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Interview mit Kölner Solarstrom-Unternehmer„Sonne tanken ist der Antrieb meiner Arbeit“

Lesezeit 7 Minuten
Ernesto Garnier

Ernesto Garnier ist Gründer und Geschäftsführer von Einhundert Energie und bringt Solarenergie auf die Dächer von Immobilien- und Energieunternehmen.

Ernesto Garnier war früher Unternehmensberater mit „miesem“ CO2-Fußabdruck. Heute gewinnt seine Kölner Firma für Solaranlagen Klimapreise. Bernd Imgrund hat mit ihm gesprochen.

Kahler Beton ziert den Besprechungsraum in der Ehrenfelder Lichtstraße. Ein Flipchart voller bunter Post-its zeugt von vorangegangenen Sitzungen. Draußen regnet es, viel Solarstrom wird heute nicht produziert.

Was verbinden Sie mit der Redewendung „Sonne tanken“?

Ernesto Garnier: Beim Tanken denken wir bisher an Benzin und Diesel. Aber wir müssen wegkommen von fossilen Brennstoffen, daher ist mir diese Redewendung sehr sympathisch. Sonne zu tanken, sich damit regelrecht aufladen: Das ist der Antrieb meiner Arbeit.

„Auch Dächer können Sonne tanken“: guter Slogan, oder?

Respekt! Vielleicht sollten Sie bei uns im Marketing anfangen. (lacht)

Liegen Sie selbst gern in der Sonne?

Durch die Familie meiner Frau können wir auf Menorca Urlaub machen. Ich bin sehr gern in der Sonne, spiele aber lieber Tennis oder gehe schwimmen, als nur herumzuliegen.

Wie kommt ein kleiner Junge aus Porz zur Solarenergie?

Mein Vater ist als Student aus Haiti gekommen, meine Mutter war Lehrerin, von daher waren politische Themen bei uns zuhause immer auf der Tagesordnung. Dabei ging es durchaus auch um Energiesicherheit: Wenn ich in Haiti war, gab es oft nur vier Stunden Strom pro Tag, mein Onkel behalf sich schon damals mit solarbetriebenen Batterien. Aus diesen Erfahrungen heraus war für mich klar: Ich will später eine Arbeit tun, mit der ich Verantwortung übernehme und einen Beitrag leiste für die Verbesserung unserer Lebensumstände.

Wie halten Sie es mit dem persönlichen CO2-Abdruck?

In meinem Vorleben als Unternehmensberater war mein CO2-Abdruck ziemlich mies. Wirklich reflektiert habe ich das damals noch nicht, das kam mit der Zeit. Zuhause essen wir zum Beispiel kein Fleisch, außer Haus sind wir Flexitarier.

Und in der Firma?

Privat fliege ich in der Regel zweimal pro Jahr, innerhalb von Europa. Bei Einhundert Energie halten wir uns strikt an „No Flights“. Ich stehe lieber um vier Uhr auf und setze mich in den Zug, wenn ich etwa nach Berlin muss. Zu unserem Katalog gehört ebenso, dass wir größtenteils gebrauchte Hardware kaufen. Und von Sülz zur Kita und zum Büro in Ehrenfeld fahre ich natürlich mit dem Lastenrad.

Mit oder ohne E-Motor?

Mit.

Kostet aber auch Energie.

Ja, das stimmt. Wir müssen reduzieren, aber ich finde nicht, dass man auf alles verzichten muss. Wichtig ist, dass die Energie nachhaltig bereitgestellt wird.

Wie verhält sich Moralismus zu Hedonismus?

(lacht) Schwere Frage. Man muss sowohl im Privatleben als auch im Unternehmen klare Werte setzen. Aber man sollte eben auch pragmatisch sein. Wir arbeiten eng mit Immobilienunternehmen zusammen, und manche von denen haben bei den Mietern vielleicht nicht den besten Ruf. Aber unsere Aufgabe ist es, auf möglichst viele Dächer Solaranlagen zu bringen – das geht für uns vor.

In Köln arbeiten Sie unter anderem mit der GAG zusammen.

Die GAG ist ein absoluter Vorreiter in Sachen „Mieterstrom“. Damit meinen wir: Photovoltaik auf dem Dach, dazu eventuell ein Blockheizkraftwerk im Keller, sodass der Strom vor Ort produziert und verbraucht wird – direkt vom Dach in die Steckdose. Das spart Kosten und schont das Klima. Bei der GAG läuft das unter dem Label „Veedel Energie“, und wir helfen als Technologiedienstleister bei der Umsetzung.

CO2 ist eigentlich nicht nur böse, sondern Teil der Luft, die wir atmen.

CO2 ist in manchen Prozessen auch ein Nutzstoff, ja. Aber niemand kann mehr leugnen, dass der massive Ausstoß dieses Gases den Klimawandel befördert. Und da müssen wir dringend zurückrudern.

Wenn Sie der König von NRW wären: Wie hätten Sie in Sachen Lützerath entschieden?

Die Fehler und Versäumnisse liegen in der Vergangenheit. In der derzeitigen Gemengelage fürchte ich, wir brauchen noch ein bisschen Braunkohle für unsere weitere Energieversorgung. Für mich überwiegt bei dem Deal mit RWE, dass sie schon 2030 statt ´38 aus der Kohle aussteigen. Das sehe ich positiv.

Ihr Promotionsthema lautete „Energieökonomik zu virtuellen Kraftwerken“. Was meint das?

Ein Braunkohlekraftwerk unserer Tage ist ein Riesen-Komplex. Windkraft- und Solaranlagen sind als Einzeleinheiten wesentlich kleiner und können deshalb im Stromhandel nicht konkurrieren. Aber durch die Vernetzung vieler kleiner Anlagen schaffen wir ein virtuelles Kraftwerk, das mit den Großen mithalten kann.

Wie viel Strom kann ein Mietshaus produzieren?

Manche unserer Gebäude bekommen schon um die 60 Prozent ihres Stroms vom eigenen Dach. Den Rest kaufen wir als Wasserkraftstrom hinzu – der kommt also auch nicht aus Lützerath. (lacht)

In Ihren PR-Texten ist viel von „Visionen“ die Rede. Eine thematisiert einen „CO2-neutralen europäischen Gebäudebestand“. Wie realistisch ist das?

Die Politik hat dafür den Zeitrahmen 2045 gesetzt – in Immobilienzyklen gedacht ist das ziemlich bald. Dafür muss Solar auf die Dächer, und Gas- und Ölheizungen müssen sukzessive gegen Wärmepumpen und CO2-neutrale Fernwärme ausgetauscht werden. Und dann klappt das auch. Der furchtbare Krieg in der Ukraine beschleunigt den Prozess sogar, weil die Immobilienbranche unabhängig von Öl und Gas werden will.

Wie hoch sind die bürokratischen Hürden?

(lacht) Ich weiß nicht, wo ich da anfangen soll. Wir betreuen zur Zeit mit 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 600 Gebäude, aber alles dauert mir viel zu lang. Jede Solaranlage muss beim Netzbetreiber angemeldet werden, zum Teil diskutieren Sie da wochenlang mit irgendwem. Die Auflagen sind so realitätsfern, dass die Sache dadurch oftmals unwirtschaftlich wird.

Haben Sie manchmal keinen Bock mehr?

Allerdings, diese Tage gibt es! Ich habe als Unternehmensberater hart gearbeitet und viel verdient. In Einhundert habe ich 2017 mein Erspartes gesteckt und mir lange kein Gehalt gezahlt. Inzwischen ist zwar die Nachfrage riesig, aber man hängt an irgendwelchen unnötigen bürokratischen Details. Das frustriert mich manchmal sehr. Aber die Erfolge überwiegen!

Im Grunde verdienen Sie doppelt an der globalen Klimakrise: Alle schreien nach Solarstrom, und permanent scheint die Sonne.

(lacht) Jein. Es gibt zum Beispiel mehr Hagelschlag, der unsere Module zerstören kann. Und mehr Hitze bedeutet auch nicht mehr Energie, denn ab einer gewissen Außentemperatur lässt die Leistungsfähigkeit von Photovoltaik-Anlagen nach. Die funktionieren am besten an einem milden, sonnigen Frühjahrstag.

Mit Ihrer Arbeit und Ihrer Mission sind Sie eigentlich nur noch einen halben Schritt vom Politiker entfernt.

Ja, die Idee kam mir früher häufig. Eine Weile dachte ich, alles entscheidet sich in der Wirtschaft, aber inzwischen halte ich die Politik für deutlich mächtiger.

Sind Sie der geborene Grüne?

Ich habe tatsächlich eine Weile bei den Kölner Grünen vorbeigeschaut und mit der Idee gespielt, intensiver einzusteigen. Aber dann kamen die Firmengründung und die Zwillinge… Die Idee ist da, aber ich glaube, dass mich die Politik unglaublich frustrieren würde.

Warum?

Hier bei Einhundert können wir ein Konzept entwickeln, entscheiden und loslegen. In der Politik wird endlos diskutiert, es wird intrigiert, statt an der Sache zu arbeiten. Das würde mich zermürben.

Dennoch: Was würden Sie Herrn Habeck für die Zukunft raten?

Er ist bemüht und macht einiges richtig. Aber er sollte mehr mit den Leuten sprechen, die die Dinge von morgen tun.

Also eher Ehrenfeld als Katar?

Eher Ehrenfeld als Wolfsburg! Unternehmen wie VW sind gegenüber zukunftsorientierten Firmen wie etwa der unseren viel zu stark im Fokus der Politik. Den Fehler hat Deutschland schon bei der Internetindustrie gemacht. Die Jobs von morgen entstehen nicht in der Autoindustrie, sondern bei Solar und Wärmepumpe.

Ein appellatives Schlusswort. Aber eine Frage noch: Was tun wir, wenn die Sonne eines Tages unweigerlich implodiert?

Puh, ich würde sagen: Let's call it quits! Lass uns Schluss machen! (lacht) Ich bin gerne Mensch, ich habe Kinder und hoffe, dass es für uns noch lange weitergeht. Aber ich glaube nicht, dass wir eine höhere Daseinsberechtigung haben als der Rest des Universums.