölsche oder wenigstens rheinische Patisserie?
Das Rheinland ist tatsächlich eher für deftige Hausmannskost bekannt: Brauhaus, Flönz & Co. Aber es gibt tolle Patisserien hier, nehmen wir TörtchenTörtchen und das Düsseldorfer Pure Pastry.
Würden Sie Muuzemandeln als Patisserie gelten lassen?
Auf jeden Fall. Aber dann hört es auch schon auf, kein Vergleich etwa zu Patisserie-Weltstädten wie Paris.
Sie arbeiten viel, gelten aber auch als „Feierbiest“.
(lacht) Wir arbeiten lange, aber das ein oder andere Kaltgetränk geht nach der Arbeit noch rein. Der Tag danach mag schmerzhaft starten, aber wenn hier in der Küche erstmal Action ist, vergisst du alles.
Ihre Kreationen wirken wie kleine Kunstwerke. Wie wichtig ist Ihnen das Designen des Tellers?
Erstens muss die Sache schmecken. Und danach kann man überlegen, ob man das Kraut mit der Pinzette noch ein bisschen auf links dreht. Gehört dazu, mache ich gern, aber irgendwann muss es gut sein.
Geht das Fummeln auch manchmal in die Hose?
Jeden Tag! Berühmt sind die Flaschenfürze. Die Spritzflasche leert sich, Luftblasen entstehen, und du sagst dir, komm, noch ein kleiner Dot. Und dann sprotzt es aus der Flasche raus und du kannst von vorn anfangen. Besonders lustig ist das, wenn 30 Gäste auf ihr Dessert warten.
Wie oft hören Sie den Spruch: Das ist ja zu schön zum Essen?
Gerade im Dessertbereich hört man den häufig. Na ja, es geht eben um kleine Kunstwerke, die vernichtet werden müssen.
Erinnert an die heutigen Klimaaktivisten.
(lacht) Autsch!
Waren Sie zu Schulzeiten besser in Mathe oder Kunst?
Weder noch. Im Malen bin ich völlig unbegabt, Mathe funktioniert ein bisschen besser.
Aber 30 Nachtische bekommen Sie hin.
(lacht) Können auch schonmal 29 sein. Aber im Ernst: Ich mache den Job inzwischen seit elf Jahren. Da entwickelt man eine gewisse Routine, vor allem im Tellerdenken.
Schönes Wort. Was meint es?
Du musst deine Idee auf den Teller bringen. Das Dessert muss toll aussehen und dem Gast zugleich vorgeben, wie es zu essen ist. Einfach gesagt: Was übereinander liegt, isst man zusammen, nebeneinander heißt getrennt.
Welche Auswirkungen hatte die Auszeichnung für Sie und das Ox & Klee?
Immense! Auf Instagram stieg die Zahl meiner Follower in der ersten Nacht gefühlt von fünf auf 1000. Es gab unglaublich viele Interviewanfragen. Letztlich war das auch eine Team-Auszeichnung, wir arbeiten hier ja schließlich alle zusammen.
Geht man danach selbstbewusster an die nächste Dessert-Kreation?
Jein. So eine Auszeichnung erhöht den Druck, wenn da plötzlich Leute vor allem wegen der Desserts kommen. Da muss natürlich die Performance stimmen, ohne Ausrutscher. Aber ich komme gut damit zurecht.
Auch ein kandierter Weihnachtsapfel gehört im weitesten Sinne zur Patisserie. Wie könnte man den veredeln?
Hm, ich würde den Apfel jedenfalls nicht einfach in die Tunke stecken und verkaufen. Ich stehe auf Tee-Geschmäcker und könnte mir zum Weihnachtsapfel zum Beispiel Rooibos sehr gut vorstellen.
Auch hier im Rheinauhafen steht ein Weihnachtsmarkt. Gehen Sie hin?
Bei so einem Besuch geht es für mich vor allem um dieses Feeling, das man von der Kindheit her kennt. Und vielleicht entdeckt man ja auch noch ein Geschenk für die Mutti.
Was vermisst der Patissier da?
Eigentlich gibt es da alles, um nicht zu sagen: zu viel. Ich halte mich auf Weihnachtsmärkten an Kakao mit Schuss und an Glühwein, ganz klassisch.
Gibt es überhaupt guten Glühwein, oder ist das Zuckern von Wein per se ein Verbrechen?
Selbstgemachter Glühwein kann sehr lecker sein: guter Wein, Orangen, Zimt, Anis, Nelken, die ganze Palette, die man mit Weihnachten verbindet. Alles zusammenwerfen, warm machen und trinken. Draußen natürlich, wo es schön kalt ist.