Köln – Am Freitag um 13.24 Uhr ist es soweit. Dann wird an der Ditib-Zentralmoschee an der Venloer Straße 160 in Ehrenfeld erstmals ein Muezzin die Gläubigen öffentlich zum Gebet rufen. Am Mittwoch haben Vertreter der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) und der Stadt Köln einen entsprechenden Vertrag unterzeichnet.
Eine Unterschrift von Seiten der Stadt fehlte gestern noch, sie wird heute nachgeholt. Der Vertrag erlaubt der Moscheegemeinde im Rahmen eines zweijährigen Modellprojekts, künftig freitags per Lautsprecher zum Gebet zu rufen. Es ist das erste Mal, dass dies in Köln geschieht. Antworten auf wichtige Fragen.
Wie oft und wie lange erklingt der Muezzinruf?
Im Gegensatz zu den fünf täglichen Gebetsrufen in muslimischen Ländern wird der Muezzin in Köln nur zum Gottesdienst am Freitagmittag in der Zeit zwischen 12 und 15 Uhr zu hören sein. Erlaubt ist künftig ein einmaliger Ruf mit einer maximalen Dauer von fünf Minuten.
Wie laut ist der Gebetsruf?
In der Ditib-Moschee rezitiert der Muezzin den Gebetsruf live, der religiöse Sprechgesang wird per Lautsprecher in den Innenhof der Moschee übertragen. Laut Ditib wird der Ruf künftig nicht sehr weit ertönen, sondern nur direkt vor und neben der Moschee zu hören sein.
Reaktionen: Stadt Köln
„Nach Auffassung der Stadt ist der Gebetsruf ein von der freien Religionsausübung gedecktes Recht. Deshalb hat die Stadt Köln Rahmenbedingungen festgelegt, nach denen Moscheegemeinden den Gebetsruf erklingen lassen können. Nun hat sich die erste Gemeinde entschieden, davon Gebrauch zu machen. Die Stadt Köln wird den Prozess im Rahmen des Pilotprojekts weiter kritisch konstruktiv begleiten.“
Ob Anwohner auf der anderen Seite der Venloer Straße etwas davon vernehmen, hängt vom Verkehrslärm ab. Laut einer Stadtsprecherin darf der Schall, der bei den Anwohnern ankommt, 60 Dezibel nicht überschreiten. Das entspricht in etwa der Lautstärke eines normalen Gesprächs.
Welche Auflagen muss die Ditib erfüllen?
Die Anwohner müssen im Vorfeld mit Handzetteln informiert werden. Man sei bereits dabei, in der Nachbarschaft Flyer in Briefkästen zu werfen und in Geschäften abzugeben, sagte der Direktor des Moschee-Forums, Murat Şahinarslan. Die Ditib muss eine Ansprechperson benennen, an die sich Anwohner bei Fragen und Beschwerden wenden können. Am Donnerstag findet von 17 bis 18 Uhr im Ausstellungssaal der Moschee eine zweite Infoveranstaltung für Anwohner statt.
Reaktionen: Dom- und Stadtdechant Monsignore Robert Kleine
„Bei dem Muezzinruf handelt es sich um ein verfassungsmäßiges Recht, das auch nicht mit dem Hinweis auf religiöse Intoleranz oder die politische Instrumentalisierung der Religion in anderen Teilen der Welt relativiert werden darf. Das Angebot der Stadt Köln gilt allen muslimischen Moscheegemeinden. Dass nur die Moschee in Trägerschaft der Ditib darauf eingegangen ist, darf nicht gegen das Angebot an sich verwendet werden. Klar ist, dass die Arbeit der Ditib in Köln weiterhin kritisch begleitet werden muss – unabhängig vom Muezzinruf.“
Um die Genehmigung zu erhalten, musste die Ditib eine Schallprognose eines Gutachters vorlegen. Zudem muss die Lautsprecheranlage so gesichert sein, dass die Lautstärke nicht nachträglich erhöht werden kann. Dieser Schritt ist erst vor wenigen Tagen erfolgt. Danach stand der Erteilung der zunächst auf zwei Jahre befristeten Genehmigung nichts mehr im Weg.
Muss der Ruf überhaupt genehmigt werden?
Der Gebetsruf per Lautsprecher ist prinzipiell von der Religionsfreiheit gedeckt. Es sind aber Regeln in Bezug auf Lautstärke und Häufigkeit einzuhalten. In Düren wird bereits seit 1985 öffentlich zum Gebet gerufen, dies hatte die dortige Gemeinde gerichtlich erstritten.
Reaktionen: Dr. Bernhard Seiger, Evangelischenr Kirchenverband Köln und Region
„Zur Ausübung der Religionsfreiheit gehört die Versammlungsfreiheit, wie sie zum Beispiel für muslimische Gläubige in der Moschee an der Venloer Straße wahrgenommen werden kann. Ich begrüße es, dass die Stadt Köln einen rechtlichen Rahmen geschaffen hat, in dem auch der Muezzin-Ruf künftig freitags für begrenzte Zeit erschallen kann.
Ich habe aus meinen Gesprächen den Eindruck gewonnen, dass die Moschee-Gemeinden sich darüber bewusst sind, wie sensibel das Thema für die jeweilige Nachbarschaft ist, und vertraue auf die transparente Kommunikation, die die Ditib zugesagt hat. Zur religiösen Toleranz in unserem Land und hoffentlich in Zukunft auch in vielen muslimisch geprägten Ländern gehört, dass die Religionsgemeinschaften sich auch öffentlich bemerkbar machen dürfen.“
Wie reagiert die Ditib auf die Genehmigung?
Abdurrahman Atasoy, Vizevorsitzender im Ditib-Bundesverband, betont: „Wir sind sehr glücklich über diesen Vertrag mit der Stadt Köln. Der öffentliche Gebetsruf ist ein Zeichen für Beheimatung der Muslime. Dies ist ein wichtiger Schritt in der Wahrnehmung der muslimischen Glaubensgemeinschaften als Teil der Gesellschaft. Dass Muslime mit ihren repräsentativen Moscheen als sichtbarer und mit ihrem Gebetsruf als hörbarer Teil endlich gesellschaftlich angekommen und angenommen sind, ist die Kernbotschaft dieses langen Prozesses.“
Reaktionen: Berliner Islamismus-Experte Ahmad Mansour
„Das ist eine Machtdemonstration des politischen Islam.“ Die Ditib sei der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde in Ankara. „Es ist verheerend, wenn ausgerechnet dieser Organisation jetzt eine derartige öffentliche Anerkennung zuteil wird.“
Die Kölner Initiative werde nicht nur bundesweit, sondern in der ganzen Welt wahrgenommen. Mansour kritisiert vor allem, dass die Entscheidung von Oberbürgermeisterin Henriette Reker einfach verkündet worden sei, ohne vorherige Diskussion. Für Glaubensfreiheit sei natürlich jeder. „Aber den Muezzinruf einfach nur in diesen Kontext zu stellen, ist sträflich naiv.“
Planen weitere Moscheen in Köln Muezzinrufe?
Momentan nicht. Von den etwa 35 Moscheegemeinden haben aber rund 10 Interesse bekundet.
Wie kam es überhaupt zu dem Modellprojekt?
Oberbürgermeisterin Henriette erklärte am 7. Oktober 2021, dass die Stadt Köln den Moscheen künftig auf Antrag den Gebetsruf genehmigen werde. Dass sie dies im Alleingang entschied, ohne den Stadtrat vorher zu fragen, stieß auf Kritik. Mehrere Bürger stellten Anträge bei der Stadt, auf das Projekt zu verzichten. Sie kritisierten insbesondere den Inhalt des Gebetsrufs.
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Woran entzündet sich diese Kritik?
Der Gebetsruf umfasst Sätze wie „Allah ist groß“ und „Es gibt keine Gottheit außer Allah“. Kritiker sehen darin einen Machtanspruch des Islam und eine Ausgrenzung anderer Religionen sowie atheistischer Menschen. Dagegen erklärte der Ditib-Religionsbeauftragte Mustafa Kader, der Ruf bedeute auf spiritueller Ebene: Eilt zum Heil, alles Irdische ist vergänglich, die Verbindung zum Schöpfer ist das Wichtigste.