Bob Dylan sei für ihn eine Art Polarstern, hat Wolfgang Niedecken mal gesagt. Einer, an dem man sich orientieren könne, und genau das hat Niedecken musikalisch immer getan (und dies nie zu kaschieren versucht). Ein Song wie „Desolation Row“ sei für ihn wie ein Leuchtturm, sagt der 69-Jährige. „Like A Rolling Stone“ habe ihn wie ein Blitz getroffen und letztlich dafür gesorgt, dass er Musik mache. „Ich würde aber keinem empfehlen, das zu covern – und ausgerechnet ich Idiot habe es getan.“
Es ist natürlich alles andere als überraschend, dass Niedecken, der am 30. März 70 Jahre alt wird, in der Musikbibliothek von Kiepenheuer & Witsch über Bob Dylan schreibt. In der Reihe hat sich Frank Goosen mit den Beatles beschäftigt, Chilly Gonzales mit Enya, zuletzt Melanie Raabe mit Lady Gaga. „Ich hätte auch über die Rolling Stones oder die Kinks schreiben können“, sagt Niedecken. Aber bei Dylan hat es eine gewisse Zwangsläufigkeit. Am 24. Mai feiert auch der Songpoet einen runden Geburtstag: Er wird 80 Jahre alt.
Zwei persönliche Treffen mit Dylan
Das Buch Niedecken über Bob Dylan ist auch eine Betrachtung Niedecken über Niedecken. Eine Art Road Movie, bei dem der Songwriter und Lyriker auf dem Beifahrersitz Platz nimmt. Die Strecke orientiert sich an einer TV-Produktion, für die der Kölner Musiker auf den Spuren Dylans 2017 durch die USA gereist ist. Der Autor schweift aber gerne ab und zurück, etwa zu einer einsamen Autofahrt Richtung Gibraltar, während der er sich durch Dylans Gesamtwerk hörte („Mir war nie langweilig“).
Zwei Mal hat Niedecken den Sänger persönlich getroffen: Der zu feste Händedruck gerät fast zum Desaster. „Ich habe es genossen, war aber sehr still.“ Durchaus ehrfurchtsvoll beschreibt der BAP-Gründer Stationen, wie er auf den Treppenstufen der 4th Street im Greenwich Village in New York saß oder vom Treffen mit Multiinstrumentalist David Mansfield, der in den 70er Jahren Teil der Rolling Thunder Revue war.
Beide waren dabei, als Bob Dylan 1978 in der Dortmunder Westfalenhalle gastierte – Mansfield auf der Bühne, Niedecken im Publikum. Doch das Gastspiel lässt den Fan und „Südstadt-Dylan“ (der 1976 BAP gegründet hatte) irritiert zurück. „Wir hatten eine Band wie die Rolling Thunder Revue erwartet, aber der Meister war schon wieder ganz woanders.“
„Bob Dylan hat mich nie enttäuscht“
Es gab durchaus Phasen, die Niedecken weniger in den Bann zogen, aber die Alben „Desire“ und „Blood on the Tracks“ haben ihn dann doch sehr ermutigt, sich selbst der Musik zu widmen. „Das waren Alben, die man nachvollziehen konnte.“ Plötzlich waren nicht nur „Bombast-Bands“ wie Pink Floyd oder Genesis gefragt. Auch Patti Smith und die Ramones waren wichtig für den damaligen Kunststudenten. Er habe sich die Songstrukturen und Übergänge angesehen und die in gewisser Weise ins eigene Werk aufgenommen. Dies mündet in dem Bekenntnis: „Bob Dylan hat mich nie enttäuscht.“ Auch wenn er mal ein schwächeres Album herausgebracht hat. „Er war immer für mich da.“
Anlässlich seines 70. Geburtstages und der Ende März erscheinenden Sonderedition des Albums „Alles fließt“ hat Niedecken in seiner Raritäten-Kiste gestöbert. Auf der Zusatz-EP enthalten sein wird die kölsche Bearbeitung von Dylans „Girl From The North Country“ („Wo dä Nordwind weht“) sowie „Su ’ne Morje“, die Bearbeitung von „One Too Many Mornings“, die sich auf dem ersten BAP-Live-Album, „Bess demnähx“ findet. Ziemlich „rüde“ findet Niedecken die Fassung heute. „Das geht besser, vor allem, was die Werktreue betrifft.“ Den Text hat er einer Bearbeitung unterzogen.
Aus Duluth in Minnesota, wo man erstaunlich wenig Aufhebens um den berühmten Sohn der Stadt (gebürtig: Robert Allen Zimmerman) macht, führt der Weg nach Mississippi und New Orleans, dann nach San Francisco und Los Angeles. Niedecken wechselt gedanklich vom Highway 61 auf den Nürburgring und die A61. Immer wieder legt er offen, wie Dylans Song in die eigene Musik und Gedanken eingeströmt sind.
Er erzählt, dass die Biografie „Chronicles“, die er selbst auf Deutsch eingelesen hat, für ihn eine Landkarte mit so manchen unbeschriebenen Fleck sei. Er würde gerne die Fortsetzung lesen (die es möglicherweise nie geben wird). Niedecken beschreibt auch die Vereinigten Staaten, ein Land, das sich unter Donald Trump für ihn so verstörend entwickelt hat, dass er es kaum wiedererkennen konnte. Zum Glück hilft der Meister auch hier: „Bob Dylan hat mir Amerika erklärt. Die Songs seien auch in düsteren Zeiten Trostspender. „Er ist vor allem ein großer Poet.“
Wolfgang Niedecken über Bob Dylan: Kiwi-Musikbibliothek, 232 Seiten, 14 Euro.