Michael Hundt ist Kölns oberster Jäger und Förster im Linksrheinischen. Geprägt wurde er von seinem Opa, der mit ihm zur Brunft ins Sauerland fuhr. Über die Jagd und deren Notwendigkeit spricht er mit Bernd Imgrund.
Interview mit einem Kölner Jäger„Erst schieße ich die Kitze und dann die Mutter“
Von der Straße aus sieht man die Hochhäuser von Chorweiler gen Himmel ragen. Michael Hundts altes Forsthaus in Weiler hingegen versprüht den Charme jener Zeit, als der Kölner Norden noch vor allem landwirtschaftlich geprägt war.
Sie heißen Hundt und sind Jäger. Besteht da ein Zusammenhang?
(lacht) Nein. Ich komme auch nicht aus einer Jäger-, sondern einer Lehrerfamilie im Ruhrgebiet. Mein Opa hat mich zur Hirschbrunft immer mit ins Sauerland genommen, um den Tieren beim Brunften zuzusehen. Er wäre sicher begeistert gewesen von meinem Werdegang, hat ihn aber leider nicht mehr erlebt.
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Wurde bei diesen Hirschbeobachtungen ein kleiner Killerinstinkt in Ihnen geweckt?
Nein, das waren für mich vor allem große, beeindruckende Tiere. Ich bin erst über meinen Försterberuf zur Jagerei gekommen, die Bestandteil der Ausbildung war. Mit 16, als Forstpraktikant in Kleve, habe ich meinen ersten Rehbock geschossen.
Direkt getroffen?
Ja. Der Bock war vielleicht 60, 80 Meter entfernt und stand ganz still. Das war keine große Herausforderung.
Was ist ein Blattschuss?
Das ist der Schuss kurz hinter das Schulterblatt. Er tötet sehr schnell und risikolos, wegen der relativ großen Trefferfläche muss man nicht auf den Millimeter genau treffen. Beim Kopf- oder Halsschuss riskiert man, dem Tier lediglich den Unterkiefer wegzuschießen und einen qualvollen Tod herbeizuführen.
Waren Sie Karneval immer Cowboy, um eine Pistole tragen zu können?
Im Westfälischen feiert man ja keinen Karneval. Das tue ich erst, seit ich in Köln wohne. Bewaffnet habe ich mich noch nie, bin aber schon als Hirsch und als Wildschwein gegangen. (lacht)
Eine Brücke vom industriellen Ruhrgebiet zum Wald führt über die Steinkohle, die ja aus Bäumen entstand.
Witten an der Ruhr gilt sogar als Wiege der Steinkohle, aber ich bin am Waldrand großgeworden. Früher haben wir im Wald all das getrieben, was der Förster nicht so gern sieht: Baumhütten gebaut, Lagerfeuer gemacht und im Bach geangelt – mit Haken aus Büroklammern allerdings. Der Förster von damals hat geschmunzelt, als er erfuhr, dass ich auf seinen Pfaden wandele.
Als Kind war das Schönste am Waldspaziergang mit den Eltern der Hochsitz. Warum sind die Leitern heutzutage versperrt und die Kabinen verschlossen?
Man durfte da noch nie hoch, aber hat man natürlich trotzdem gemacht. Der Hochsitz ist Eigentum des Jagdausübungsberechtigten, der auch für dessen Wartung zuständig ist. Da geht es dann auch um Versicherungsschutz. Dennoch sind die meisten meiner Hochsitze noch immer offen, wenn auch mit Verbotsschildern versehen.
Können Sie sich an Ihre erste Schusswaffe erinnern?
Das war ein Mauser-Repetiergewehr, das mir meine Eltern zur Diplomprüfung geschenkt haben. Diese Waffe führe ich heute noch, mit ihr schieße ich mein Hirsche, Rehe und Wildschweine. Sie stammt von 1898, das war die deutsche Standardwaffe des Ersten Weltkriegs. Unkaputtbar und bis heute nur leicht überarbeitet, etwa mit einem Schalldämpfer.
Wie trainieren Sie das Schießen?
Zum Beispiel in einem „Schieß-Kino“. Das ist eine Halle, in der man mit seiner echten Waffe auf Filmsequenzen mit Tieren schießen kann. Sieht man heutzutage auch öfter in Fernsehkrimis mit übenden Polizisten. Aber wir gehen auch auf den Schießstand der Leverkusener Jägerschaft – Köln hat keinen eigenen.
Was macht der Jäger im Winter?
Während der Aufzucht der Jungen schont man die Tiere in der Regel. Im Oktober beginnt dann die Hauptsaison für die Jagd, die bis in den Januar hineinreicht.
Wie gehen Sie vor, etwa bei Rehen?
Die Kitze werden jetzt nicht mehr gesäugt, stehen aber noch bei der Mutter. Also schieße ich erst die Kitze, meistens zwei, und dann die Mutter.
Sie löschen also zuweilen eine komplette Familie in ein paar Minuten aus?
Das kann vorkommen, ja, aber das macht auch Sinn. Die Jagd soll effektiv verlaufen und die Tiere möglichst wenig beunruhigen, damit das wildbiologische Leben jenseits der Jagdzeit ungestört weitergeht.
Warum reguliert die Kölner Natur sich nicht selbst?
Weil die Beutegreifer fehlen, also Bär, Wolf oder Luchs. Für diese großen Tiere gibt es in Köln keinen Lebensraum, entsprechend fallen sie für die Regulation der Wildbestände aus.
Menschen wie Sie ersetzen und also den Bären.
Unter anderem. Wildschweine etwa vermehren sich mit einer Quote von 300 Prozent, das heißt: In einem Jahr werden aus zwei Wildschweinen sechs. Zu viele von ihnen verursachen nicht nur Schäden in der Landwirtschaft, sondern sind auch anfällig für Seuchen. Denken Sie etwa an die derzeit in Europa grassierende afrikanische Schweinepest.
Letztes Jahr las man von einem durch Köln streifenden Wolf.
Es gab inzwischen mehrere Wolfsbestätigungen. Der letztjährige Wolf hat in Merkenich vier Schafe gerissen, ist aber wohl inzwischen verschwunden, ohne nochmal straffällig zu werden. Im Bonner Kottenforst existieren Wildkatzen, vielleicht also auch im hiesigen Königsforst. Luchse hingegen gibt es gar nicht in Köln.
Welches Tier ist am schwersten zu bejagen?
Schweine und Rothirsche sind sicherlich scheuer als Rehe. Unsere Rehe hier sind ziemlich stressresistent, die rennen nicht so schnell weg. Wildschweine kommen hingegen in der Regel nicht bei Tageslicht an den Hochsitz. Die darf man ein bisschen „kirren“ – also mit Mais anlocken.
Haben Sie Probleme mit Wilddieben?
Nur ganz vereinzelt. Hier gibt es nicht diese Wildschützen aus alten Heimatfilmen, die mit den Förstern Katz und Maus spielen. Hin und wieder werden Schlingen zum Fang von Kaninchen ausgelegt, habe ich selbst schon erlebt. Ich hatte noch nicht geschossen, da überschlug sich das Tier plötzlich – und ich dachte: Was ist denn jetzt los?
Gibt es in Köln noch echte Urwälder?
Nicht wirklich, hier wurde jedes Waldstück schon bewirtschaftet. Weite Teile des Gremberger Wäldchens oder auch des Worringer Bruchs sowie Areale in der Wahner Heide und dem Königsforst werden seit längerem nicht mehr bewirtschaftet, entwickeln sich also sehr naturnah.
Wo halten Sie sich am liebsten auf?
In Köln gibt es viele sehr schöne Waldstücke, da kann ich mich nicht entscheiden. Gerade jetzt im Herbst fasziniert mich der Äußere Grüngürtel, dieser Mix aus Waldrändern mit Herbstlaub, Weihern, Wiesen und Solitärbäumen. Angelegte Natur aus zweiter Hand, aber wunderschön!
Wie würden Sie die Atmosphäre morgens um 5 auf dem Hochsitz beschreiben?
Meditativ! Manchmal nehme ich die Waffe gar nicht mit, sondern sitze da, um das Erwachen des Tages zu begleiten. In Köln hört man ja überall den Verkehr, aber frühmorgens ist es erstaunlich ruhig. Man hört das Rauschen des Windes und das Rascheln der Blätter, und kurz vor der Dämmerung beginnen die ersten Vögelchen zu piepsen. Mit der Helligkeit kommt dann der Bodennebel in den Blick und die ersten Wildtiere.
Klingt entspannt.
Sehr entspannt, ja. Erst wenn es ans Schießen geht, steigt mein Adrenalinspiegel. Das lässt mich nie kalt, auch wenn ich schon hunderte Stück Wild geschossen habe. Man hofft immer, dass man nicht Nachsuchen muss.
Das heißt?
Manche Tiere laufen selbst nach einem Blattschuss noch weiter. Man kennt das von geköpften Hühnern, die noch an die Stalldecke fliegen. Dann braucht man unter Umständen einen Jagdhund, um im Unterholz nachzusuchen.
Welches Wildtier schmeckt Ihnen am besten?
Ich esse sehr gern Wildschwein und Wildkaninchen. Hasen mag ich nicht wegen des strengen Eigengeschmacks. Ein Muffellamm wiederum ist echt lecker.
Schmeckt das nicht muffelig?
(Lacht) Nee, Jungtiere vor der Geschlechtsreife sind im Allgemeinen sehr genießbar. Einen alten Schafsbock hingegen will man genauso wenig essen wie einen alten Keiler. Den muss man schon in eine gut gewürzte Salami verarbeiten, damit der schmeckt.