Kölner SüdstadtIn diesem Laden setzt man noch voll auf analoge Fotografie
Köln – Mit der begeisterten Stille, die große Entdeckungen begleitet, stapeln Alina und Dinda kleine Pappschachteln in einer Hand. Mit der anderen kramen sie sachte im Aufsteller vor dem Laden, in dem ein paar Dutzend Kleinbildfilme liegen. Mit lange abgelaufenem Haltbarkeitsdatum. „Das ist es ja. Wir haben gehört, dass es die hier gibt und sind sofort gekommen“, sagen die beiden. Sie sind Mitte 20 und fotografieren mit alten Filmen. „Das gibt unglaubliche Effekte. Man weiß nie, welche. Jedes Bild ist eine Überraschung.“ Statt bis zu 45 Euro kostet ein abgelaufener Schwarz-Weiß-Film bei Christoph Stemmer nur zwei. „Die Filme kommen mit den alten Kameras“, sagt er. „Ich gebe sie günstig weiter.“
Alte Kameras, die gibt es viele in seinem neuen Laden in der Südstadt. Spiegelreflexkameras von legendären Marken wie Leica oder Leitz, Kleinbildkameras mit hochwertiger Zeiss Optik, eine uralte Polaroid, das faltbare Modell, Balgenkameras, Mittelformate, daneben als Kuriosum eine Polizeikamera aus dem Jahr 1898. Mit dem Holzkasten, der auf einem wuchtigen Dreibeinstativ thront, lichtete man Verdächtige ab.
Verkauft wird in der Hauptsache übers Internet
Viele der gebrauchte Kameragehäuse und Objektive haben Kölnerinnen und Kölner zum Ankauf vorbeigebracht, manches hat Stemmer auf Fotobörsen aufgestöbert, auch Erben von Kamerasammlungen fragen häufig nach bei ihm. Der Frankfurter ist seit 30 Jahren in der Branche, seit 20 Jahren verkauft er ausschließlich übers Internet, macht damit 90 Prozent seines Umsatzes, die Abwicklung läuft über sein Lager in Frankfurt, erzählt er. Dann klingelt sein Handy, ein Anruf aus England.
Ein Paar mit einem Schlittenhund kommt vorbei. Kurz schaut ein ehemaliger Hochschulprofessor mit einem Leinenbeutel rein, er will „ein paar Sachen zeigen und später wiederkommen“. Ein Mann möchte „nur mal spinksen“. „Immer gern!“, freut sich Stemmer.
Das haben seine Frau Natalie Colière-Stemmer und er sich erhofft. Wieder mehr Kontakt zu den Menschen, die ihre Begeisterung teilen. Dabei kommen sie den Kölnern entgegen. Mit alten Stollwerck-Werbetafeln aus Email an den Wänden ihres kleinen Ladens. Oder einem Wandautomaten von 4711. Der Sprühstoß Kölnisch Wasser kostet zehn Pfennige. Cent gehen aber auch.
Tendenzen als allererster rauskriegen, Rares aufstöbern, Neues versuchen – das zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Christoph Stemmer. Als Diplomkaufmann sanierte er nach der Wende Stadtwerke im Osten. Dann macht er sich selbstständig mit Antiquitäten, wechselt zur Kunst, stellt in den 90er Jahren eine Sammlung von August-Sander-Bildern zusammen, „bevor der Kölner Fotograf in Mode kam“, ersteigert große Formate des heute hoch gehandelten Karl Blossfeldt. Er kauft Polaroids auf Messen auf, bevor der Hype losgeht, Experte für Fotografie im Auktionshaus Sothebys. Und ersteigert beim RTL-Trödeltrupp Kameras.
Ein ganzes Pariser Quartier wird zur Fotobörse
Jedes Jahr ist er bei der Königin aller Messen für historische Kameras in Paris dabei, sagt der 57-Jährige. „Am ersten Juniwochenende kommen 30 000 Menschen nach Bièvres, auch aus China, Arabien, Australien. Das ganze Quartier ist abgesperrt.“
Und jetzt ein kleiner Laden im Veedel? „Die Menschen hier sind toll“, sagen Stemmer und seine Frau unvermittelt. „Komopolistisch, freundlich, locker, offen für Neues.“ Und dann ist da noch der kleine Enkel, für ihn liegt im hinteren Bereich eine Krabbeldecke bereit. Daneben hat der Schwiegersohn seinen Arbeitsplatz als Veranstaltungstechniker. Er hat gerade ein Videoschau im Laden realisiert. „Wir sind offen für Ideen“, sagt Stemmer. So will er auch Jüngere ansprechen. „Immer mehr Unter-30-Jährige wollen keine Massenware mehr, entscheiden sich für die analoge Fotografie. Der Einstieg ist nicht teuer. Ein Leica-T3-Gehäuse gibt es für 80 Euro gebraucht.“
Auch Erhard Wesser hat den kleinen Laden entdeckt. Der Fotograf dokumentiert das Leben in der Südstadt seit 48 Jahren. Er kommt mit seinem Enkel Theo jede Woche. Der hat gerade eine Lomographische Kamera mit vier Linsen bekommen. Sie macht kleine Bilderserien. „Ist der Film schon voll?“, will der Händler von dem Achtjährigen wissen. Stemmer war vier, als ihn die Schätze seines Großvaters in den Bann schlugen. Ihre Messingknöpfchen und silbernen Hebel funkelten in mannshohen Vitrinen. Er musste nach oben lugen, um sie zu sehen. Berühren war streng verboten. „Alles daran war geheimnisvoll,“ erinnert er sich an die vielen hundert Kameras seines Großvaters, die er mit 15 Jahren erbte.
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Seine Lieblingskamera ist die Indralux, „ein Designobjekt in irren Farben, das aussieht wie ein aufgeblasenes Sofakissen“. „Sie wurde nur ein halbes Jahr lang gebaut“, sagt er. „Niemand weiß, wer sie entworfen hat.Fotografiert hat er damit nie. „Das kann ich gar nicht“, sagt er. „Ich fotografieren nicht, ich knipse.“ Und muss kurz selber lachen. „Mit meinem Handy.“
Photographica, Alteburger Straße 7, Südstadt, geöffnet freitags und samstags, 11 bis 17 Uhr, sowie nach Absprache unter Ruf 0171 5839 003