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Lockdown gelockertKöln lädt zur großen Warhol-Schau ins Museum Ludwig

Lesezeit 4 Minuten

Köln – Endlich ist die lange vom Lockdown geblockte Kölner Warhol-Ausstellung zu sehen und bietet etliche Überraschungen. Andy Warhol = Pop Art. Diese allzu simple Gleichung geht im Museum Ludwig nicht auf. Das Thema Pop Art wird zwar im ersten großen Ausstellungsraum von „Andy Warhol Now“ opulent präsentiert – dann aber abgehakt: Brillo-Schachteln und Marilyn, Doppelter Elvis und Malen-nach-Zahlen, Dollarnoten, Pepsi und Cola.

Andere Themen rücken in den Fokus dieser Schau, die Warhol nach dem Willen der Macher stärker als Person zeigen und als Ikone des Queeren etablieren soll. Was durchaus plausibel erscheint, inszenatorisch gelingt und wodurch sich die Ausstellung etwa von der großartigen Retrospektive thematisch absetzt, die das Museum Ludwig 1989/90 als Übernahme aus dem New Yorker MoMA zeigte.

Queer beschreibe, so das Begleitheft, „Personen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der heteronormativen, also traditionellen Vorstellung von weiblichen und männlichen Geschlechterrollen entsprechen. Queer umschreibt ein Lebensgefühl, das Warhol verkörpert...“

George Grosz gefällt der aggressive Stil

Nach dem Pop-Art-Auftakt erlebt man im Separee zunächst Warhol vor Warhol, den jungen Studenten Andrew Warhola, der im Stil der Neuen Sachlichkeit und Art Brut sich und die Kunst ausprobiert, durchaus provokant. Mit dem Selbstporträt als Nasenbohrer bewirbt er sich 1949 für die Jahresausstellung des Carnegie Tech in Pittsburgh. George Grosz sitzt in der Jury. Ihm gefällt dieser freche, aggressive Stil. Anderen Juroren nicht.

Die Ausstellung schlägt das nächste Kapitel auf, das wie das Vorangegangene nicht erahnen lässt, dass alles auf eine plakative, bunte Pop Art zusteuert. Warhol beginnt als 21-Jähriger in New eine neue Phase, zeichnet sich mit einer ungewöhnlichen Offenheit und feinem Strich à la Matisse oder Cocteau seine zarten, zärtlichen homoerotischen Träume von der Seele. Nie wieder wird er sich so verletzlich zeigen.

Einzelne Blätter des jungen Werbegrafikers verraten dessen Faszination für die Warenwelt. In den 1960ern schlachtet er sie für seine anfangs klassisch gemalte, später industriell produzierte Kunst (Warhol: „Ich möchte eine Maschine sein“) aus: Campbell’s Suppendosen stehen ebenso für die Konsumkultur wie Marilyn Monroe oder Elizabeth Taylor für den Starkult im Medienzeitalter.

Duch den Pop-Art-Durchlauferhitzer

Das auch seine Schattenseite hat, wie die gleichzeitig entstehenden Katastrophenbilder zeigen: Die trauernde Jackie Kennedy und ein Flugzeugabsturz, Rassenunruhen und eine Frau, die sich aus dem Fenster stürzt. Allesamt Dramen aus der Zeitung, die Warhol per Siebdruck multipliziert und durch den Pop-Art-Durchlauferhitzer schickt.

Informationen zur Schau

Die Ausstellung „Andy Warhol Now“ im Kölner Museum Ludwig sollte am 12. Dezember 2020 eröffnet werden, was wegen des Lockdowns nicht möglich war. Nun ist sie bis zum 13. Juni verlängert worden. Der Katalog ist im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienen und kostet 38 Euro. Informationen: www.museum-ludwig.de.

Soweit der schillernde Prolog. In einem mäanderndem Parcours geht die Ausstellung nun in die Tiefe, dokumentiert mit Fotodokumenten von Stephen Shore das Leben und Arbeiten von Warhols Kunstfabrik, der „Factory“, in der Bilder, Skulpturen und Filme quasi in Serie entstehen. Film, Sound und Performance verschmelzen in den Multimediashows, die mit Musik von Velvet Underground und Nico und Projektionen touren. Inklusive Diskokugel, Glitzerfolie und Stroboskopflackern. Das Warhol-Museum in Pittsburgh hat den Raum nachgebaut – eines der großen Highlights in Köln.

Anfang 1968 zieht die Factory um. Am 3. Juni betritt die Radikalfeministin Valerie Solanas die Factory und feuert mit ihrer 32er Beretta auf Warhol, verletzt ihn schwer. Er überlebt. Richard Avedons berühmtes Foto zeigt Warhols geschundenen und mit Narben übersäten Oberkörper. Eine Zäsur im Leben des Künstlers. Auch für die Ausstellung.

„Ich bin niemand“

Sie wird jetzt noch intensiver, geht noch weiter in die Tiefe. Warhols innige Beziehung zu seiner Mutter Julia wird ebenso beleuchtet wie seine intensive Beschäftigung mit dem Tod oder mit der eigenen Person. „Ich bin niemand“, hat er einmal gesagt, er empfand sich als hässlich. Er wechselt seine platinblonden und weißen Perücken, lässt sich als Dragqueen schminken, lässt Schwarze Latinx Dragqueens und Trans-Frauen für die Serie Ladies and Gentlemen posieren.

Warhol auf der Höhe seiner Popularität: Wir erleben ihn als begehrten Promi-Porträtisten und Gestalter von LP-Covern (seit den 1950er Jahren), als Netzwerker mit seiner Zeitschrift „Interview“ und im Kabel-TV mit „Andy Warhol’s Fifteen Minutes“. „Ich glaube an das an das Fernsehen. Es wird das Kino überholen“, sagte er in den 1960ern. Ein Prophet angesichts des aktuellen Siegeszugs von Netflix & Co.

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Das Finale im Museum Ludwig mit Dutzenden flimmernden Monitoren hätte ihm gefallen. Die Schau endet so abrupt wie Warhols Leben. Dessen an Leonardo da Vincis Abendmahlsbild angelehntes Werk „Details of the Last Supper“, das laut Interpretation der Ausstellungsmacher die letzte Zusammenkunft von Jesus und seinen Jüngern mit der Homosexuellen-Community und der grassierenden Aids-Pandemie in Beziehung setzt, wurde Anfang 1987 in einer Ausstellung in Mailand gezeigt – gegenüber dem Kloster Santa Maria della Grazie, wo Leonardos Abendmahl hängt. Warhol, bereits gesundheitlich angegriffen, besuchte die Vernissage. Am 22. Februar starb er 58-jährig unerwartet an den Folgen einer Gallenblasen-Operation in New York.