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Interview mit Kölner ProfessorHerr Hallek, haben wir das Virus im Griff?

Lesezeit 5 Minuten

Die Maskenpflicht im Freien soll ab kommendem Montag in Köln aufgehoben werden.

  1. Michael Hallek (61) würde trotz niedriger Infektionszahlen kein Public Viewing besuchen.
  2. Aber er kann sich Zuschauer im Stadion vorstellen?
  3. Thorsten Moeck sprach mit ihm über Lockerungen und Sorgen.

Sie gehören zu den Wissenschaftlern, die zu Jahresbeginn für eine No-Covid-Strategie plädiert haben. Damals war eine Inzidenz von zehn das ersehnte Ziel. Jetzt sind wir da. Ziel erreicht?

Ja, durchaus. Wir bewegen uns mit dem Infektionsgeschehen in einem gut kontrollierbaren Bereich. Das Virus im Griff zu behalten, ist bei niedrigen Infektionszahlen deutlich kostengünstiger. Die Null als absolute Zahl war nie der Plan, denn wir werden das Virus nicht beseitigen können. Das Ziel sind niedrige Infektionszahlen, und wir merken, dass wir uns alle jetzt wieder sicherer fühlen. Wir alle sollten den Ehrgeiz haben, die Inzidenz niedrig zu halten.

Haben wir das Virus wirklich im Griff?

Es gibt zwei Ansichten hierzu. Derzeit sieht es so aus, als hätten wir es unter Kontrolle. Aber die Delta-Variante wächst trotz der Saisonalität. Diese Mutation hat mehr Kraft, und diese Variante kontrollieren wir vielleicht. Ohne besondere Maßnahmen wird das nicht gehen. Man muss aufpassen, so wie es in Dresden geschehen ist, wo es einen Ausbruch der Delta-Variante in einem Wohnhaus gab. Dann müssen wir das Virus einkreisen.

Zur Person

Professor Michael Hallek (61) leitet die Medizinische Klinik I am Universitätsklinikum Köln, darüber hinaus ist er Direktor des „Centrums für Integrierte Onkologie“.

Für seine Arbeit in der Krebsforschung hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten.

Seit Beginn der Pandemie fungiert Hallek als Berater und Ideengeber für Politiker verschiedener Parteien. Er gehörte zu einer Riege von 300 Wissenschaftlern, die zu Beginn des Jahres für eine „No-Covid-Strategie“ warben, um dauerhaft niedrige Infektionszahlen zu erreichen. Auch OB Henriette Reker unterstützt die Idee. (tho)

Das heißt, wir sollten lokal reagieren und nicht direkt wieder ganze Städte oder Branchen lahm legen?

Genau solche generelle Maßnahmen würde ich gerne verhindern. Wenn ganze Branchen oder Teile der Bevölkerung ausgesperrt werden, ist das unverhältnismäßig. Viel klüger wäre es, solche Ausbrüche gezielt zu kontrollieren und die Betroffenen in Quarantäne zu schicken.

Ab kommendem Montag endet in Köln die Maskenpflicht im Freien. Ein logischer und richtiger Schritt?

Ja, absolut. Im Freien ist das Infektionsrisiko recht klein. Aber man sollte immer den gesunden Menschenverstand bemühen. Ich würde davon abraten, mich im Freien mit 5000 Menschen, die ich nicht kenne, zum Public Viewing zu treffen. Das würde ich nicht machen, vor allem nicht ungeimpft. So viel sollten wir alle gelernt haben.

Gibt es jetzt ein Wettrennen zwischen der Delta-Variante und dem Impffortschritt?

Ja, das kann man so sagen. Auch die Vernunft der Bevölkerung spielt eine wichtige Rolle. Und die Gegenmaßnahmen. Die Bundesnotbremse hat ja letztlich funktioniert.

Bereitet Ihnen die anstehende Reisewelle Sorge, denn andere Länder sind von einer einstelligen Inzidenz noch ein Stück entfernt?

Das bereitet mir tatsächlich Sorge. Sinnvolle Maßnahmen wären stichprobenartige Kontrollen an Flughäfen. Kaum ein anderes Land der Welt führt so geringe Kontrollen durch wie wir in Deutschland. Nach Großbritannien kommt man ohne Corona-Test oder den Infektionsstatus nicht rein und raus. Auch auf Mallorca wird intensiver kontrolliert.

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Wann erleben wir wieder Konzerte oder Sportveranstaltungen mit Zuschauern?

Hoffentlich sehr bald. Wir Wissenschaftler, die für eine No-Covid-Strategie plädiert haben, sind oft als Lockdown-Fanatiker missverstanden worden. So etwas muss wieder stattfinden unter kontrollierten Bedingungen. Man muss sich etwas einfallen lassen, um Veranstaltungen sicher zu machen. Durch Testkonzepte, oder indem man die Menschen weiter auseinander setzt. Niemand will ein Super-Spreading-Event verantworten. Ich befürworte diese Öffnungen ausdrücklich – aber mit einer gewissen Klugheit.

Wie sollten sich Veranstalter wieder an ausverkaufte Arenen rantasten?

Wir haben das beim Spiel zwischen Kiel und dem 1. FC Köln in der Bundesliga-Relegation erlebt. Fangruppen können mit Abstand im Stadion sitzen. Künftig könnte der Ticketkauf an die Impfbescheinigung geknüpft werden. Oder wir brauchen eine gute Teststrategie.

Ein Dilemma ist die Maskenpflicht für Grundschüler. Wann kann sich das mal wieder ändern?

Das ist schwierig zu beantworten. Wir erleben mit der Delta-Variante eine Verschiebung der Infektionen in die jüngeren Altersklassen. Es ist nicht abschätzbar, wie krank diese Kinder werden. Es gibt Hinweise, dass die Infektionen bei Grundschulkindern nicht so stark sind, wenn die Eltern geimpft sind. Wir müssen abwarten, wann die Maskenpflicht bedenkenlos ausgehoben werden kann. Bei Kindern über zwölf Jahren empfehle ich eine Impfung, denn es gibt bereits Untersuchungen aus Großbritannien zu Long-Covid-Erkrankungen bei Kindern – also zu Spätfolgen einer Infektion. Eine Durchseuchung würde ich deshalb nicht empfehlen, weil die Nebenwirkungen einer Impfung geringer sind.

In Köln hat die Ausgangssperre eine Stunde früher begonnen als in anderen Städten. Es gab einige Sonderwege. Wie stark haben Sie und Ihre Kollegen die Stadtspitze hierbei beraten?

Wir haben öfters mal ermutigt, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Auch die Impfaktion in Corona-Brennpunkten habe ich sehr unterstützt, weil die Idee gut und richtig ist. Es scheint, als hätten wir in Köln niedrigere Todeszahlen als in anderen Städten. Vielleicht ist das ein Ergebnis der Bemühungen.

Sie appellieren jetzt seit anderthalb Jahren, das Virus Ernst zu nehmen. Gab es ein nachdrückliches Erlebnis?

Als Anfang März trotz steigender Infektionszahlen Öffnungen beschlossen wurden, bin ich schon ein wenig vom Glauben abgefallen. Wir haben viele Politiker beraten und ganz klar den Anstieg vorhergesagt, so ist es leider gekommen. Da war ich ein wenig fassungslos.