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„Aus der Not eine Tugend gemacht“Haie-Kapitän über Gehaltsverzicht und leere Stadien

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Moritz Müller

Gegen Ende der ersten Saisonphase haben die Kölner Haie in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) noch alle Chancen auf die Playoffs. Und das obwohl der KEC mit einem Not-Etat als letzter aller 14 DEL-Klubs für die Saison 2020/21 zusagen konnte. Mitbeteiligt an der sportlich positiven Entwicklung ist Moritz Müller. Alexander Wolf unterhielt sich mit dem 34-jährigen Haie-Kapitän.

Herr Müller, nach dem mehrmals verschobenen Saisonstart sind inzwischen mehr als 20 Geisterspieltage über die Bühne gegangen. Hand aufs Herz: Hätten Sie das mitten in der Corona-Pandemie für möglich gehalten?

Ich war auf jeden Fall der Meinung, dass es keine Alternative dazu gibt, es zu versuchen. Sonst hätte das einen großer Schaden für unsere Sportart bedeutet. Die bisherigen Spiele haben gezeigt, dass es irgendwie machbar ist, auch wenn es schwierig und nicht dasselbe ist wie mit Zuschauern. Die Hygienekonzepte greifen aber gut. Das zeigt, dass die Entscheidung, es zu versuchen, die richtige war.

Die Coronakrise hat den KEC finanziell besonders hart getroffen. Wie bewerten Sie unter diesen Umständen das bisherige Abschneiden?

Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und stärker auf den Nachwuchs gesetzt. Es freut mich persönlich sehr, dass mehr Jungs aus der DNL Einsatzzeiten bekommen. Ich denke, das ist der Weg, den man gehen muss. Trotz der schwierigen Ausgangslage mit einer stark verkürzten Saisonvorbereitung hätte ich mir schon gewünscht, dass wir ein, zwei Tabellenplätze weiter oben stehen. Wir sind aber in Schlagdistanz.

Wie fühlt sich Eishockey vor leeren Rängen an?

Von der Anreise bis zur Abreise ist das schon sehr skurril. Am komischsten ist es, wenn die Scheibe nicht läuft. Bei Spielunterbrechungen, beim Einlaufen, in Drittelpausen oder am Ende des Spiels beim Abtreten vom Eis kommt es normal zum Zwischenspiel mit den Fans. Das ist jetzt komplett weg. Da muss man als Spieler schon darauf achten, dass man sich richtig pusht, damit die Emotionen nicht verloren gehen. Schließlich üben wir diesen Beruf aus, um Leute zu begeistern. Und das können wir derzeit nicht.

Wann rechnen Sie mit einer Rückkehr der Fans?

Ich hoffe sehr stark, dass wir kommende Saison mit Fans in einen relativ normalen Betrieb übergehen können. Wir müssen irgendwann wieder zurück zur Normalität. Ich sehe es an meinen eigenen Kindern. Man kann das eine Zeit lang machen, aber ohne Hobbys macht das Leben, so wie es gerade ist, einfach nicht so viel Spaß.

Wäre ein finanzieller Kraftakt von Spielern, Gesellschaftern, Sponsoren und Fans ein zweites Mal denkbar?

Das alles wird schwieriger, wenn es ein zweites Mal probiert wird. Deshalb müssen wir zusehen, nächste Saison wieder vor Fans zu spielen. Alles andere wäre enorm schwer. Auch uns Spielern hat es richtig weh getan, auf bis zu 60 Prozent Gehalt zu verzichten. Wenn die Politik das Geschäftsmodell „Eishockey mit Fans“ verbietet, müssen die Vereine finanziell stärker unterstützt werden. Und die Clubs müssen dabei auch unterschiedlich bemessen werden. Wir in Köln drehen mit der Lanxess Arena ja an einem ganz anderen Rad als andere Standorte. Ansonsten glaube ich schon, dass Spieler, die mit ihrem Verein nicht so verwurzelt sind, einen Wechsel aus Köln und der DEL im Kopf haben könnten. Wir lieben zwar alle diesen Sport, nahezu umsonst können wir das aber nicht lange machen.

Innerhalb der DEL gibt es ein starkes finanzielles Ungleichgewicht. Wie denken Sie über Konkurrenten, die Ende Fe-bruar hochkarätige Spieler nachverpflichten konnten, während in Köln die Talente von Partner Bad Nauheim dazugeholt werden mussten?

Wir haben in Köln einen gesunden Weg gefunden. Durch die Offenheit und Transparenz bei der Darstellung der finanziellen Situation fällt es uns jetzt leichter, über Gehaltsverzicht zu sprechen. Die jungen Spieler spielen genauso wie die ein, zwei Nachverpflichtungen für den Mindestlohn. Ohne die späteren Zugänge wäre es für uns richtig eng geworden. Aber so trägt jeder seinen Teil dazu bei, dass wir spielen können. Aus meiner Sicht machen wir es taktisch und moralisch gut.

Wie bewerten Sie die Entwicklung der Kölner Jungprofis?

Sie machen das super. Ich glaube, dass die Jungs nur mit ihren Aufgaben wachsen können. Eishockey in der Ersten Liga kann man nicht simulieren. Fans, die gerne noch mehr und noch schneller integrierte Junghaie sehen möchten, muss klar sein, dass das oft zum Schutz der Spieler nicht passiert. In einer ersten Profi-Saison gibt es mentale Auf und Abs. Man sollte die jungen Spieler nicht verheizen, sondern sie langsam heranführen. Das machen wir und haben dadurch auch eine Breite im Kader. Das habe ich in Köln so noch nie gesehen und es freut mich, dass wir diesen Weg gehen.

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Könnte das deutsche Eishockey dahingehend von der Coronakrise profitieren, dass Talente derzeit stärker gefördert werden?

Ich denke, dass das deutsche Eishockey vieles richtig gemacht hat. Man sieht, dass wir in der Spitze mit Leon Draisaitl, Tim Stützle oder Moritz Seider gute Spieler haben, die in der NHL Top-Spieler sind. Wenn wir Eishockey wirklich einem breiteren Publikum – auch im Fernsehen – anbieten wollen, geht es immer nur über die Nationalmannschaft und, wie beim Tennis oder der Formel 1, über die internationale Bühne. Dafür muss die Nationalmannschaft besser gemacht werden. Und zwar, indem man mehr jungen Spielern Einsatzzeiten gibt.

Mit welchem Gefühl blicken Sie der WM im Mai in Riga entgegen?

Ich denke bereits darüber nach, wie das wohl sein wird, und telefoniere mit dem Bundestrainer, wenn er mich nach meiner Meinung als Spieler fragt. Zuerst muss aber die Leistung im Verein stimmen. Es gibt ja ein großes Angebot an Spielern. Ich selbst muss schauen, ob ich mich vier Wochen von meiner Familie mit zwei Kindern und einer berufstätigen Frau verabschieden und in eine Blase gehen kann. Ich empfinde es als große Ehre, für Deutschland zu spielen. Wenn ich eingeladen werde, versuche ich, das auch möglich zu machen. Denn es ist wichtig, dass auch das Nationalteam spielt.