AboAbonnieren

„Hier war ich glücklich“Türkische Ford-Mitarbeiter blicken zurück auf bewegte Zeiten

Lesezeit 4 Minuten
Gastarbeiter Türkei

Der FK 1000, das Vorgängermodell des Ford Taunus, wurde in den 60er Jahren gebaut. Sevim Basalan und Coșkun Taș waren dabei. 

„Sind Sie in Köln? Wo sind Sie genau?“ An diese beiden Sätze erinnert sich Coșkun Taș, als wäre es gestern gewesen. Damals, vor gut 60 Jahren kommt der junge Türke am Kölner Hauptbahnhof an. In einer Telefonzelle wählt er die Nummer von Franz Kremer, dem Präsidenten des 1. FC Köln. Der hat den Linksaußen der türkischen Nationalmannschaft spielen sehen. Und will ihn haben. „’Rühren sie sich nicht von der Stelle. Meine Frau holt sie sofort ab’, hat Kremer damals gesagt“, erzählt Taș. „Erst ging’s zu ihm nach Hause, dann hat er mich im Rheinhotel einquartiert.“ Taș spielt ab 1959 beim FC, als erster ausländischer Spieler. Und er macht Karriere beim Autohersteller Ford. Damals ist er der 18. türkischstämmige Arbeitnehmer in ganz Köln.

Sein langjähriger Arbeitgeber hatte den 87-Jährigen anlässlich eines Empfangs zum 60-jährigen Bestehen des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens, das im Herbst 1961 geschlossen wurde, aufs Podium gebeten. Mit dem Abkommen wurden bis zum Anwerbestopp im November 1973 die von der Industrie dringend benötigten Arbeitskräfte rekrutiert; 900 000 Männer und Frauen waren es deutschlandweit.

Sevim Basalan berichtet von den schwierigen Anfängen

Auch Sevim Basalan, die neben Coșkun Taș sitzt, hat lange für den Automobilhersteller gearbeitet. Anders als Taș, der als Spieler beim 1. FC Köln direkt ins kölsche Herz seiner neuen Heimat katapultiert wird, hat sie beim Blick zurück nur einen Gedanken: „Es war schrecklich.“ Drei Tage lang ist die junge Frau in einem uralten Zug unterwegs, die Toiletten sind gesperrt, sie isst und trinkt kaum etwas. Als sie in Ravensburg ankommt, steht sie alleine auf dem Bahnsteig. Mühsam fragt sie sich zu ihrem Arbeitgeber, einer Schneiderei für Herrenmoden, durch. „Ich habe mich sehr allein gefühlt, war die einzige Gastarbeiterin dort.“

Nach einem Jahr in Ravensburg kommt auch Sevim Basalan zu Ford, es werden Schneiderinnen für die Polsterei gesucht. In Köln leben ihre Schwester und ihr Bruder. „Hier habe ich mich sofort wohlgefühlt. Ich war glücklich. Das war wie ein richtiges Leben, hier gab es viele von uns“, sagt die agile 76-Jährige. Ihr liegt die kölsche Mentalität sofort. „Nicht immer sind Nachbarn oder Kolleginnen auf mich zugegangen. Aber ich dann auf sie“, erinnert sie sich schmunzelnd.

Gemüsereiches Essen der Heimat vermisst

Sie lernt weiter Deutsch, hatte schon damit angefangen – mit Briefen die ihr der Bruder in die Türkei geschickt hat. „Er hat alles auf Deutsch und auf Türkisch geschrieben. Ich sollte die Sätze vergleichen und so lernen.“ Zuerst lebt sie in einem Zimmer in Ehrenfeld, dann in Nippes. „Aber das war zu teuer“, sagt sie. Heute wohnt sie in Chorweiler, in einer Straße mit vielen Bäumen und Grünflächen. „Die Natur und das vielfältige Essen unserer Heimat, das haben wir in den ersten Jahren schon sehr vermisst“, blickt sie zurück. Im Mittelmeerraum habe es damals viel mehr Gemüse und Obst gegeben als in Köln. „Heute bekommt man auch hier einfach alles.“

Elf Jahre hat Sevim Basalan für Ford gearbeitet. Sie macht mit beim „wilden“Streik eines Teils der Belegschaft, als 300 Kollegen gekündigt werden sollen, weil sie zu spät aus dem Sommerurlaub zurückkommen. 1980 nimmt sie die Abfindung an, die das Unternehmen vielen Arbeitnehmern anbietet, um Arbeitsplätze abzubauen. Die dreifache Muter arbeitet weiter in einer Schneiderei und kümmert sich um ihre Familie. „Ich hatte ja drei kölsche Mädchen zu Hause“, erzählt sie. Und muss darüber selber lachen.

In Köln nun „schon ewig zu Hause“

Eine Kölnerin geheiratet hat Coșkun Taș. Und auch er fühlt ich in Köln „schon ewig zu Hause“. Nur eines bedauert er. „Dass ich 1960 nicht in der Finalmannschaft des Spiels um die Westmeisterschaft gegen den Hamburger SV gestanden habe. Und das, obwohl ich in den sechs Spielen davor immer aufgestellt war“, sagt er. „Die Siegprämie von 500 Mark habe ich dann aber trotzdem bekommen.“ Davon hat er mit seiner Frau Urlaub in Obersdorf gemacht.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ford als Arbeitgeber bleibt Coșkun Taș 31 Jahre lang treu. Von seiner ersten Arbeitsstelle in der Wagenverteilung wechselt er in die LKW-Koordination, lernt Englisch, organisiert den Export und schreibt später Programme für die Verkaufsanalyse. Und dann fällt ihm ganz am Schluss noch etwas ein: „Der erste Computer hier bei Ford, der stand auf meinem Schreibtisch.“