Vor 50 Jahren in Bonn erfundenWie eine Glasflasche zum Designklassiker wurde
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Wer Mineralwasser trinkt kennt sie.
Die Perlenflasche ist ein Designklassiker, ein Vorbild für Nachhaltigkeit und ein Marketingerfolg.
Ende August 1969 einigten sich 142 Vertreter der Mineralbrunnenbranche in Bad Godesberg auf den Entwurf.
Bonn – Ein Designklassiker? Ein Vorbild für Nachhaltigkeit? Ein genialer Marketingerfolg? Für Markus Wolff haben alle drei Begriffe ihre Berechtigung, wenn es um die "Perlenflasche" geht.
Wolff ist der Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB) mit Sitz in Bad Godesberg. Ihre fast 200 Mitgliedsunternehmen, allesamt Mineralbrunnenbetreiber, stellen rund 500 Markengetränke her - in erster Linie Mineralwässer, in zweiter Linie Erfrischungsgetränke auf Basis von Mineralwasser.
Die Genossenschaft ist laut Wolff der Träger des größten Mehrwegpoolsystems Europas. Die Mineralbrunnen sind Mitglieder und Kunden in einem, der wichtigste Artikel im Sortiment: die Einheitsflaschen, die die Hersteller während der Abfüllung nur noch mit ihrem Etikett versehen müssen. Der weitaus bekannteste Artikel ist die sogenannte Perlenflasche, die schon mehrere Designpreise eingeheimst hat, zuletzt im Februar den German Design Award in Gold, natürlich in der Kategorie Classics.
Denn ein Klassiker ist sie schon: Ende August 1969 einigten sich 142 Vertreter der Mineralbrunnenbranche in Bad Godesberg auf einen Entwurf des Industriedesigners Günter Kupetz. Er hatte sich in einem aufwendigen Auswahlverfahren gegen andere Formkünstler durchgesetzt.
Verbraucher wurden beim Entscheidungsprozess befragt
Es war ein "hochproduktiver Prozess", erklärt Wolff, in dessen Folge erstmals "richtige Marktforschung" betrieben wurde. Es sei um Differenzierung gegangen: Ziel war, eine Flasche zu entwerfen, die der Konsument auf den ersten Blick mit Mineralwasser in Verbindung bringt. So wurden bei der Entscheidung für eine Form auch immer wieder Verbraucher befragt.
Kupetz selbst stand in ständigem Kontakt mit den Glashütten und veränderte seine Modelle, die er aus Gips fertigte, entsprechend den Anmerkungen der Techniker. Zu den Vorgaben gehörte, dass die Flasche 0,7 Liter fasst und in die bereits bestehenden Getränkekästen passt. Sie sollte gut zu handhaben sein und Frische und Modernität ausstrahlen.
Mit den bis dahin existierenden Verbandsflaschen assoziierten Verbraucher eher "Krankenhaus". Einem Gast am heimischen Esstisch wollte man das Wasser in einer solchen Flasche nicht anbieten, hieß es.
Auch technisch eine Errungenschaft
Auch technische Aspekte spielten bei der Entwicklung mit hinein: So sollte der bisherige Hebelverschluss aus Porzellan ersetzt werden, da er meistens nur per Hand zu verschließen war. Mit einem neuen Drehverschluss aus Aluminium, der von außen aufgesetzt wurde, konnte dieser Teil der Abfüllung ebenfalls automatisiert werden. Das sparte Zeit und Geld.
Es war tatsächlich ein langwieriger Prozess, bis es zum Durchbruch am 28. August 1969 kam und sich die Genossenschaft auf einen endgültigen Kupetz-Entwurf einigte. Wenige Wochen vorher fühlten sich Kritiker noch an einen "Kremlturm" erinnert. Das änderte sich mit den erhabenen Bläschen - eine Anspielung auf die Kohlensäure - auf dem zwiebelförmigen Oberteil der Flasche, 230 Stück sind es genau.
Ebenfalls erhaben sind die Aufschrift "Leihflasche Deutscher Brunnen" sowie der Aufdruck GDB in einem Rahmen, der stilisiert einen Trinkbrunnen darstellt. Der Vorstandsvorsitzende Wolff hebt ein weiteres Detail hervor, dessen Bedeutung kaum ein Verbraucher kennt, auch wenn er sie wahrnimmt: die weißen Abriebringe unterhalb der Flaschentaille.
Eine Flasche wird 50 Mal befüllt
Je breiter diese Ringe werden, desto öfter ist die Flasche schon befüllt worden. Nach etwa 50 Befüllungen wird sie aussortiert und eingeschmolzen. Bei durchschnittlich sechs Befüllungen pro Jahr hat sie also eine Lebensdauer von etwa acht Jahren. Die Wulst, an der der Abrieb entsteht, hat aber noch eine weitere Funktion: Diese Glasverdickung schützt wiederum das Etikett vor Beschädigung beim Transport, ob im Kasten oder bei der Abfüllung, wenn Flasche an Flasche stößt.
Für Wolff ist das in Bonn entwickelte Mehrwegpoolsystem der Mineralbrunnenbetriebe nicht nur nachhaltig im Sinne des Umweltschutzes, sondern hat auch eine sozial nachhaltige Komponente: "Wir haben bei den Mineralbrunnen eine Betriebsstruktur, die auf die Region bezogen ist."
Allein im 50-Kilometer-Umkreis der Bundesstadt befinden sich rund zehn Brunnenbetriebe - weshalb es nicht überrascht, dass die Wiege des Flaschenpoolsystems am Rhein liegt. Die meisten Brunnen sind mittelständisch geprägt und inhabergeführt. Nur wenige wurden von Konzernen übernommen, wie Selters von der Radeberger Gruppe oder Apollinaris von Coca Cola.
Wie das Nutella-Glas und die Toblerone-Schachtel
In den rund 200 Mitgliedsbetrieben der Genossenschaft, deren Mitgliedsstruktur sehr konstant ist, werden rund 12.500 Menschen beschäftigt. Die Genossenschaft selbst mit lediglich 35 Beschäftigten machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 157 Millionen Euro.
Die Perlenflasche ist inzwischen als europäische dreidimensionale Marke eingetragen, das heißt, die Verpackung ist wie beim Nutella-Glas oder der Toblerone-Schachtel das geschützte Formkennzeichen für deren Inhalt. Möglich wurde das, weil die Genossenschaft ihren Mitgliedern nur erlaubt, in die Flasche Mineralwasser oder Erfrischungsgetränke auf Mineralwasserbasis abzufüllen.
Über die Jahrzehnte wurde die Original-0,7-Liter-Perlenflasche durch kleinere Varianten ergänzt, auch eine Version aus PET-Kunststoff gibt es, die aber nur 25 Befüllungen erlaubt. Im Gesamtsortiment der GDB-Mehrwegflaschen machen die PET-Varianten nur acht Prozent aus. Bis heute sind mehr als fünf Milliarden Stück von der Perlenflasche hergestellt worden, aufeinander geschichtet könnte man eine Strecke bis hinter den Mond legen - "oder elf Mal um den Äquator", sagt Wolff.