Berlin – Wir leben in Kriegszeiten. Wie ist es da um die Militärkenntnisse der Mächtigen bestellt? Mehrere drückten sich vor Bundeswehr und Zivildienst. Dafür machten andere gleich beides, einer von ihnen aber unfreiwillig. Wer hat gedient, wer nicht?
Die Zivildienstleistenden
Als die Rufe nach „schweren Waffen“ für die Ukraine immer lauter wurden, beklagte sich Olaf Scholz über „selbst ernannte Waffenexperten“. Aus praktischer Erfahrung kennt sich aber auch der Bundeskanzler selbst nicht aus mit Haubitzen oder Geparden. Scholz verweigerte den „Kriegsdienst mit der Waffe“ als Schüler, wie er in einem Podcast mit Ulrich Wickert verriet. Allerdings begann er erst sein Jurastudium und leistete danach Zivildienst in einem Pflegeheim in Hamburg. Das Motiv seiner Verweigerung? „Eher politischer Natur“, erinnert sich der heutige Kanzler. Er habe aber auch Zweifel gehabt, ob er sich bei der Truppe „richtig eingesetzt“ gefühlt hätte.
Als Regierungschef muss Scholz heute entscheiden, welche Waffen Deutschland an Kiew liefert. Hätte es dabei rückblickend geholfen, er selbst hätte mal in einem Geparden gesessen? Zivildienst statt Wehrdienst, ist das ein Manko? „Hypothetische Fragen“ würden „grundsätzlich nicht beantwortet“, sagt ein Regierungssprecher. In einem „Stern“-Interview antwortete Scholz selbst auf die Frage, ob er heute nicht mehr verweigern würde: „Ganz eindeutig: nein.“
Wehrpflicht
Bis zum 1. Juli 2011 galt in Deutschland eine allgemeine Wehrpflicht, ein ziviler Ersatzdienst war ebenfalls möglich. Die Dauer des Wehrdienstes variierte meist zwischen zwölf und 18 Monaten. Erster Teil war eine dreimonatige Grundausbildung, gefolgt von einer Spezialgrundausbildung (Panzergrenadier, Fallschirmjäger, Stabsdienstsoldat...) und anschließender Vollausbildung. In der DDR wurde 1962 ein 18-monatiger Grundwehrdienst für alle Männer zwischen 18 und 26 Jahren eingeführt. Einen zivilen Wehrersatzdienst gab es nicht, die einzige Alternative war, als „Bausoldat“ den Dienst ohne Waffe abzuleisten. (tob)
Nicht nur der Chef hat nicht gedient, am Ampel-Kabinettstisch sitzen fast nur Ex-Zivis. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) leistete seinen Dienst von 1989 bis 1991 beim Hamburger Spastiker-Verband ab, Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Peine. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) war 1997 in einem Pflegeheim im Dienst.
Verweigerer an den Parteispitzen
Als bundeswehrfreundlicher Genosse gilt SPD-Chef Lars Klingbeil, der mit dem Posten des Verteidigungsministers geliebäugelt hatte. Er ist in Munster am größten Heeresstandort Deutschlands aufgewachsen, stammt aus einer Soldatenfamilie. Aber „Befehl und Gehorsam“ waren zu Abi-Zeiten seine Sache nicht, und er wollte raus aus der Kleinstadt, machte Zivildienst bei der Bahnhofsmission in Hannover.
Auch die Spitzen anderer Parteien verweigerten. Der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla leistete von 1994 bis 1996 Zivildienst in Weißwasser, Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte Ende der 90er-Jahre auf der Geriatrie des Diakoniekrankenhauses Georgsmarienhütte.
Geradezu spektakulär: Hinter CDU-Generalsekretär Mario Czaja waren einst die Feldjäger her, weil er seiner Einberufung zweimal nicht gefolgt war. „Fahnenflucht!“, 2000 DM Strafe musste Czaja blechen. Voran ging ein Rechtsstreit, ob Czaja seine begonnene Ausbildung zum Finanzwirt für den Wehrdienst unterbrechen müsse. Die Geschichte endete mit Zivildienst in einem Kindergarten.
An der Waffe ausgebildet
CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz leistete 1975 bis 1976 Wehrdienst bei der Panzerartillerie. Die damals größte Herausforderung: „Das scharfe Nachtschießen mit der großen Panzerartillerie-Haubitze“, wie er dem „Spiegel“ verriet. Merz hat die Wehrpflicht stets befürwortet, weil die Bundeswehr so in der Mitte der Gesellschaft verankert werde und „mehr als die Hälfte der Zeit- und Berufssoldaten sich aus den qualifizierten Wehrdienstleistenden rekrutiert“.
Auch CSU-Parteichef Markus Söder war beim Bund. „1986/87 habe ich im Transportbataillon 270 in Nürnberg meinen Wehrdienst geleistet. Dort habe ich als Transportsoldat 10-Tonner-Lkw mit Munition oder anderen Nachschubgütern gefahren“, schrieb er unserer Redaktion. „Auch wenn es eine Umstellung war, habe ich beim Bund viel gelernt, der Wehrdienst hat keinem geschadet.“
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch hat etwas andere Erinnerungen an seinen Grundwehrdienst von 1976 bis 1978 bei der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR: „Meine Zeit im Fallschirmjägerbataillon war sportlich sehr herausfordernd, erforderte extreme Disziplin und verklärt sich im Nachhinein“, sagt er.
Weder Zivil- noch Wehrdienst
Bei Linken-Urgestein Gregor Gysi fand die NVA einfach keine Möglichkeit, das Problem zu lösen, dass er erst in Ausbildung zum Rechtsanwalt war und sich später als alleinerziehender Vater um seinen Sohn kümmern musste. Zwar wurde er im Laufe der Zeit mehrfach zum Wehrkreiskommando bestellt, um ihn einzuziehen. „Aber keiner dieser Versuche gelang, bis sie irgendwann aufgegeben wurden“, sagt seine Sprecherin.
Auch die beiden CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther (Schleswig-Holstein) und Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen) haben weder Wehr- noch Zivildienst geleistet. Günther hatte seinen Wehrdienst angetreten, war aber nach drei Wochen wegen Kniebeschwerden nach einer Handball-Verletzung ausgemustert worden. Wüst wurde ebenfalls ausgemustert.
Steinmeier für Einführung eines sozialen Pflichtdiensts
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Foto) regt die Einführung eines sozialen Pflichtdiensts für junge Menschen in Deutschland an. „Es geht um die Frage, ob es unserem Land nicht gut tun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen“, sagte Steinmeier der „Bild am Sonntag“. Das müsse nicht bei der Bundeswehr sein, „die soziale Pflichtzeit könnte genauso bei der Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder in Obdachlosenunterkünften geleistet werden“. Dies einzuführen werde sicherlich nicht einfach, die Debatte halte er aber in jedem Fall für angebracht. Wie lange ein solcher Dienst dauern sollte, ließ Steinmeier offen: „Ich habe bewusst Pflichtzeit gesagt, denn es muss kein Jahr sein.“
Bundesfamilienministerin Lisa Paus wies Steinmeiers Vorstoß allerdings umgehend zurück. „Ein sozialer Pflichtdienst würde einen Eingriff in die individuelle Freiheit eines jeden Jugendlichen bedeuten“, sagte die Grünen-Politikerin. Sie verwies stattdessen auf die große Beliebtheit der bestehenden Freiwilligendienste und betonte: „Wir sollten unseren jungen Menschen weiterhin die Freiheit zur eigenen Entscheidung lassen.“ Bislang gibt es speziell für junge Menschen das Freiwillige Soziale Jahr, das Freiwillige Ökologische Jahr und den Internationalen Jugendfreiwilligendienst. (dpa)
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat sich beim Arbeiter-Samariter-Bund über mehrere Jahre beim Katastrophenschutz verpflichtet – mit regelmäßigen Lehrgängen über die Wochenenden – und war so von Wehr- oder Zivildienst befreit.
Zum Weder-noch-Lager gehört auch Landwirtschaftsminister und Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir: Er nahm die deutsche Staatsbürgerschaft unter anderem an, „um nicht in der Türkei Wehrdienst leisten zu müssen“, sagte er der „taz“. In Deutschland leistete er weder Zivil- noch Wehrdienst. Immerhin: Weil es bei Bundeswehreinsätzen „um Leben und Tod“ gehe, hielt er es 2019 für geboten, sich „einen tieferen Einblick in die Arbeit der Truppe zu verschaffen“. So absolvierte er ein fünftägiges Praktikum in Munster – im temporären Rang eines Oberleutnants.
Sowohl als auch
Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat als einziges Kabinettsmitglied gedient, allerdings erst verspätet: Nach dem Abitur 1998 machte er Zivildienst als Hausmeister der FDP-nahen Theodor-Heuss-Akademie. Das ermöglichte es ihm, sein bereits in jungen Jahren gegründetes Unternehmen weiterzuführen. Eigentlich wollte er aber gerne zur Bundeswehr, sagte er unserer Redaktion. Während des Studiums leistete er den Freiwilligen-Wehrdienst ab, wurde zum Reserveoffizier der Luftwaffe ausgebildet. Er führt den Dienstgrad „Major der Reserve“.
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Auch Ex-Grünen-Chef Jürgen Trittin machte beides, wenngleich unfreiwillig: Sein Verweigerungsgrund – ein „Nein“ von Bundeswehreinsätzen im Inneren und gegen die Sowjetunion – wurde als „politisch und nicht moralisch“ abgelehnt. Die fünf Monate Grundwehrdienst 1974 in Bremen seien „eine Mischung von Schikane und Langeweile“ gewesen, erinnert er sich. Ab Januar 1975 leistet er Zivildienst in einem Heim für Jugendliche.
Ist es also womöglich ein Segen, dass wir fast nur von Zivildienstleistenden regiert werden? Die meisten Soldaten seien jedenfalls „hinsichtlich des Einsatzes militärischer Gewalt sehr viel zögerlicher als Leitartikler und Aktivisten, die nie eine Armee von innen gesehen haben“, findet Trittin.