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Orhan Pamuk bei der lit.Cologne in Köln„Putin und die Pest sind Mittelalter“

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Literatur-Nobelpreisträger (2006) Orhan Pamuk im Theater am Tanzbrunnen. 

Köln – Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk hat sich während des Schreibens seines neuen Romans „Die Nächte der Pest“ schuldig gefühlt, weil die Corona-Pandemie ausbrach. „Mir kam es vor, als wäre die Pandemie gekommen, weil ich diesen Roman geschrieben habe“, sagte der renommierte türkische Schriftsteller bei einer Veranstaltung der lit.Cologne im Theater am Tanzbrunnen.

Freunde hätten ihm davon abgeraten, ein Buch über die Pest zu schreiben. Etwas so weit Zurückliegendes werde niemand lesen wollen. Dann meinten sie, dass er Glück gehabt hätte, wegen der Corona-Pandemie würde sich das Buch gut verkaufen.

Schon lange am Thema Pandemie interessiert

Die Arbeit an seinem neuen Roman habe ihn erkennen lassen, dass die Menschen beim Ausbreiten einer Pandemie immer gleich reagieren: „Zunächst leugnen sie den Ernst der Lage. Dann verbreiten sie Gerüchte. Unterdessen steigen die Todeszahlen. Dann bricht der Staat entweder zusammen oder er wird besonders streng. Anschließend fordern sie vom Staat mehr Schutz. Gleichzeitig wollen sie aber nicht, dass ihr Laden geschlossen wird.“

Das Thema Pest interessiere ihn seit vierzig Jahren. Es blitze auch in früheren Werken von ihm immer wieder auf.

Vor allem das Konzept des Fatalismus fasziniere ihn. Bis zu welchem Grad ergeben sich Menschen dem Schicksal? Wann rebellieren sie? Es sei bemerkenswert, dass Pandemien fast immer von heftigen Protesten begleitet wurden. Mit der Arbeit an „Die Nächte der Pest“ hat der 69-jährige Romancier bereits 2016 angefangen.

Welche Folgen hatte der Ausbruch von Corona? „Ich habe die Beschreibung der Quarantäne etwas zurückgefahren. Ich wollte nicht, dass der Eindruck entsteht, ich würde mich absichtlich auf Corona beziehen.“

Vergleiche von der Pest mit dem Ukraine-Krieg

Eine ähnliche Erfahrung habe er mit seinem Buch „Schnee“ gehabt. Kurz vor dem Abschluss ereignete sich der 11. September. Damals habe er sogar ganze Passagen aus dem Manuskript mit Auftritten von Osama bin Laden gestrichen. Der Nobelpreisträger äußerte sich auch zum Ukraine-Krieg, der eine große Gemeinsamkeit mit der Pest habe. Beide seien mittelalterliche Phänomene. „Putin und die Pest sind Mittelalter.“

Pamuk berichtete im Gespräch mit Moderator Denis Scheck auch, dass in der Türkei derzeit gegen ihn ermittelt werde, weil er in seinem Roman angeblich den Staatsgründer Kemal Atatürk beleidigt habe. Er fühle sich aber nicht in Gefahr. Sein erfahrener Anwalt habe ihm versichert, dass dies vorbeigehen würde.

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Recai Hallaç übersetzte vom Türkischen ins Deutsche. Und Frank Arnold vermittelte mit seiner Lesung aus dem dritten Kapitel eine Ahnung der aufziehenden Apokalypse: Im Jahr 1901 bricht auf der fiktiven Mittelmeerinsel Minger die Pest aus und stürzt das Eiland ins Chaos. Die einen leugnen die Gefahr, die anderen fürchten sich und suchen einen Sündenbock. Wer hat das Virus eingeschleppt? Die bisher auf der abgeschiedenen Insel friedlich zusammenlebenden Muslime und Christen beschuldigen sich gegenseitig. Um die Ausbreitung der Pest zu verhindern, wird die Insel abgeschottet. Sowohl der regierende Sultan als auch England und Frankreich errichten mit Kriegsschiffen eine Seeblockade. Unter großem Druck von innen wie von außen wandelt sich das Leben auf der kleinen Insel in ein autokratisches Regime. Das Paradies wird zur Hölle.

Orhan Pamuk: Die Nächte der Pest. Übersetzt aus dem Türkischen von Gerhard Meier. 696 Seiten, Hanser Verlag, 30 Euro