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Interview mit Kölner Kickboxerin„Wäre schön, wenn mehr Frauen Kampfsport betreiben würden“

Lesezeit 7 Minuten
Die Kölnerin Sila Roderburg

„Man gewinnt an körperlicher und mentaler Stärke“: Sila Roderburg ist überzeugt von ihrem Sport. Sie hat neun Meistertitel gewonnen.

Sila Roderburg ist mehrfache Deutsche Meisterin im Kickboxen. Mit Bernd Imgrund sprach sie über Ehrenfeld, ihre Ziele und warum Kampfsport für Frauen passt.

Es ist recht kühl und regnet an diesem Morgen, aber das verabredete Café ist voll belegt. Also setzen wir uns nach draußen, Kämpferin Sila Roderburg hat keine Probleme damit.

Sie haben gerade den Führerschein gemacht. In der wievielten Prüfung?

Es war die dritte, muss ich zugeben. Vorher war ich zu aufgeregt und habe blöde Fehler gemacht.

War das aufregender als ein Kickbox-Kampf?

Kämpfen bin ich gewohnt. Ich stehe im Ring, seit ich sechs bin, da bekommt man eine gewisse Routine.

Auch Ihr Fachabitur haben Sie dieses Jahr bestanden. Waren Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Nein, ich hätte mehr rausholen können. Ich habe zu spät angefangen, die Schule richtig ernst zu nehmen. Der Sport stand immer im Vordergrund.

Wollten Sie nie Reiten oder Balletttanzen?

Nein. Mein Vater hat mich damals beim Kickboxen angemeldet, und es hat mir direkt Spaß gemacht.

Vom ersten Training an?

Da waren diese ganzen erfahrenen Kämpfer, und das hat mich gereizt. Ich hatte sofort den Ehrgeiz, auch so gut zu werden, besser zu werden.

Haben Sie ein paar von denen inzwischen verprügelt?

Die meisten Mädels von früher haben leider aufgehört. Mittlerweile trainiere ich nur noch mit Jungs, ich bin da voll akzeptiert. Die sind natürlich schwerer als ich, aber technisch und taktisch sind wir auf Augenhöhe.

Sila Roderburg „möchte am liebsten immer Löcher treten“, habe ich gelesen.

Ich bin im Kampf sehr emotional und will unbedingt gewinnen. Ich investiere viel in meinen Sport, und für ihn verzichte ich auch auf vieles.

Worauf zum Beispiel?

Ich gehe nicht oft raus. Ich habe weder Lust auf Clubs, noch auf feiern, trinken oder Karneval. Von Anfang an bin ich lieber zum Training als auf eine Geburtstagsparty gegangen. Und viele Freunde habe ich auch nicht, aber dafür wertvolle.

Wie viele Kalorien hat wohl der Karamell-Eistee, den Sie gerade bestellt haben?

(lacht) Ordentlich, schätze ich, aber auf Zucker achte ich nicht besonders. Man muss sich auch mal was gönnen. Zuhause gibt es bei uns echte Hausmannskost, türkische allerdings.

Sie heißen Roderburg, aber Ihre Eltern sind Türken.

Genau. Mein Vater war minderjährig, als er nach Deutschland kam, und wurde von einem deutschen Paar adoptiert.

Bietet der deutsche Name Vorteile?

In meiner Schulzeit spielte das keine Rolle. Aber wenn ich später Bewerbungen schreibe, ist es sicher anders. Ich will nicht von Rassismus sprechen, aber mit einem deutschen Nachnamen kommt man weiter als mit einem ausländischen.

War Ehrenfeld ein hartes Pflaster, als Sie klein waren?

Würde ich nicht sagen. Ich bin auch nie angegriffen worden. Aber durch das Kickboxen wäre ich natürlich vorbereitet und könnte mich verteidigen.

Haben Sie sich schonmal privat mit jemandem geschlagen?

Nein. Wie gesagt meide ich Orte, an denen sowas passiert. Und in meinem Umfeld wissen alle, dass ich Kickboxerin bin. Die wissen, was ich bewirken kann. (lacht)

Was ist der Unterschied zwischen Kickboxen im Ring und Prügeln auf der Straße?

Im Sport sind Regeln, Disziplin, Technik und Dynamik gefragt. Beim Kickboxen lernt man auch sich selbst besser kennen. Im bloßen Prügeln sehe ich keinen Sinn, dazu kann ich gar nicht viel sagen.

Hat Ihr kämpferisches Potenzial Auswirkungen auf Ihr Auftreten im Alltag?

Ich höre oft Kommentare wie: So ein süßes Mädchen, sieht man der gar nicht an, was will die schon. Aber ich weiß es besser, das macht selbstbewusst.

Welche Gefühle entstehen gegen eine unterlegene Gegnerin, mit dem Sieg vor Augen?

Man fühlt sich in jeder Hinsicht stark und generiert noch mehr Kraft – gerade am Ende, wenn die Kondition eigentlich ausgeht. Das löst Glücksgefühle aus.

Kein Mitleid?

Das kann vorkommen, wenn jemand total unterlegen ist. Dann bis ich nicht heiß drauf, diejenige völlig fertig zu machen, sondern nehme mich ein bisschen zurück und bringe den Kampf technisch zu Ende.

Bei Niederlagen kommen im Kampfsport zu den mentalen oft auch körperliche Schmerzen.

Man passt schon auf, dass man nicht ins offene Messer rennt und sich wirklich wehtut. Meistens verliert man nur nach Punkten. Darüber hinaus gilt, dass man aus Niederlagen lernen muss, wenn man erfolgreich werden will. Die gehören zum Sport dazu, so einfach ist das.

Nach dem Kampf nehmen sich Kickboxerinnen in die Arme, oft lächeln sogar beide dabei. Ist das ehrlich?

Bei mir schon!

Wie fair sind Kickboxer?

Im Verband werden regelmäßig Dopingtests durchgeführt, wenn Sie das meinen.

Ich denke eher an so richtig miese Tricks.

Es gibt unerlaubte Tritte. Oder man tut so, als sei man tiefgetreten worden, wenn man im Ring eine Verschnaufpause braucht. Wenn meine Gegnerin link wird, passe ich mich an. Das muss man in so einer Situation einfach können.

Reden Sie auf Ihre Gegnerinnen provozierend ein, so wie das bei manchen Boxern üblich ist: Du kleine Gurke, dich mach’ ich fertig?

(lacht) Das gibt es im Kickboxen durchaus, aber eher bei den Profis. Ich persönlich mache sowas gar nicht.

Wo liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen Amateur- und Profibereich?

Vor allem bei der Ausrüstung. Wir Amateure tragen Schienbeinschoner, Zahn-, Kopf-, Brust- und Tiefschutz. Die Profis tragen nur den Zahnschutz und ihre Handschuhe. Das ist deutlich härter, aber da bekommt man eben auch eine Gage, wenn man erfolgreich ist.

Wie viel Geld haben Sie in Ihrer Karriere schon verdient?

Nichts! Man zahlt sogar drauf, um anreisen und teilnehmen zu können.

Man las, Sie hätten während der Pandemie mentale Probleme gehabt. Worum ging es da?

Ich habe fast mein komplettes soziales Umfeld verloren. Wir konnten ja auch nicht miteinander trainieren. Und dann hatte ich auch noch einen Unfall zuhause, eine Kohlenmonoxidvergiftung wegen der Gastherme. Ich wurde ohnmächtig und musste ins Krankenhaus. Die Zeit hat mich echt mitgenommen.

Sie waren dieses Jahr als einzige weibliche deutsche Kickboxerin bei den World Games in den USA. War es okay, bis ins Viertelfinale gekommen zu sein?

Ich bin dort gegen die amtierende Welt- und Europameisterin aus Serbien ausgeschieden. Trotzdem war ich enttäuscht, eine Chance hatte ich durchaus. Aber meine Taktik ist nicht aufgegangen, leider.

Die World Games sind zurzeit das Größte, was ein Amateur im Kickboxen erreichen kann. Es gibt Pläne, den Sport auch bei Olympia zuzulassen.

Das wäre toll, Kickboxen hat es absolut verdient! Das ist unser großer Traum, spätestens für die Spiele 2028 in Los Angeles.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Frauenbewegung und dem Kampfsport?

Es wäre schön, wenn mehr Frauen Kampfsport betreiben würden. Aber die, die dabei sind, zeigen, dass Frauen genauso fighten können wie Männer.

Würden Sie anderen Frauen Kickboxen empfehlen?

Definitiv! Man gewinnt an körperlicher und mentaler Stärke, das Selbstbewusstsein wächst.

Gehen Sie heute noch trainieren?

Ja, heute Abend ist Techniktraining. An anderen Tagen geht es um Kraft oder Ausdauer.

Ausdauer trainieren Sie bestimmt am liebsten.

(lacht) Klar, wie alle.

Welche Technik beherrschen Sie am besten?

Der Frontkick ist mein Lieblingstritt, den setze ich auch sehr effektiv ein. Bei manchen Drehbewegungen, beim Backkick zum Beispiel, fehlt mir noch die Sicherheit.

Führerschein und Abi sind unter Dach und Fach. Haben Sie auch schon einen Job?

Im Januar 2023 fange ich als Sportsoldatin bei der Bundeswehr an. Trainer und Verband haben mich dafür vorgeschlagen, ich bin sehr glücklich, dass das geklappt hat.

Können Sie in Köln wohnen bleiben?

Nach der Grundausbildung in Hannover komme ich zurück, ja.

Und wievielte werden Sie 2028 bei Olympia in L.A.?

Das ist noch eine Weile hin, man weiß ja nie. Aber klar, ich will die Goldmedaille holen!


Zur Person

Sila Roderburg wurde 2003 in Köln geboren. Sie wuchs in Ehrenfeld als Tochter türkischer Eltern auf. Im Alter von sechs Jahren begann sie mit dem Kickboxen und holte in der Folge neun Deutsche Meistertitel. 2016 wurde sie in ihrer damaligen Gewichtsklasse (bis 46 kg) Weltmeisterin, 2017 in der Klasse bis 50 Kilo Europameisterin.

2021 qualifizierte sie sich für die World Games 2022, wo sie bis ins Viertelfinale vordrang. Im selben Jahr machte sie zudem ihren Führerschein und das Fachabitur, 2023 wird sie als Sportsoldatin bei der Bundeswehr anfangen. Sila Roderburg wohnt wie eh und je in Ehrenfeld.