Sind die jüngsten Hiobsbotschaften von Thyssenkrupp und Ford nur der Anfang? Die Industrie an Rhein und Ruhr schwächelt. In der Landesregierung sieht man viele weitere Arbeitsplätze gefährdet, muss aber einräumen, dass NRW allein den Trend nicht stoppen kann.
Wirtschaftlicher DämpferTausende Stellenstreichungen bei Thyssenkrupp und Ford erschüttern NRW

Die Angst geht um: Vor der Einfahrt auf das Werksgelände von Thyssenkrupp Steel in Duisburg stehen am Dienstag Plakate und Fahnen der IG Metall.
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Thyssenkrupp und Ford streichen Tausende Arbeitsplätze. Dieser „Doppelschlag“ durch zwei das Land NRW prägende Konzerne löste am Dienstag im Landtag ein Beben aus. Im Parlament und in den Ministerien reifte die bittere Erkenntnis, dass womöglich noch viel mehr auf dem Spiel steht.
Wenn große Konzerne einen Job-Abbau ankündigen, ist erstens die politische Solidaritätsbekundung und zweitens die Schuldzuweisung nicht weit. Man erinnert an die Verantwortung des Managements für die Beschäftigten, dringt auf Sozialverträglichkeit und stellt sich demonstrativ an die Seite der Betroffenen.
So wie die SPD, die am Dienstag erneut den „Staatseinstieg“ bei Thyssenkrupp forderte. „Wir müssen alle Kräfte darauf verwenden, den historischen Kahlschlag abzuwenden“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von führenden Sozialdemokraten aus NRW. „Den langfristigen Erhalt der nordrhein-westfälischen Stahlproduktion kann es nur geben, wenn Land und Bund jetzt bei Thyssenkrupp Steel einsteigen, um insgesamt mindestens ein Drittel am Unternehmen zu halten und es auf seinem Weg zur klimaneutralen Produktion zu unterstützen.“
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Der Industrie in NRW droht eine „Personalabbau-Welle“
Eine Sondersitzung des Wirtschafts- und des Sozialausschusses zum Arbeitsplatzabbau bei Ford geriet am Dienstagmorgen über diese Rituale hinaus zu einer erschütternden wirtschaftlichen Bestandsaufnahme. Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) weitete den Blick über Duisburg und Köln hinaus: „Wir haben in NRW und in ganz Deutschland einen erheblichen Abbau von industriellen Arbeitsplätzen. Es sind nicht nur die, die in der Zeitung stehen wie Miele, Ford und Thyssenkrupp. Wir haben darüber hinaus einen erheblichen Arbeitsplatzabbau in den Regionen, in den familiengeführten Unternehmen“, warnte er. Der Industrie in NRW drohe in den kommenden beiden Jahren eine „Personalabbau-Welle“.
Die Investitionsschwäche in der Industrie schlage nun mit etwa dreijähriger Verzögerung auf die Arbeitsplätze durch. Jobs würden ins Ausland verlagert, die Automobilindustrie komme mit dem Wechsel zu E-Mobilität noch nicht zurecht, die Chemieindustrie sei zum Teil nur zu 30 Prozent ausgelastet.
Die Möglichkeiten des Landes NRW, hier korrigierend einzugreifen, seien begrenzt, betonte Laumann. In diesem Herbst habe er bei all seinen Unternehmensbesuchen Klagen über hohe Energiepreise, die ausufernde Bürokratie sowie Ängste vor einer unsicheren Energieversorgung gehört. Diese Entscheidungen würden allerdings nicht in NRW getroffen, sondern in Berlin und Brüssel.
Neubaur: Transformation Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit
„Bitter und bedrückend“ nannte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) die Nachrichten über den bevorstehenden Arbeitsplatzabbau bei Ford und Thyssenkrupp. Den eingeschlagenen Weg hin zum klimaneutralen Umbau der Stahlproduktion hält sie nach wie vor für richtig. Langfristig könne NRW nur so das „Herz der deutschen Stahlindustrie“ bleiben. „Die Transformation ist nicht nur eine ökologische Verpflichtung, sondern auch der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit“, meint Neubaur.
Laut dem neuen Konjunkturbericht des RWI-Leibniz-Institutes sind die Aussichten für die Wirtschaft in NRW insgesamt nicht ganz so düster, aber von einem Aufschwung scheint sie weit entfernt zu sein. Für dieses Jahr rechnet das Institut mit einem leichten Wachstum von 0,2 Prozent.
Für das Jahr 2025 sagt das RWI ein Wachstum von 0,7 Prozent voraus, aber diese sich andeutende schwache Erholung sei „keineswegs gefestigt“. Die schwächelnde Industrie leide unter teurer Energie, Bürokratie und der chinesischen Konkurrenz. Chemiekonzerne, Autohersteller und Autozulieferer seien besonders betroffen, gerade hier stünden viele Arbeitsplätze auf der Kippe.
Versagen der kompletten Führungsriege der deutschen Autoindustrie
Stefan Hagen, Vize-Präsident der Industrie- und Handelskammer NRW, sagte, die Wirtschaft an Rhein und Ruhr drohe sogar noch tiefer in die Krise zu rutschen. „Die jüngsten Meldungen und leider auch unsere Konjunkturumfrage zeigen, dass zeitnah kein Licht am Ende des Tunnels ist. Die Betriebe brauchen den Rückenwind durch eine belastbare Wirtschaftspolitik, um Vertrauen zu fassen und wieder Schwung aufnehmen zu können“, so Hagen.
Neubaur kündigte bei der Vorstellung ihres Konjunkturberichts neue Flächen für die Ansiedlung von Unternehmen in Köln und im Münsterland an und stellte schnellere Genehmigungsverfahren in Aussicht. Außerdem senke der Ausbau der erneuerbaren Energien die Stromkosten, und davon werde die Wirtschaft in NRW profitieren.
Am kriselnden Autobauer Ford schieden sich zuvor in der Ausschuss-Sondersitzung im Landtag die Geister. Jan Matzoll (Grüne) glaubt, der Niedergang des US-Konzerns sei nicht allein der wirtschaftlichen Lage geschuldet: „Es wurden eklatante Fehler gemacht und die Marktentwicklung wurde von der Ford-Geschäftsführung nicht ernsthaft antizipiert.“ Die neuen SUV-ähnlichen E-Modelle Explorer und Capri gingen völlig am Markt vorbei, gleichzeitig profitierten andere Hersteller wie Renault, Toyota und VW vom Aus des beliebten Kleinwagens Fiesta. „Die Nachfrage nach kleinen und Kleinst-Wagen wächst enorm“, so Matzoll. Diese Entwicklung räche sich nun für Ford.
André Stinka (SPD) sprach sogar vom „Versagen der kompletten Führungsriege der deutschen Autoindustrie“. Es fehlten preisgünstige Autos aus Deutschland. Dietmar Brockes (FDP) erklärte dagegen, er wolle nicht, dass die Politik den Menschen vorgibt, welche Autos sie fahren sollen. Viele Bürgerinnen und Bürger entschieden sich gegen E-Autos, weil sie von der Technik nicht überzeugt und die Fahrzeuge zu teuer seien. Die AfD kritisierte das „Verbrennerverbot“ und sprach von „Klimawahnsinn“.
Verhärtete Fronten bei Thyssenkrupp: IG Metall will Kürzungen beim Stahlkonzern blockieren
Nachdem der Vorstand von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel Pläne zum Abbau von 11.000 Arbeitsplätzen und Kürzungen bei den Gehältern vorgelegt hat, geht die IG Metall auf einen harten Blockadekurs. „Wir verhandeln das erst gar nicht. Punkt“, verkündete der nordrhein-westfälische Gewerkschaftschef Knut Giesler in einem aktuellen Flugblatt. „Solange betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen nicht wieder vom Tisch sind und keine langfristige Finanzierung steht, solange setzen wir uns mit dem Vorstand nicht an einen Tisch“, machte Giesler deutlich.
Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol kündigte Widerstand gegen die Pläne des Managements an. „Ich hätte mir gewünscht, dass der Vorstand den Beschäftigten so kurz vor Weihnachten nicht solche Horrorbotschaften auf den Gabentisch legt. Aber dieses Fingerspitzengefühl scheint dem Management abhandengekommen zu sein“, sagte Nasikkol im Gespräch mit unserer Redaktion.
Mit ungewöhnlich scharfen Worten attackierte Nasikkol Thyssenkrupp-Chef Miguel López . „Herr López hat alle aus dem Weg geräumt, die von Stahl etwas verstehen, und er setzt mit brachialer Gewalt seinen Plan um. Er hat eine Kultur der Angst geschaffen.“ Thyssenkrupp Steel sei ein systemrelevantes Unternehmen: „Ich kann nicht sehen, dass der Vorstand dies erkannt hat“, sagte Nasikkol. „Es gibt keine Ideen zur Weiterentwicklung unseres Unternehmens. Mit der Abrissbirne die Kosten senken zu wollen, ist keine Managementleistung.“
Durch Veränderungen im Produktionsnetzwerk und Kürzungen in der Verwaltung will Thyssenkrupp bis zum Jahr 2030 etwa 5000 Stahl-Jobs abbauen. 6000 weitere Arbeitsplätze sollen bei Thyssenkrupp Steel durch Ausgliederungen auf externe Dienstleister oder Firmenverkäufe verschwinden. Das Stahlwerk in Kreuztal im Siegerland soll nach den am Montag vorgelegten Plänen des Vorstands komplett geschlossen werden. Dort arbeiten etwa 600 Menschen.
Eine Schließung sei „betriebswirtschaftlicher Schwachsinn“, sagte der Betriebsratsvorsitzende des Kreuztaler Werks, Helmut Renk. Der Standort sei in den vergangenen Jahren meistens profitabel gewesen. Bei einer Betriebsversammlung auf dem Werksgelände machte die Belegschaft am Dienstag ihrem Frust Luft, die Stimmung war angespannt. Am Mittwoch treffen sich die Betriebsräte aus verschiedenen Stahlstandorten von Thyssenkrupp in Duisburg, um die Lage zu beraten. Dabei wird auch der Vorstand erwartet.
Personalkosten bei Thyssenkrupp Steel um zehn Prozent reduzieren
Der Konzern wolle eine fünfstellige Zahl von Beschäftigten „vor die Tür setzen“, kritisiert die IG Metall. Das Vorstandskonzept sehe nicht einmal eine langfristige Finanzierung für Thyssenkrupp Steel vor. Für zwei Jahre sei zwar das Geld gesichert. „Aber danach? Keine Zusage“, bemängelt die Gewerkschaft. Die Absicherung des Konzerns bleibe „eine der unverhandelbaren Forderungen“ der IG Metall. Statt zu investieren, wolle der Vorstand bei den Beschäftigten sparen.
Auf Bundesebene fordert die Gewerkschaft am Dienstag Beiträge von Politik und Arbeitgebern zum Erhalt der Branche. Stahl sei eine wichtige Grundstoffindustrie, sagte IG-Metall-Chefin Christiane Benner. Die Krisenbewältigung dürfe nicht einseitig zu Lasten der Beschäftigen gehen. Die deutsche Politik etwa müsse für „wettbewerbsfähige Energiekosten“ sorgen, Konzernvorstände müssten „Alternativen“ entwickeln.
Der Vorstand von Thyssenkrupp Steel strebt nach eigenen Angaben an, die Personalkosten in den kommenden Jahren im Durchschnitt um zehn Prozent zu reduzieren. Die Rede ist von Kürzungen bei Sonderzahlungen und Boni. Auch Gehälter für Neueinsteiger könnten niedriger als bisher ausfallen. Außerdem soll der Anteil von außertariflich Beschäftigten und „Leitenden“ in der Belegschaft verringert werden. (ulf/mit dpa)