Köln – Dieser Mann will ändern, was den Kölnern heilig ist. Ihr kölsches Grundgesetz. „Lethargie, die liegt mir nicht“, sagt Dieter Overath. Deshalb will er jetzt elf viel aktivere Leitsätze verfassen, gemeinsam mit Kindern der Kölner Fairtrade-Schulen.
Auch die sind Teil seines Lebenswerks. Zumindest dem bis hierhin. Vor 30 Jahren hat Dieter Overath mit Gleichgesinnten aus Politik und Kirche die Initiative Transfair gegründet, die wenig später zu Fairtrade wurde. Heute gilt das Gütesiegel für fair gehandelte Produkte weltweit, hat in Deutschland einen Jahresumsatz von 2,1 Milliarden Euro und bringt die Erzeugnisse von 1,8 Millionen Kleinbauern in den Handel (siehe Kasten).
Fairtrade in der Verwaltung Standard
Mit einem Empfang im Rathaus wurde der gebürtige Kölner jetzt für sein beharrliches Wirken geehrt. „Ich war Sozialdezernentin. Und Du brachtest immer etwas mit, das gut roch und gut schmeckte“, erinnert sich Oberbürgermeister Henriette Reker. Heute sei Fairtrade in der Verwaltung Standard.
Global erfolgreich
Das Fairtrade-Siegel erhalten Waren, die nach den internationalen Fairtrade-Standards gehandelt wurden. Kontrolliert werden Erzeuger, Im- und Exporteure und Herstellungsbetriebe. Ziel des Vereins ist es, das Bewusstsein für fairen Konsum zu steigern und so die Handelsbedingungen für kleine Erzeugerbetriebe im globalen Süden zu verbessern.
Die Mindestpreise und Prämien, die Fairtrade den Kleinbauern und ihren Familien garantiert, sind für diese auch ein finanzielles Sicherheitsnetz, wenn der Weltmarktpreis für ihr Erzeugnis fällt.
8,5 Milliarden Euro gaben Verbraucher weltweit 2021 für Fairtrade-Produkte aus. 2,1 Milliarden Euro allein in Deutschland, wo 92 Prozent der Menschen das Siegel kennen, und es 800 Fairtrade-Städte, 800 Fairtrade-Schulen und 40 Fairtrade Unis gibt.
In 71 Ländern arbeiten 1,8 Millionen Menschen im Fairtrade-System. 2552 Unternehmen vertrieben laut Fairtrade International 2020 weltweit über 37 000 Produkte, darunter neben Kaffee mit einem Marktanteil von fünf Prozent auch Tee, Blumen, Kakao, Säfte, Kosmetik, Textilien und Gold. (bos)
Wege hat Overath immer gefunden, seine Produkte zu platzieren. Vom Klinken putzen der ersten Jahre, der „großartigen Kooperation mit Rewe“, die 1993 als erste Kette Fairtrade-Kaffee in ihren Regalen anbot, bis hin zu spontanen Aktionen beim Einkaufen mit seinen Töchtern. „Wir haben immer die Regale umgeräumt. Bis da drei Reihen Fairtrade-Kaffee standen statt nur einer“, erzählt er. „Weil es nicht sein darf, dass Ausbeutung ein Wettbewerbsvorteil ist.“
Wehrdienst nachträglich verweigert
Zivilen Ungehorsam, den leistete Overath schon früh in seinem Leben. Nach dem Hauptschulabschluss verpflichtete er sich für vier Jahren als Zeitsoldat, verweigerte dann aber aus Protest gegen den Nato-Doppelbeschluss nachträglich den Wehrdienst und nagelte seinen Wehrdienstpass an ein Portal des Kölner Domes. Er machte in Nicaragua prägende Erfahrungen, engagierte sich für Amnesty International, wurde Betriebswirt, arbeitete acht Jahre lang in einer Werkstatt für arbeitslose Migranten. „Das gibt mir bis heute Bodenhaftung“, sagt er.
Ein klarer Blick für die Realitäten ist die Basis, von der aus er enorme Veränderungen bewirkt hat. „Anfangs hat man uns für Spinner gehalten, denn dass Lebensmittel billig sein müssen, war in der DNA der Deutschen fest verankert“, erinnert er sich. Fair gehandelte Produkte gab es nur in Weltläden, Overath machte sie durch öffentliche Aktionen sichtbar, platzierte sie beharrlich bei Entscheidern in Institutionen, holte sich Mitarbeitende von Greenpeace und von Discountern in sein Team.
Von der Nische zum Massenmarkt
Zehn Jahre habe es gedauert, bis der nächste entscheidende Schritt gelang, sagt er. Danach produzierten Discounter wie Lidl und Aldi gut laufende Eigenmarken mit fair gehandelten Rohstoffen. „Heute machen Eigenmarken zwei Drittel unseres weltweiten Umsatzes aus.“
Gemeinsam mit der Kölner Rewe habe man immer wieder neue Trends gesetzt, „den fairen Bund Rosen etwa“, sagt der 67-Jährige. Jede vierte hier gehandelte Rose komme heute aus fairem Anbau. Man muss die Menschen unmittelbar ansprechen, ist Overath überzeugt. Mit Slogans wie „Der Pott kocht fair“ für Städtecafés im Ruhrgebiet oder der fair produzierten „Kölnseife“. Das alles reiche aber nicht, um Branchen wie die Textilindustrie umzukrempeln, sagt er. „Dazu brauchen wir Gesetze. Nur bei Arbeitskleidung bewirken wir bei Firmen und Kommunen gerade einen Wandel.“
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Jetzt tritt ein Leitungsteam seine Nachfolge an. Er gehe mit einem guten Gefühl und schweren Herzens, sagt Dieter Overath. Zu tun hat er genug, er berät Firmen in Sachen Fairtrade, ist Teammitglied im Hope Theater Nairobi. „Da muss ich oft den weißen Ausbeuter spielen“, sagt er schmunzelnd. Und dann wünscht er sich noch etwas. Von Henriette Reker. Die hat ihm eine Straßenbahn mit Fairtrade-Werbung in Aussicht gestellt. „Ich will die Linie 18“, sagt Overath entschieden. Die mit dem Fahrgastrekord. Groß denken ist eben sein Ding.